"Ruf halt den Computerheini an!“, dieser Satz fällt in so ziemlich jedem Büro mehrmals die Woche. Dann kommt er, der Mann in den Trekking-Klamotten, der den PC davor bewahrt, aus dem Fenster geworfen zu werden und die Hegemonie zwischen Mensch und Maschine wiederherstellt. Besonders redselig ist der Computerheini nie, er schafft es auch nicht, die geschehenen Fehler so zu erklären, dass sie nie wieder passieren. Und noch seltener ist der Computerheini eine Frau. Nicht mal in der EMMA-Redaktion.
IT-Berufe sind Männersache. Und der Fisch stinkt vom Kopf her. Aber gerade rumort es im Bauch – und von da kommen gute Nachrichten. Die Frauen sind im Kommen. Es hat nur ein wenig gedauert.
Das Silicon Valley ist verschrien für seine Männercliquen und Sexpartys in Stripclubs, in Sado-Maso-Läden oder in privaten Villen von erfolgreichen Gründern. „Sexuelle Offenheit“ gehört zum Selbstverständnis einer Branche, die nach ihren eigenen Regeln lebt. Wer auf der Gästeliste steht, hat es geschafft, kann im Whirlpool den nächsten großen Deal abschließen.
Diese Deals haben Konsequenzen für uns alle. Die Erfindungen bestimmen, wie wir miteinander kommunizieren, wie wir uns informieren, was wir einkaufen, wie wir die Welt sehen. All das wurde von ein paar weißen Männern geschaffen. Und sie haben die Produkte auf sich und ihre Bedürfnisse zugeschnitten.
Dass sie dabei jedoch jemanden vergessen haben, erkennt die Branche sogar langsam selbst. Twitter-Mitgründer Evan Williams fragt sich öffentlich, ob unsere Welt vielleicht nicht doch eine bessere wäre, wenn mehr Frauen in Tech-Firmen das Sagen gehabt hätten: „Wenn Frauen stärker an der Entstehung von Twitter beteiligt gewesen wären, wäre Onlinemobbing nie ein so großes Problem geworden. Die Gründer dachten an all die schönen Möglichkeiten ihrer Anwendung. An Beschimpfungen und Vergewaltigungsdrohungen aber dachten sie nicht. Vielleicht wären Videospiele dann jetzt nicht ganz so gewaltverherrlichend und Pornos weniger omnipräsent.“
Trotzdem bahnten sich einige wenige Frauen den Weg nach ganz oben. Geschäftsführerin Sheryl Sandberg, die mit ihrem Buch „Lean in“ eine Debatte über Frauen und Karriere ausgelöst hat, zum Beispiel (EMMA berichtete). Auch YouTube, IBM und XEROX haben Frauen als CEOs. Immerhin. Selbst in Deutschland schaffen es einige bis ganz an die Spitze der Tech-Welt. Bei Microsoft Deutschland haben es immerhin schon fünf Frauen in das 14-köpfige Geschäftsführungsgremium geschafft. Nur es bleiben auffallend viele nicht lange an der Spitze der Unternehmen. Sie nervt die Macho-Kultur.
Im Mittelfeld allerdings, jenseits des Silicon Valleys und der Dax dotierten Unternehmen sieht es schon besser aus, dort passiert der wahre Umbruch. Frauen sind schon heute „Global Chief Information Officer“, „Outreach, Engineering Manager“, „Certified Tester“ oder „Scrum Master“. Berufe, deren Bezeichnungen für Außenstehende wie erfunden klingen. Doch die Frauen, die sie ausfüllen, führen nicht selten Unternehmenszweige mit mehreren Tausend MitarbeiterInnen in den USA, Skandinavien, Asien oder auch Deutschland. Und anders als in vielen anderen Branchen suchen diese Frauen ganz aktiv den Schulterschluss zu anderen Frauen. Weil sie die sexistisch versiffte Macho-Kultur der Szene satt haben und wissen, dass sie nur mit Verbündeten nach oben kommen können. Und: Sie wissen, wie sich Diskriminierung anfühlt. Unter dem Hashtag „WomeninTech“ verbünden sie sich global, versuchen anderen Frauen die Türen zu öffnen.
Eine dieser Türöffnerinnen ist Gabriela Motroc. Sie leitet die JAXenter.com-Website. „JAX“ ist eine Fachkonferenz für Softwareentwicklung und eine der größten Informationsveranstaltungen der IT-Branche in Deutschland. (Die nächste findet übrigens am 10. Mai in Mainz statt.) Auf der Website porträtiert Motroc in der Reihe „Women in Tech“ inspirierende Frauen der ganzen Welt, die erfolgreich in der IT-Branche Fuß gefasst haben und dort nachhaltig arbeiten.
