Wer hat Angst vor Maria Magdalena?

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Die Männerkirche hat Angst. Denn Jesus war sie die liebste unter seinen Jüngern und seine eigentliche Nachfolgerin. Und Dan Brown inspirierte sie zu ‚Sakrileg‘ und so allerlei Spekulationen.

Auf dem berühmten Gemälde ‚Das Abendmahl‘ von Leonardo da Vinci sitzt links von Jesus ein weiblich wirkender Jünger, der sich einem anderen zuneigt, aber genauso gekleidet ist wie der Gottessohn,
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in identischen Farben. Der Jünger, der eine Frau sein könnte, ist Maria Magdalena. Das behauptet zumindest Dan Brown in seinem Thriller ‚Sakrileg‘. Der Partnerlook sei Ausdruck der Verbundenheit zwischen ihr und Jesus. Mehr noch: eine Zeichen dafür, dass die beiden eins sind. Zwei Kehrseiten einer Medaille. Des Göttlichen, das Mann und Frau zugleich ist. Ying und Yang.

In ‚Sakrileg‘ geht es um die Suche nach dem Heiligen Gral. Sein Hüter ist die Bruderschaft von Sion, in der auch Schwestern Mitglied sein dürfen. Das männerbündisch-katholische Opus Dei will den Gral – folternd und mordend – an sich bringen, weil es ahnt, was sich darin verbirgt: Schriften aus der Zeit Jesu, die beweisen, dass Maria Magdalena die weibliche Hälfte Gottes ist.

Nach dem Filmstart von ‚Sakrileg‘ am 18. Mai riefen die katholischen Bischöfe in Polen ihre Schäfchen zum Boykott auf. Der Vatikan hatte schon das Buch auf die Liste der sündigen Schriften gesetzt. Seit dem Streit um die Mohammed-Karikaturen schreien Gläubige jeglicher Couleur wegen der Verletzung ihrer religiösen Gefühle zunehmend lauter nach Zensur. Bei ‚Sakrileg‘ allerdings ist neu, dass Film wie Buch nicht nur die Gemüter von Gläubigen erhitzen, sondern auch die von Filmkritikern und Literaturrezensenten, Historikern und Kunstexperten. Einhellig werfen sie alle Dan Brown Tatsachenverfälschung, Geschichtsklitterung und Verschwörungswahn vor.

Dabei hat der Bestsellerautor nicht Faction geschrieben, sondern Fiction, die sich „mit dem göttlich Weiblichen beschäftigt“. Dan Brown: „Heutzutage leben wir in einer Welt, in der es nur noch männliche Götter gibt. Die Frauen sind in den meisten Kulturen ihrer spirituellen Kraft beraubt worden. Der Roman berührt die Frage, wieso und warum diese Verschiebung stattgefunden hat.“

Doch das geht in dem Tumult völlig unter. Was Gläubige am meisten aufregt: In ‚Sakrileg‘ wird behauptet, dass der Gottessohn mit Maria Magdalena Kinder zeugte. Jesus darf nur „ein gänzlich lustloser Erlöser“ sein, spottet die katholische Theologin Uta Ranke-Heinemann schon in ihrem 1988 erschienenen Buch ‚Eunuchen für das Himmelreich‘.

In den Niederlanden informiert die katholische Bischofskonferenz auf einer zum Filmstart von ‚Sakrileg‘ eingerichteten Website über „die wirklichen Fakten um Jesus Christus“. Fakten? Damit nimmt es die katholische Kirche nicht so genau. Ein Beispiel von vielen: In seinem ursprünglichen Römer-Brief hatte der Apostel Paulus die frühchristliche Missionarin Junia als „unter den Aposteln herausragend“ gerühmt – in den Folge-Auflagen wurde aus ihr kurzerhand ein männlicher Junias gemacht.

Der Satz von dem Weib, das in der Gemeinde zu schweigen hat, soll Paulus erst nachträglich untergeschoben worden sein. Dafür spricht außer der Hymne auf die Apostelin Junia, dass es in den so genannten Paulusakten heißt: Er sei mit Thekla herumgereist und habe sie sogar mit der Verkündung des Evangeliums beauftragt.

