Mitten ins Schwarze

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... trifft Geena Davis als passionierte Bogenschützin ebenso wie als Darstellerin der Präsidentin von Amerika. Und ganz nebenher hat der Hollywood-Star mit Ende vierzig auch noch drei Kinder gekriegt.

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In Hollywood wissen gut unterrichtete Kreise, dass man Geena Davis besser kein Drehbuch zuschickt, in dem die weibliche Hauptrolle zu wenig zu tun hat, sprich: in dem sie die Frau an der Seite des Helden ist, den sie anzuhimmeln hat oder von dem sie sich gar retten lassen muss. Es heißt, Geena Davis schicke solche Drehbücher postwendend – und versehen mit längeren Kommentaren zur Rolle der Frau im Film und in der Welt – zurück. Doch als ihr das Drehbuch zu einer Serie namens ‚Commander in Chief‘ ins Haus flatterte, hat Geena Davis daran nur eins geärgert: „Dass mir das nicht selbst eingefallen ist!“

Der Plot der Serie, die Geena Davis gern selbst erfunden hätte: Der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten liegt nach einem Schlaganfall im Sterben. Das Protokoll verlangt, dass nun der Vizepräsident sein Nachfolger wird. Allerdings heißt der Vizepräsident Mackenzie Allen und ist eine Vizepräsidentin. Sie ist nicht nur eine Frau, sondern auch noch parteilos. Der sterbende Präsident ist Republikaner und hatte die Universitätskanzlerin Allen aus taktischen Gründen zu seiner Stellvertreterin gemacht: Die liberale Frau sollte dem konservativen Mann „die Stimmen der Hausfrauen in den Vorstädten“ einbringen.

Präsidentin Allen wird ab jetzt nicht nur die Regierungsgeschäfte führen, sondern sich in jeder Folge aufs neue mit den Intrigen ihrer Gegner – allen voran ihrem Konkurrenten Nathan Templeton (diabolisch gespielt von Donald Sutherland) – herumschlagen. Und dann ist da natürlich noch ihre Familie. Ehemann Rod war bisher Stabschef seiner Gattin und ist nun „First Gentleman“ im rosa Flügel des Weißen Hauses. Das riecht nach Problemen.

Doch was für eine Karriere für eine Schauspielerin, die noch 1991 als Vorstadt-Hausfrau Thelma in dem Frauenkultfilm ‚Thelma und Louise‘ für ihren Ausbruch aus der Frauenrolle mit dem Leben bezahlen musste. 15 Jahre später residiert sie im Weißen Haus und hat zwar mächtig Ärger – aber ihre erste Amtshandlung ist es, eine von Steinigung bedrohte „Ehebrecherin“ mit dem Army-Hubschrauber aus Nigeria herausholen zu lassen. Genau die Frau, über die Rivale Templeton gehöhnt hatte, sie habe „ihre Beine nicht zusammenhalten können“. Das ist der Moment, in dem die zunächst zögernde Vizepräsidentin entschlossen zur Macht greift.

Ms President ist Geena Davis auf den trainierten Leib geschrieben. Mit ihren 1,83 Metern ist die heute 50-Jährige nicht nur eine knapp an der Olympia-Qualifikation vorbeigeschrammte Bogenschützin, sondern seit vier Jahren auch Mutter von inzwischen drei Kindern. Der Vater ihrer Kinder ist ihr vierter Ehemann und 15 Jahre jünger als sie. Davis trocken: „Männer, die sich von älteren Frauen angezogen fühlen, wissen, dass ihnen die Frau nicht zu Füßen liegen wird.“

Versteht sich, dass Geena Davis die Rolle der ersten Präsidentin der Vereinigten Staaten nicht nur sofort angenommen hat, sondern auch noch Co-Produzentin der Serie geworden ist. Kommentar der Times: „Dass Geena Davis jetzt Amerikas Präsidentin spielt, scheint die logische Konsequenz ihrer gesamten Karriere zu sein.“ Aber: „Es ist noch nicht allzu lange her, da wäre eine Serie über einen weiblichen Präsidenten eine Sitcom gewesen.“ Seit Kanzlerin Merkel ist die Vision realistisch geworden. Times: „Es ist die Möglichkeit, dass eine Frau diesen Job tatsächlich bekommen könnte, die diese Serie dramatisch glaubwürdig macht.“

Wer diese Frau in Amerika sein könnte, ist kein Staatsgeheimnis. „Niemand scheint in der Lage zu sein, über ‚Commander in Chief‘ zu sprechen, ohne auch über Hillary Clinton zu sprechen“, spottet der New Yorker. Stimmt. Sprechen wir also über Hillary Clinton.

