Wer ist Tilda Swinton?

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Ihre "Julia", dieses versoffene, sexbesessene Wrack, galt von Anbeginn an als bärenverdächtig. Schon wie sie sich, aus Ekel vor sich selbst, die trockenen Lippen leckte, wenn sie mal wieder morgens neben einem Unbekannten aufwachte … In den Kinos jedoch läuft noch als erstes "Michael Clayton" an. Als knallharte Karrierefrau Karen Crowder und Anwalts-Gegnerin von George Clooney ist Tilda Swinton hier eine moderne Frau mit zwei Gesichtern. Das eine zeigt sie zu Hause ungeschminkt vorm Spiegel, um dann vor unseren Augen die Verwandlung zu vollziehen – aus der Durchschnittsfrau wird ein Monster, das über Leichen geht.

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Lange bestand Swinton darauf, "Performerin" genannt zu werden, oder noch lieber Wissenschaftlerin (in Sachen Film), denn an der Darstellerei allein ist sie weniger interessiert. Also schaffte sie es, ihr Mitspracherecht sogar bei einer Disney-Produktion durchzusetzen: Schon der Look der Eisprinzessin in den "Chroniken von Narnia" ging zu 90 Prozent auf ihr Konto.

Ganz anders als die betörende Botticelli-Schönheit ihres androgynen Orlando, mit dem sie 1992 den Durchbruch erzielte. Orlando durcheilt mit seinen Metamorphosen vierhundert Jahre englischer Geschichte, verkraftet sogar eine Geschlechtsumwandlung vom Mann zur Frau und gilt heute als das überzeugendste Beispiel für die stets mit dem eigenen Körper betriebene Geschlechterpolitik der Schauspielerin. Tilda Swinton hat für den Film mit Regisseurin Sally Potter fünf Jahre lang an der Konzeption der Hauptfigur gefeilt, die, anders als in Virginia Woolfs Roman, von Anfang an als Hosenrolle angelegt ist.

Doch wer ist Tilda Swinton? Von Haus aus eine höhere Tochter, die ihre Kindheit auf einem der ältesten Familiensitze der Insel in Schottland verbrachte und mit Lady Diana zur Schule ging. Doch schon auf dem renommierten West-Heath-Internat wollte sie lieber Schriftstellerin als Society-Lady werden. Sie studierte Politik und Sozialwissenschaften in Cambridge, engagierte sich mit 18 in den schwarzen Townships Südafrikas und verließ die Royal Shakespeare Company schon nach der ersten Spielzeit, um ihr Filmdebüt in Derek Jarmans "Caravaggio" (1986) zu absolvieren.

Neun Jahre und sieben Filme lang war sie dem großen Erneuerer des britischen Kinos der achtziger und neunziger Jahre als Muse zugetan. Bei ihm konnte die "ungelernte" Schauspielerin ihren unverwechselbaren gestischen Stil entwickeln. Tilda Swinton reklamiert für sich zu Recht, dass der Darsteller der einzige "Autor" seiner Figur ist.

Für Swinton waren das keine Rollen, sondern selbst geschaffene "Bilder", für die sie Tag um Tag neue Klamotten und sonstige Zutaten auf den Set schleppte, zur steten Überraschung von Regisseur wie Kollegen. Ob in der Pose des kühlen Hollywoodstars Grace Kelly, der gottgleichen Landesmutter Evita Perón, der exaltierten Schuhfetischistin Imelda Marcos, der souveränen Elizabeth II. oder der machtgierigen Margaret Thatcher – sie überzeugte immer und erhielt zurecht schon 1991 den Darstellerpreis in Venedig.

Durch Tilda Swintons Karriere geht ein Riss nach dem Tod von Derek Jarman 1994. Künstlerisch hält sie ihm nach wie vor die Treue; sie erinnert in Vorträgen an seine Arbeit oder tritt in den neuen DVD-Ausgaben der Filme als Kronzeugin auf. Öffentliche Trauerarbeit leistete sie unmittelbar nach seinem Tod, indem sie am Projekt "The Maybe" von Cornelia Parker teilnahm und sich eine Woche lang, acht Stunden täglich, in der Londoner Serpentine Gallery – später noch einmal in Rom – in einen gläsernen Sarg legte. "Matilda Swinton (1960)" war auf dem kleinen Schild zu lesen.

In den frühen Abschnitt ihrer Karriere gehört ihr erster amerikanischer Spielfilm "Female Perversions" (1996), der zweiten Hauptrolle nach Orlando. Regisseurin Susan Streitfeld konnte in ganz Amerika keine Aktrice finden, die ihren Ruf mit einer solchen "berufsschädigenden Rolle" aufs Spiel setzen wollte. Gezeigt wird der Zwangscharakter einer amerikanischen Erfolgsfrau, die ihren gesellschaftlichen Aufstieg dem fliegenden Rollenwechseln verdankt: aggressiv und extrovertiert, dominant, unerwartet regressiv, kleinmädchenhaft. Ein darstellerischer Parforceritt für Tilda Swinton, wie immer mit hohem Körpereinsatz.

"Tilda Light" hat sie selbst ihre etwas orientierungslose Übergangsphase zum amerikanischen Mainstream-Kino genannt, zu der Filme wie "The Beach" mit Leonardo di Caprio, "Vanilla Sky" mit Tom Cruise oder auch der Horrorfilm "Constantine" mit Keanu Reeves gehören. Eine neue Tilda Swinton war geboren, als sie ihre legendäre rote Haarpracht abschnitt und sich in die Niederungen einer amerikanischen Hausfrauenexistenz begab. In "The Deep End" (2001) umrahmen die etwas störrischen, nur noch schulterlangen Haare das besorgte Gesicht einer aufopferungsgewohnten Mutter dreier Kinder, die den tatverdächtigen eigenen Sohn mit allen Mitteln schützt. Sie selbst ist übrigens seit 1997 Mutter von Zwillingen. Swinton gelingt es, den "schwarzen Thriller" in einen "woman’s film" zu verwandeln.

Die neue Tilda Swinton ist keine Performerin mehr, sondern ganz einfühlsame Schauspielerin. Über sich selbst sagt sie: "Ich bin eine Soldatin. Ich lebe das Leben eines Soldaten, wenn ich drehe. So fühlt sich das für mich an. Nur, ich habe eine etwas größere Chance zu überleben."

"Michael Clayton" startet am 28. Februar. "Julia" ist ab dem 19. Juni in den deutschen Kinos.

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