Weinstein-Prozess: „Wir sind stark!“
Schon vor dem ersten Schritt in den Obersten Gerichtshof des Bundesstaats New York schlug Harvey Weinstein selbstbewusster Kampfgeist entgegen. „Heute ist ein Tag, der uns bewusst macht, wie weit wir gekommen sind und wieviel wir ertragen mussten, um so weit zu kommen. Wir sind stark. Das kann er uns nie nehmen“, ließ Rose McGowan die ReporterInnen wissen, die am Montag zum Prozessauftakt gegen Hollywoods mutmaßlichen Serienvergewaltiger nach Manhattan gekommen waren.
Mit ihrer Schauspielkollegin Rosanna Arquette, der Journalistin Lauren Sivan, der Seriendarstellerin Dominique Huett und weiteren mutmaßlichen Opfern des 67-Jährigen rief sie auf der Straße vor dem Supreme Court Erinnerungen an den Herbst 2017 wach. Nach Anschuldigungen von Dutzenden Frauen in der New York Times und dem New Yorker waren Hollywood und sein bekanntester Strippenzieher von der #MeToo-Bewegung eingeholt und schließlich zu Fall gebracht worden.
Die Zeit des Schweigens
ist vorbei!
„Die Zeit der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz ist vorbei“, verkündete Arquette jetzt, mehr als zwei Jahre später. „Die Zeit, in der die Opfer beschuldigt wurden, ist vorbei. Die Zeit der leeren Entschuldigungen ist vorbei. Und die Zeit einer Kultur des Schweigens, die Missbrauchstäter wie Weinstein unterstützt hat, ist vorbei“, sagte Arquette. #MeToo und die daraus folgende Bewegung „Times up“ (Die Zeit ist vorbei) hatte Folgen im ganzen Land: Mindestens 15 Bundesstaaten haben inzwischen Gesetze zum Schutz vor sexueller Gewalt am Arbeitsplatz verabschiedet.
Als der Produzent wenig später aus der Limousine stieg, bemühte er sich, den Blicken der Frauen auszuweichen. Die fordern jetzt Gerechtigkeit: „Justice for Survivors“ stand auf ihren Plakaten.
Auf den Strafprozess gegen Weinstein hatten McGowan, Arquette und die Vereinigten Staaten lange gewartet. Obwohl mehr als 90 Schauspielerinnen, darunter bekannte wie Gwyneth Paltrow oder Angelina Jolie, Models und Mitarbeiterinnen den Oscar-Preisträger öffentlich beschuldigten, sie vergewaltigt, belästigt oder vor ihnen masturbiert zu haben, zogen sich die Ermittlungen in die Länge. Viele BeobachterInnen fühlten sich an 2015 erinnert, als die Staatsanwaltschaft nach Weinsteins Übergriff auf das Model Ambra Battilana Gutierrez in seinem New Yorker Büro überraschend auf einen Prozess verzichtete (EMMA berichtete).
Mehr als
90 Frauen beschuldigen Weinstein
Im Mai 2018 zeigte #MeToo schließlich Wirkung. Manhattans stellvertretende Bezirksstaatsanwältin Joan Illuzzi erhob Anklage wegen Vergewaltigung und schweren sexuellen Missbrauchs. Der Prozess ließ aber weiter auf sich warten. Mal trennte Weinstein sich von seinem Verteidiger, mal schob die Staatsanwaltschaft Anklagepunkte nach oder ließ sie fallen.
Der Gründer der Filmunternehmen Miramax und The Weinstein Company bereitete sich derweil in seiner Villa in Connecticut auf den Prozess vor. „Die vergangenen zwei Jahre waren hart und haben mir Gelegenheit gegeben, über mich selbst nachzudenken. Ich bin seit Oktober 2017 auf Entzug, mache eine Therapie und meditiere“, ließ Weinstein den Sender CNN am Wochenende wissen. Wie die Gehhilfe, auf die er sich nach einer angeblichen Rückenoperation schwer gebeugt stützt, dient die zur Schau getragene Läuterung wohl auch dazu, Weinsteins Image als Rambo der Filmindustrie weich zu zeichnen.
Den Vorsitzenden Richter James Burke ließen die Schauspielversuche derweil kalt. Bei Weinsteins kurzem Auftritt vor Gericht am ersten Prozesstag lehnte er den Antrag von Weinsteins Verteidigerin Donna Rotunno ab, die Jury während der geplanten acht Prozesswochen in einem Hotel unterzubringen. Auch über die Auswahl der Jury wurde gestritten. Rotunno hatte in den vergangenen Wochen immer wieder angedeutet, potentielle JurorInnen bereits in sozialen Medien überprüft zu haben. Negative Posts über Weinstein? Antrag auf Streichung von der Geschworenenliste. UnterstützerInnen von #MeToo? Keine Chance, Mitglied der Jury zu werden.
Harvey Weinstein drohen 28 Jahre Haft
Für Weinstein steht viel auf dem Spiel. Nach mehreren Anklagepunkten wegen der Vergewaltigung einer Frau, deren Name nicht öffentlich bekannt ist, im Jahr 2013 und erzwungenem Oral-Sex mit der Produktionsassistentin Mimi Haleyi 2006 droht dem früheren Hollywood-Mogul lebenslange Haft.
Dass New Yorks Oberster Gerichtshof auch Annabella Sciorra auf die ZeugInnenliste setzte, dürfte Weinsteins Lager weiter beunruhigt haben. Die Schauspielerin, bekannt durch ihre Rolle in der Mafiaserie „The Sopranos“, gab an, 1993 in ihrer Wohnung in Manhattans historischem Viertel Gramercy Park von dem Produzenten angegriffen und vergewaltigt worden zu sein. Sciorras Aussage sowie die Aussagen weiterer mutmaßlicher Opfer, deren Fälle bereits verjährt sind, sollen die These der Staatsanwaltschaft stützen: Der Angeklagte hat gewohnheitsmäßig sexuelle Übergriffe begangen.
Inzwischen hat auch die Staatsanwaltschaft in Los Angeles Anklage gegen Harvey Weinstein erhoben. Sie geht davon aus, dass er bei einem Filmfestival im Februar 2013 eine Frau, die bisher anonym bleiben möchte, in ihrem Hotelzimmer überraschte und vergewaltigte. Einen Tag später soll er eine weitere Frau sexuell bedrängt haben. „Die Beweise zeigen, dass der Angeklagte Macht und Einfluss nutzte, um sich seinen Opfern zu nähern und Verbrechen gegen sie zu begehen“, teilte die Bezirksstaatsanwältin Jackie Lacey jetzt mit. Ein Schuldspruch in Los Angeles könnte Weinstein weitere 28 Jahre Haft einbringen.
Nach dem für Anfang März erwarteten Urteil in New York reist Weinstein wohl gleich weiter nach Kalifornien – zu seinem nächsten Vergewaltigungsprozess.
Christiane Heil