Hillary Clinton, 54, und Geena Davis, 50, haben nämlich gewisse Gemeinsamkeiten: Sie gehören zur selben, von der Women’s Lib geprägten Generation; sie sind beide erklärte Feministinnen und Demokratinnen; und sie wollen beide „eine Frau im Weißen Haus sehen!“ (O-Ton Davis).

Natürlich ist die potenzielle Präsidentschafts-Kandidatin der TV-Präsidentin schon begegnet: Am 8. Juni 2006 bei einem Gala-Dinner zu Ehren der frischgewählten chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet. Geladen hatte The White House Project. Das hochkarätige parteiübergreifende Frauen-Netzwerk will „Frauen in Führungspositionen bringen“, und zwar „in allen Bereichen bis hin zur US-Präsidentschaft“.

„Visibility is viability“, verkündete White House Project-Chefin Marie Wilson. Was frei übersetzt so viel heißt wie: Sichtbarkeit bedeutet, dass es möglich ist. In der Tat: „Laut einer Umfrage von CBS und der New York Times, würden 92 Prozent der Bevölkerung eine Frau ihrer Partei zur Präsidentin wählen, sofern sie für den Job qualifiziert ist.“

„Durch unsere Serie können sich die Zuschauer zum ersten Mal ein Bild davon machen, wie es sein könnte, eine Präsidentin zu haben. Und das erhöht die Chancen, dass es eines Tages tatsächlich passiert“, erklärte Ms President und lächelte staatstragend. Wenn jemand weiß, was ein Film auslösen kann, dann sie. Sie weiß, dass Filme Berge versetzen können. In so einem hat sie nämlich mal mitgespielt.

Er handelte von zwei Hausfrauen, die zu einem Wochenendausflug aufbrachen und schließlich als Rebellinnen Hand in Hand im Grand Canyon zerschellten. Wir erinnern uns: Der erste Abend – an dem die beiden sich in einer drittklassigen Bar einen angesäuselt hatten – endete mit einem Vergewaltigungsversuch auf dem Parkplatz. Der wiederum damit endete, dass Louise (Susan Sarandon) den Vergewaltiger von Thelma (Geena Davis) erschoss. Dann begann eine atemberaubende Flucht im offenen türkisblauen Thunderbird, die die ganze Nation in Atem hielt.

Trotz des tragischen Endes verließen die Zuschauerinnen die Kinosäle nach Hollywoods erstem ‚Female Buddie Movie‘ mit beschwingtem Schritt und lächelten sich im Foyer verschwörerisch zu. Newsweek wusste zu berichten, dass sich weibliche Cabrio-Besatzungen an roten Ampeln jetzt johlend zuzuwinken pflegten und obszöne Männersprüche nun des öfteren mit dem Abfeuern imaginärer Pistolen quittiert wurden. „Yippie – das erste feministische Road Movie!“ jubelte auch EMMA.

„Damals kamen Frauen auf mich zu und sagten: ‚Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr dieser Film mein Leben verändert hat!“ schwärmt Geena Davis.

Schon ein Jahr nach ‚Thelma & Louise‘ spielt sie Dotti Hinson. Die ist Anfang der 40er Jahre Baseball-Spielführerin der ‚Rockford Peaches‘ in Oregon, fängt die Bälle mit der bloßen Hand und wird zur Pionierin des Frauen-Baseballs. Der Film ‚A League of Their Own‘ (Eine Klasse für sich) ist den Old Ladies der ‚All American Girl Profi Baseball Liga‘ gewidmet und spielte 104 Millionen Dollar ein.

Und wieder zupften der Hauptdarstellerin, die für ihre Rolle eine Golden Globe-Nominierung einheimste, begeisterte Zuschauerinnen am Ärmel: „Ich mache jetzt Sport, weil ich diesen Film gesehen habe!“ Die Schauspielerin: „Ich habe mir meine Rollen seitdem sehr genau unter dem Aspekt ausgesucht, welche Wirkung sie haben.“ Die Rolle der Catherine Tramell in ‚Basic Instinct‘ beispielsweise lehnte sie dankend ab und überließ sie Kollegin Sharon Stone.