Weil sich daraus ein Frauenrecht aufs Priesteramt ableiten ließe, wurde diese Apostelgeschichte nicht in den Kanon (Richtschnur und Maßstab) der neutestamentarischen Texte aufgenommen, die als die wahren Zeugnisse des christlichen Glaubens gelten. Das entschied die Amtskirche, die sich um 300 n. Chr. etablierte. Alle nicht kanonisierten Paulusakten und diverse andere Schriften wurden als „apokryph“ gebrandmarkt. Dieses altgriechische Wort bedeutet: verborgen, heimlich.

„Der Erlöser liebte Maria Magdalena mehr als alle Jünger, und er küsste sie oftmals auf ihren Mund. Die übrigen Jünger klagten: ‚Weswegen liebst du sie mehr als uns alle?‘“ Dieses Zitat stammt aus dem apokryphen ‚Evangelium des Philippus‘. In vielen Apokryphen wird die herausragende Rolle Maria Magdalenas in der Jüngerschaft Jesu betont, obwohl sie kirchenoffiziell gar nicht zu den Jüngern gehört. In den vier kanonischen Evangelien taucht Maria Magdalena alias Maria von Magdala allenfalls als Randfigur auf.

Bis feministische Theologinnen sie rehabilitierten. Bis dahin wurde Maria Magdalena als „Hure“ diffamiert, weil sie angeblich „die Sünderin“ ist, die Jesus im Lukas-Evangelium die Füße salbt. Dabei hat die Sünderin bei Lukas gar keinen Namen. Namentlich erwähnt er Maria Magdalena als eine der „Frauen im Gefolge Jesu“. In allen vier kanonischen Evangelien ist Maria Magdalena eine Auferstehungszeugin. Doch nur im Johannes-Evangelium entdeckt sie allein das leere Grab.

Es wird vermutet, dass der (relativ frauenfreundliche) Evangelist Johannes unter dem Einfluss der Gnosis (Erkenntnis) stand, die auch den ‚Sakrileg‘-Autor Dan Brown fasziniert. Die Gnosis ist eine religiöse Bewegung, die im ersten Jahrhundert vor Christus, vermutlich vom Iran und Syrien aus, in unterschiedlichen Religionen Fuß fasste. Auch im Judentum. Und später in den frühchristlichen Gemeinden.

Während traditionelle Juden und Christen (sowie Muslime) an einen männlichen Gott glauben, der direkt zu auserwählten Männern spricht und ihnen die Heilige Schrift offenbart, glaubten die (meisten) GnostikerInnen an eine kosmische Gottheit, männlich und weiblich zugleich, die im Lichtreich (Pleroma) wohnt, ohne sich zu offenbaren.

In der christlichen Gnosis tritt Jesus als Mittler zwischen der göttlichen Lichtwelt und der materiellen Welt der Menschen auf. Durch Jesus erkennen sie, dass in ihrem sterblichen Leib das unersterbliche Licht gefangen ist; dass auch sie Mann und Frau zugleich sind und aus der kosmischen Gottheit hervorgegangen. Das Ketzerische an der Gnosis ist die Selbsterlösung durch Selbsterkenntnis. Und die in Teilen der gnostischen Bewegung radikal gelebte Gleichberechtigung von Männern und Frauen.

In den frühchristlichen Gemeinden kam die Gnosis so richtig in Mode, was den ersten Kirchenvätern große Sorgen bereitete. Die Kanonisierung einiger der vielen christlichen Schriften, die damals kursierten, war (unter anderem auch) eine Reaktion darauf. Doch ob kanonisches oder apokryphes Evangelium – allesamt sind erst viele Jahrzehnte nach dem Tod Jesu entstanden. Kein einziger Evangelist hat den Erlöser live miterlebt. Alle haben lediglich die Geschichten, die über ihn erzählt wurden, aufgeschrieben. Auch die gnostischen Schriften sind ursprünglich mündlich erzählte Geschichten, genauso wahr oder unwahr wie die kanonisierten.