„Nichts ist für Frauen in dieser Branche so wichtig wie andere Frauen. Zu sehen, was und wie sie es machen. Daraus wachsen ein starkes Selbstbewusstsein und starke Ellenbogen“, sagt Motroc. Ihre Porträt-Reihe hat in der Szene eingeschlagen. Musste sie anfangs noch nach Protagonistinnen suchen, kann sie sich heute vor Vorschlägen, die von IT-Frauen weltweit bei ihr eintrudeln, gar nicht retten. Auch die Netzwerke wachsen. Da wären die „Female Tech Leaders“ aus München, die „Women in Tech“ aus Dänemark, die „European Women in Tech“, die „Women’sTEC“ in Belfast oder die „WITIS – Women in Tech International“. Es gibt sie in nahezu jedem Land, jedem aufstrebenden IT-Zweig.
Sandra Persing ist eine der Netzwerkerinnen und „Global Strategist“ bei Mozilla in Kalifornien. Seit Jahren setzt sie sich in der Organisation „Women who code“ (Frauen, die programmieren, EMMA berichtete) für ein Umdenken in der Tech-Welt ein. Bei einer Entwicklerkonferenz wurde sie von einem der führenden Köpfe des Silicon Valley von oben bis unten gescannt und gefragt: „Gehörst du überhaupt hierher?“.
„Es gibt Forschungen, die zeigen, wie mein asiatisches Gesicht, mein Geschlecht als Frau, vielleicht sogar meine kleine Statur, mich davon abhalten, dass mich Unternehmen als Führungsfigur ansehen, und ich nicht so schnell vorankomme wie meine Kollegen“, sagt sie.
Liat Palace ist „Director des Delivery Technology Office DevOps Coaching Teams“ bei Amdoc in Israel, einem der größten Anbieter für Telekommunikationssoftware. Palace arbeitet an der Schnittstelle von Meta-Analyse und der Psychologie der Software-Entwicklung. Während ihres Studiums war Liat die einzige Frau in ihrem Jahrgang. „In Israel gibt es die geheime Bruderschaft des Mannes. Männer werden viel mehr von ihren Egos angetrieben. Wir Frauen aber überschätzen uns und unsere UserInnen nicht. Wir verfügen über bessere Menschenkenntnis, programmieren umfassender. Und genau das ist das Rezept für den zukünftigen Erfolg der Branche.“
In Deutschland ist die gebürtige Irakerin Aya Jaff (23) zum Gesicht des Geschlechterwandels der Tech-Szene geworden. Als sie für ihren Vater als Kind die Bedienungsanleitung für den neuen Computer übersetzen muss, ist der Funke übergesprungen. Aya Jaff studiert Informatik, bricht das Studium jedoch ab, weil sie ihr eigenes Ding ma- chen will. Durch das Programm „Women who code“ landet sie im Silicon Valley, gründet ein Start Up, wird erfolgreich. Sie spricht auf Konferenzen wie den Ted Talks über Frauen, sie coacht UnternehmerInnen bei der Digitalisierung und ist fest entschlossen, die Tech-Welt nicht den Männern zu überlassen.
Das wird nicht passieren. Der Digitalverband Bitkom hat jüngst 82.000 freie Stellen für IT-SpezialistInnen gezählt. Frauen auszusortieren kann sich die Branche gar nicht leisten. Und: Aktuelle Studien zeigen, dass IT-Unternehmen mit Geschlechterparität erfolgreicher sind, sogar zu 70 Prozent mehr Chancen haben, neue Märkte zu erobern. „Solche Unternehmen sind der Lage, die zentralen Fragestellungen von Unternehmen ganzheitlich zu analysieren, effektivere Entscheidungsprozesse zu verfolgen und letztlich auch bessere Entscheidungen zu treffen. Unterschiedliche Denkansätze bedeuten mehr Innovation, mehr Umsatz“, erklärt Motroc.
Selbst das Silicon Valley horcht nun auf. Die Branche ist von Geld getrieben, und da kann man die Firmen empfindlich treffen. So geschehen in der Aktion „delete Uber“ (lösche Uber), die KundInnen des privaten Taxidienstes aufforderte, die App zu löschen, um gegen den sexistischen Umgang des Unternehmens mit Frauen zu protestieren. Nicht zuletzt dank #MeToo agieren UserInnen sehr viel bewusster, nehmen ihre Macht als KonsumentInnen wahr.
Die Branche reagiert. Die IT-Arbeitgeber haben sich hohe Ziele gesteckt: Bis zum Jahr 2020 soll jede vierte IT-Stelle in Deutschland mit einer Frau besetzt sein.
Termine: Vom 6. bis 8. Mai findet in der Station Berlin, Luckenwalder Straße, die re:publica statt, eines der wichtigsten Festivals der digitalen Gesellschaft – und ein guter Ort für Frauen, die in die IT-Szene wollen. 19.re-publica.com