Die Rolle der Dotti Hinson hatte nicht zuletzt eine Wirkung auf deren Darstellerin selbst. Davis hatte sich, wie die anderen Schauspielerinnen auch, in den Baseball-Szenen nicht doubeln lassen, sondern alle sportlichen Hürden selbst genommen. Mit ihren 1,83 Metern war die nicht nur hochgewachsene, sondern auch als „hochbegabt“ eingestufte Virginia, genannt Geena, das größte Mädchen ihrer Schule in Wareham, Massachusetts, gewesen. Was dazu führte, dass die pubertierende Geena sich immer zu groß, zu tollpatschig, zu linkisch fand. „Aber als ich anfing, für ‚A League of Their Own‘ Baseball zu trainieren, merkte ich, dass ich eine bis dahin unerweckte athletische Ader hatte.“

Inzwischen hatte Davis – nach zwei gescheiteren Ehen mit Restaurantbesitzer Richard Emmolo und Schauspieler Jeff Goldblum – den finnischen Actionfilm-Regisseur Renny Harlin (‚Cliffhanger‘) geheiratet. Der machte von nun an Filme, in denen seine Gattin ihr neues Faible für Actionrollen ausleben konnte: ‚Die Piratenbraut‘, in dem Davis 1995 als Chefpiratin schießend und fechtend auf Schatzsuche ging, und ‚Tödliche Weihnachten‘, in dem sie 1996 als Agentin nahkampferprobt reihenweise ihre Gegner flachlegte. „Als meine letzte Fechtszene im Kasten war, war ich am Boden zerstört. Denn ich hätte mich gern noch ewig weiter geprügelt“, kommentierte die Actionheldin damals das Ende der Dreharbeiten.

„Geena Davis leistet für den Action-Film, was Sigourney Weaver mit ‚Alien‘ für den Science-Fiction-Film vorgelegt hat“, konstatierte die Presse. Zwar floppten beide Filme, aber ihre Hauptdarstellerin ging gestählt daraus hervor. Und beschloss, Bogenschützin zu werden. Im wahren Leben.

Das war 1996. Zwei Jahre später gehörte sie zu den besten ‚Archers‘ der Nation. Seither gibt es auf der Homepage der ‚Women’s Sports Foundation‘ eine Kampagne mit dem Titel ‚Geena Takes Aim‘. Das Ziel der Athletin: die vollständige Umsetzung des Title IX. Dieses Gesetz, das 1972 von der amerikanischen Frauenbewegung durchgesetzt wurde, besagt, dass die staatliche Sportförderung zu gleichen Teilen Mädchen und Jungen zugute kommen muss. Davis: „Als ich für meine Rollen Reiten, Fechten und Taekwondo gelernt habe, habe ich gemerkt, wie das mein Selbstbewusstsein gestärkt hat. Ich habe sehr bedauert, dass ich all das nicht schon als junges Mädchen gemacht habe. Deshalb möchte ich Mädchen dazu ermutigen!“

Davis weiß, wie wichtig Vor(Bilder) sind. Seit sie selbst Kinder hat, weiß sie es noch besser. Vor vier Jahren, Davis war da schon stolze 46, kam Tochter Alizeh zur Welt, zwei Jahre später die Zwillinge Kaiis Steven und Kian William. Da war Geena Davis 48, und der Vater der drei Kinder 33. Ehemann Nummer vier, Reza Jarrahy, ist ein Chirurg iranischer Herkunft. „Jüngere Männer wissen, dass eine ältere Frau eine Karriere hat und weiß, wer sie ist. Kurzum: Dass sie in ihr eine gleichberechtigte Partnerin haben.“ Susan Sarandon, 60, mit der Geena Davis bis heute eng befreundet ist, hat es mit Ehemann Tim Robbins, 48, genauso gemacht. „Ich habe ein so wunderbares Vorbild in Susan“, sagt Davis. „Sie ist zehn Jahre älter als ich und eine Art Spiegel meiner Zukunft. Sie sieht so toll und natürlich aus.“

Seit Mutter Geena mit ihren Kindern vorm Fernseher sitzt, stellt sie fest, dass es für das Mädchen kaum positive Identifikationsfiguren gibt. Kurzerhand gründete die Schauspielerin die Aktion ‚SeeJane‘. Die setzt sich für mehr und differenziertere weibliche Figuren im Kinder- und Jugendfilm ein. Denn: „Kinder sehen die Ungleichheit der Geschlechter von der ersten Minute an, schon in den ersten Zeichentrickfilmen und Serien. Und das soll die Gefühle von Mädchen und Jungen nicht beeinflussen?“