Lange kannte man die Gnosis-Version des Christentums nur als Zitate aus den Texten der ersten Kirchenväter. Doch im Dezember 1945 machte ein ägyptischer Bauer auf seinem Feld bei Nag Hammadi einen sensationellen Fund. Beim Pflügen stieß er auf einen vergrabenen Tonkrug, in dem 13 Papyrus-Bücher steckten. Er nahm sie mit nach Hause und warf sie achtlos auf einen Haufen Stroh. Seine Mutter riss Seiten heraus, um damit das Feuer anzuzünden. Der Dorflehrer rettete schließlich den Rest. Auf Umwegen gelangten die Papyri 1952 zum Koptischen Museum in Kairo. Es stellte sich heraus, dass es sich um die (überwiegend) im vierten Jahrhundert angefertigten, Abschriften von 53 apokryphen, in Griechisch verfassten Schriften handelte. Auch das bereits erwähnte Philippus-Evangelium steckte in dem Krug von Nag Hammadi. Ebenso ein Petrus-Evangelium, in dem Maria Magdalena „die Jüngerin des Herrn“ genannt wird. Und das Fragment eines ‚Evangeliums der Maria‘. Die Ursprungsfassung, wird in der Abschrift behauptet, soll Maria Magdalena selbst geschrieben haben.

In diesem Fragment fragt Petrus, der Fels, die anderen Jünger, warum Maria Magdalena mehr weiß als die Männer im Gefolge Jesu: „Sprach er denn mit einem Weibe heimlich? Sollen wir umkehren und alle auf sie hören? Hat er sie uns gegenüber bevorzugt?“

Woraufhin Lewi entgegnet: „Petrus, du bist von jeher aufbrausend. Nun sehe ich, wie du dich gegen die Frau ereiferst wie die Widersacher. Wenn der Erlöser sie aber würdig gemacht hat, wer bist denn du, dass du sie verwirfst?“

Lewi stellt die Machtfrage, vor der Brown sich drückt. Trotz der seitenlangen, theoretisierenden Dialoge, führt der streckenweise ziemlich langweilige Thriller ‚Sakrileg‘ nicht zu der eigentlich zwingenden Erkenntnis: Jesus, dem Päpste vermutlich ein Gräuel gewesen wären, hätte, wenn überhaupt wohl Maria Magdalena auf dem Papstthron gesetzt. Im Gegenteil, bei Bestseller-Autor Brown ist Maria Magdalena letzlich als Heiliger Gral nur ein Gefäß, das mit göttlichem Samen gefüllt wurde.

Die feministischen Theologinnen Jane Schaberg und Melanie Johnson-Debaufre aus USA bemängeln zu Recht: Die Achtung Maria Magdalenas „als Ehefrau Jesu“ bei Dan Brown basiere auf demselben „sexuellen Stereotyp“ wie ihre Ächtung „als Hure“ durch katholische Kirchenmänner.

Dennoch gibt es Grund zur Hoffnung. Zu verdanken ist dies dem Paderborner Papyrologen Carsten Peter Thiede. Der entdeckte im Februar 1994 im Oxforder Magdalen College in einer unscheinbaren Vitrine drei winzige Papyrus-Fetzen, die ein britischer Missionar Anfang des 20. Jahrhunderts bei einem Trödler in Luxor erstanden hatte. Thiede nahm die hinter Glas gerahmten Fetzen aus der Vitrine – und war alarmiert: Mit Hilfe moderner Hightech-Methoden datierte er sie auf das Jahr 70 nach Christi Geburt. Ein dermaßen altes Evangelium – so zeitnah an Jesus – war noch nie gefunden worden.

Wer weiß, vielleicht wird das von Maria Magdalena persönlich verfasste ‚Evangelium der Maria‘ eines Tages doch noch aufgespürt? Das könnte den Papstthron zum Wanken bringen.
Cornelia Filter, EMMA Juli/August 2006

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