Frauen in die Politik? Nicht jede!
"Es kommt mir vor, als sei ich als Kind in einen Zaubertrank geplumpst, ein bisschen wie Obelix“, sagt sie zu dem Interviewer und strahlt. So kommt es den Franzosen auch vor. Die etablierte politische Klasse, von links bis konservativ, zittert vor ihr. Die Umfragen sagten ihr einen wahrscheinlichen Sieg bei den Europawahlen im Mai 2014 voraus.
Marine Le Pen, 45, ist die Tochter eines Models und des antisemitischen, rassistischen, homophoben, ultrarechten Jean-Marie Le Pen. Der Vater gründete 1972 den Front National und kam in seiner Zeit auf maximal zwölf Prozent. Seit 2011 steht die Tochter an der Spitze der rechtspopulistischen Partei und verordnete ihr mit Erfolg einen Modernisierungskurs.
Die etablierte politische Klasse, von links bis konservativ, zittert vor ihr
Bei den Kommunalwahlen im März 2014 eroberte der Front National 15 Rathäuser, darunter traditionelle rote Hochburgen, und zogen 1.200 seiner Kandidaten in die Stadträte. Jeder vierte Franzose bzw. Französin würde sie wählen, 45 Prozent bezeugen Sympathie für die taffe Blondine. Was ist los in Frankreich? Rückt die Nation der Liberté und Fraternité nach rechts?
Es scheint komplizierter. Ja, auch die Tochter hat was gegen Fremde und will die jährliche Einwandererzahl von 200.000 auf 10.000 im Jahr reduzieren. Aber vom Antisemitismus des Alten hat sie sich radikal distanziert; von ihrem erfolgreichsten Parteigenossen, Steeve Briois, der bei den Kommunalwahlen das Rathaus der Arbeiterstadt Hénin-Beaumont eroberte, heißt es, er sei homosexuell – und was die modernen Frauen angeht, die werden von Marine persönlich verkörpert: Rechtsanwältin, zwei Mal geschieden, drei Kinder, Patchworkfamilie mit Lebensgefährten (der Theoretiker des Front National), pro Recht auf Abtreibung.
Und damit ist das Verwirrspiel noch lange nicht zuende. Die charismatische Chefin des Front National plädiert für einen starken (Sozial)Staat, die Reindustrialisierung Frankreichs sowie eine Achse Frankreich/Deutschland/Russland. Sie will die Macht der Banken beschränken, sie gar „teil- oder zeitweise verstaatlichen“ und den Spitzensteuersatz auf 46 Prozent heben. Zur Strategie der Leaderin passt, dass sie es verstanden hat, in den vergangenen Jahren renommierte linke und liberale Köpfe aus dem sozialistischen und bürgerlichen Lager in den Front National zu holen.
Bei den EU-Wahlen im Mai kandidiert Marine Le Pen mit der Absicht, ein Frankreich unter ihrer Ägide aus der Europäischen Union zu lösen – „nach einer Volksbefragung“, versteht sich. Denn das ist die wohl größte Verheißung der Front-National-Führerin: La Grande Nation. Frankreich den Franzosen! Damit erobert die Kandidatin die Herzen der geknickten, von Selbstzweifeln geplagten Franzosen auch weit über die klassische rechte Klientel hinaus.
Die wohl größte Verheißung der Front-National-Führerin: La Grande Nation!
Hinzu kommt: Nicht nur die Frauen goutieren ihre Kritik am politischen Islam. Marine Le Pen plädiert für eine konsequente Laizität: „Der Glaube ist eine strikt private Angelegenheit, und seine Ausübung darf nicht Gegenstand von Provokation sein.“ Das Prinzip der Laizität ist zwar in Frankreich eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dennoch hat vor allem die Linke im Namen des Kulturrelativismus den Siegeszug des politisierten Islam inklusive Kopftuch und Scharia keinen Einhalt geboten.
Ist die Front-National-Leaderin eine Wölfin im Schafspelz? Ist sie die Repräsentantin einer neuen rechtspopulären Bewegung, die im Begriff ist, ganz Europa zu erfassen? Und die in die von den etablierten Parteien gelassene Lücke der Politikmüdigkeit stößt?
Die Antwort ist offen. Aber eines ist klar: Bei den EU-Wahlen am 25. Mai 2014 wird in Frankreich vor allem eine triumphieren: Marine Le Pen.