Seehofer & die Islamverbände
Wenn ich die Islampolitik der Bundesregierung unter der Verantwortung von Bundesinnenminister Horst Seehofer nach der letzten Tagung der Deutschen Islamkonferenz (DIK) auf den Begriff bringen soll, dann fällt mir ein türkisches Sprichwort ein: "Körle yatan, sasi kalkar / Wer mit Blinden ins Bett geht, steht schielend auf."
Die Bundesregierung macht mit den konservativen Islamverbänden gemeinsame Sache und hat jeden kritischen und emanzipatorischen Ansatz in der Auseinandersetzung mit den Machtansprüchen des politischen Islam verraten. Sie arbeitet mit Verbänden zusammen, die - wie das Islamische Zentrum Hamburgs (IZH), Ahmadiyya oder der „Zentralrat der Muslime“ - frauendiskriminierende, antidemokratische oder antisemitische Ansichten vertreten.
Die Strategie der Bundesregierung?
Sie stützt die Männerherrschaft!
Hamed Abdel Samad hat das in seinem Brief an den Innenminister auf den Punkt gebracht: Die Islampolitik der Bundesregierung ist nicht nur gescheitert, sondern schlichte Unterwerfung. Sie fördert und finanziert die Politik der vom Ausland abhängigen Islamverbände wie DITIB und tut nichts für die Integration oder Emanzipation der vom konservativen politischen Islam Bedrängten wie Frauen und Kinder oder Säkulare. Mit einem Wort, die Bundesregierung stützt die Männerherrschaft.
Thema der aktuellen DIK-Sitzung war die Ausbildung von Imamen. Stolz wurde verkündet, dass nun in Deutschland Imame ausgebildet werden. Nicht an einer deutschen Universität, wie es am Zentrum für Islamische Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster unter der Leitung von Prof. Mouhanad Khorchide möglich wäre, sondern an einem zu Konferenzbeginn aus dem Hut gezauberten "Verein Islamkolleg" in Osnabrück. Auch die DITIB will Imame nicht mehr in Ankara, sondern in Dahlem in der Eifel unter Kontrolle und Anleitung der türkischen Religionsbehörde Diyanet ausbilden. Wie die Ahmadiyya, die ein eigenes Imamseminar unterhält.
Was sich ändert, ist, dass die Imamausbildung nun vom Steuerzahler bezahlt wird. Ob diese Förderung dem Grundsatz der "Neutralität des Staates" in religiösen Angelegenheiten entspricht, wird anscheinend nicht hinterfragt.
Billiger wäre es gewesen, wenn die Regierung sich auf Kontrolle beschränkt oder Voraussetzungen formuliert hätte, die ein Geistlicher erfüllen muss, wenn er in einer Moschee in Deutschland predigen will. Präsident Macron plant so etwas fur Frankreich. Zukünftig will er Imame per Dekret und Prüfung auf eine "Charta der republikanischen Werte" verpflichten.
Die Verbände wollen ihre Imame selbst ausbilden - nun vom Steuerzahler bezahlt
Zu Beginn der 1. Islamkonferenz 2006 hatte der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble noch darauf gesetzt, konservative Verbände und säkulare Muslime in den Diskurs um Grundwerte zu bringen. Sprecher von fünf Islamverbänden, Vertreter Säkularer Verbände (wie der Türkischen Gemeinde) und Individuen (wie Seyran Ates, Navid Kermani oder ich) saßen gleichberechtigt den Regierungsvertretern gegenüber. Wir drängten die Islamverbände dazu, sich den Anforderungen einer offenen Gesellschaft zu stellen. Das ist spätestens seit Seehofer vorbei. Auf der letzten Sitzung der Islamkonferenz waren säkulare Muslime gar nicht mehr erst eingeladen.
Der Islam ist keine Kirche, kennt keine Mitgliedschaft. Ausnahme ist die sektenartig organisierte Ahmadiyya, bei der die Mitglieder einen Treueeid auf ihren Kalifen schwören. In den anderen sunnitischen oder schiitischen Moscheevereinen und Islamverbänden sind, nach Erhebungen des Innenministeriums, nur maximal 15 Prozent der Gläubigen organisiert. Trotzdem beanspruchen ihre Vertreter für alle Muslime, mehr noch für "den Islam" zu sprechen.
Das deutsche Staatskirchenrecht, bzw. das Religionsverfassungsrecht geht davon aus, dass die Gläubigen einer Religion sich organisieren. In allen Staatsverträgen und Gesetzen ist vom Verhältnis von Staat und Kirche die Rede. Man könne, so das Argument der Regierung, deshalb nur mit den Organisierten, also den Verbänden sprechen. Diese Argumentation ist juristisch höchst bizarr.
Die Verbandsvertreter stellen den Anspruch, für alle Muslime und "den Islam" zu sprechen
Angemessener wäre es, die Fragen der Integration und Interessen der Muslime im Verhältnis zum Staat in einem "Islamgesetz" zu regeln, wie zum Beispiel in Österreich, statt sich hinter dem Staatskirchenrecht zu verstecken, das für diese Fragen ungeeignet ist, weil die Islamverbände die Vorgaben nicht erfüllen.
Der Islam ist keine „politische Religion" (Bassam Tibi), aber der organisierte Islam ist politisch. Es geht darum, ob wir es zukünftig in Europa mit einem „politisierten Islam mit Herrschaftsansprüchen" oder mit einer „säkularen Islamkultur mit sinnstiftender Spiritualität" zu tun haben, so formuliert es der Islamwissenschaftler Marwan Abou Taam.
Der Begriff "politischer Islam" beschreibt die Bestrebungen, "Din wa Daula" (Staat und Religion) als eine Einheit zu sehen, Säkularität nicht zu akzeptieren. Die Repräsentanten des "politische Islam" stehen für die Ablehnung einer freien und offenen Gesellschaft und streben - wie die Muslimbrüder, die Mullahs in Teheran und die Islam-Terroristen - nach einem "Gottesstaat". Wer aber ist der „politische Islam“?
Die Islamverbände klagen Sonderrechte ein und propagieren Geschlechtertrennung
2016 befand jeder zweite türkischstämmige Muslim in Deutschland, der Koran stehe über dem Grundgesetz. Da gibt es Klärungsbedarf.
Die Islamverbände sind nicht spirituell ausgerichtet, sondern betreiben aktiv Gesellschaftspolitik. Sie agieren seit Jahren vielfach wie religiöse Parteien. Sie klagen Sonderrechte ein, propagieren Geschlechtertrennung und wollen ihre religiösen Vorschriften als allgemeinverbindlich anerkannt wissen. Das Argument, der Begriff "politischer Islam" würde die politische Partizipation säkularer Muslime denunzieren, ist absurd. Im Gegenteil: Die Präzisierung „politischer Islam“ hilft denjenigen, die eine "säkulare Islamkultur" und ggf. ihren Glauben als Privatsache leben, und sich von all denen abgrenzen wollen, die den Islam als politische Strategie betreiben.
NECLA KELEK