So ergab eine von SeeJane in Auftrag gegebene Studie, dass in 101 bekannten Kinderfilmen, die zwischen 1990 und 2005 in die Kinos kamen, drei der vier ProtagonistInnen männlich sind. Nur jeder achte Film hatte eine weibliche Hauptperson zu bieten. Prompt zitierte ‚SeeJane‘ renommierte Kinderfilm-Bosse von Dreamworks bis Disney an den Runden Tisch, um zu beraten, wie das zu ändern ist. Davis: „Wenn es erst normal ist, dass schon kleine Kinder überall männliche und weibliche Charaktere sehen, die gleichermaßen aktiv und komplex sind, dann werden Mädchen und Jungen mit einem anderen Geschlechterbild aufwachsen.“

Einen ganz besonderen Beitrag dazu leistet Mutter Geena als Ms President gerade selbst. 17 Millionen amerikanische ZuschauerInnen stimmten mit Ja, als ‚Commander in Chief‘ im September 2005 zum ersten Mal über die Bildschirme flimmerte und machten die Serie zum erfolgreichsten Neustart der Saison. Und auch in Deutschland hatte die Pilotfolge mit einer Million ZuschauerInnen einen Marktanteil von elf Prozent und pendelte sich dann bei acht Prozent ein – wohlgemerkt: bei der „werberelevanten“ Zielgruppe der 14 bis 49-Jährigen. Es wäre interessant zu erfahren, wie viele Frauen im Davis- bzw. Clinton-Alter dienstags um 22.15 Uhr den Fernseher anschalten.
In den USA ging die Amtszeit der TV-Präsidentin dennoch nach einem halben Jahr zu Ende. Die offizielle Begründung des Sender ABC: Sinkende Zuschauerzahlen.

Hatte es etwa damit zu tun, dass man der Serie unterstellte, sie sei eine Werbekampagne für Hillary Clinton? Dabei ist Geena Davis, Mitglied des Hochbegabten-Netzwerks ‚Mensa‘, viel zu klug, um sich parteipolitisch zu äußern. Ihr einziges Statement lautet: „Ich will eine Frau im Weißen Haus sehen.“ Oder hat es ganz einfach so manchem nicht gepasst, eine so überzeugende Frau im Weißen Haus zu sehen – und sei es nur im Fernsehen?

Jedenfalls lag es nicht an Geena Davis. Zwar schrieben Kritiker, diese Präsidentin sei „zu gut, um wahr zu sein.“ Aber ihrer Darstellerin bescheinigten sie eine „neugewonnene Reife“ und „Bodenhaftung“ sowie „die richtige Mischung aus Ehrgeiz, Idealismus und Selbstbewusstsein“. Und schwärmten: „Die Frau, die 2000 fast Olympia-Bogenschützin geworden wäre, gibt Mackenzie Allen eine Haltung, die nichts weniger als präsidentiell ist.“ So mangelt es der Serie auch nicht an Preisen. Im Januar wurde Geena Davis, die 1982 in ‚Tootsie‘ debütierte und 1988 einen Oscar für ‚Die Reisen des Mr. Leary‘ bekommen hatte, für ihre Präsidentin mit dem Golden Globe ausgezeichnet und für den Emmy nominiert. Und das Netzwerk ‚Women in Film‘ verlieh Davis gar den Lucy-Award für ihre „Verdienste um die Frauen im Fernsehen“.

„Four more years!“ rief Geena Davis ihrer Filmcrew zu, als sie von der Absetzung der Serie durch ABC erfuhr – wie echte PräsidentInnen es tun, wenn sie in den Wahlkampf ziehen. Auch Geena Davis kämpfte – und errang einen Teilsieg. ABC kündigte einen ‚Commander in Chief‘-Spielfilm an. Mackenzie Allen wird also doch eine zweite, 90-minütige, Amtszeit haben.
Trockener Kommentar des New Yorker: „Geena Davis’ greatest role is role model.“

Chantal Louis, EMMA November/Dezember 2006

Welcome, Mrs. President: Immer dienstags 23.15 Uhr, SAT1, bis mindestens 19. Dezember.

www.SeeJane.org 

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