Homosexualität - Wider die Natur?

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Wer denkt, dass Sex bei Tieren lediglich der Fortpflanzung dient und nur den Menschen die reine Lust zum Akt treibt, wird längst auch wissenschaftlich eines Besseren belehrt. Wenn es zur Sache geht, ist auch die Tierheit ganz von Sinnen. Homosexualität ist keine menschliche Erfindung.

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Dass wir auch hier von einem Vorurteil gründlich befreit wurden, ist vor allem dem britischen Biologen Bruce Bagemihl zu verdanken. In zehnjähriger Arbeit trug der Wissenschaftler für sein Werk „Biological Exuberance“ Hunderte von Studien über die Vielfalt der Homosexualität im Tierreich zusammen. Bei bisher 1500 Tierarten wurden homosexuelle Handlungen beobachtet, bei knapp 500 sind sie wissenschaftlich dokumentiert.

Folgerichtig kommt Bagemihl zu dem Schluss, Homosexualität sei Ausdruck der Spielfreude in der Natur, auch zum Beispiel bei schwulen Giraffen oder lesbischen Eichhörnchen. Die gleichgeschlechtliche Liebe wurde allerdings nicht erst im Zuge einer Liberalisierung der Tierheit entdeckt. Der Grund für die Ignoranz der tierischen Homosexualität lag in der Voreingenommenheit der Forscher. Erst als die menschliche Homosexualität nicht länger als „Abartigkeit“ klassifiziert wurde, waren die Forscher bereit, auch den tierischen gleichgeschlechtlichen Sex wahrzunehmen.

Das Phänomen ist schon lange bekannt. Bereits vor 2300 Jahren berichtete Aristoteles über lesbische und schwule Hyänen. Vor 100 Jahren titelte ein Biologe mit der „Sexuellen Perversion bei männlichen Käfern“, vor 40 Jahren ein anderer mit dem „aberranten sexuellen Verhalten beim südafrikanischen Strauß.“

Bis heute will die Homosexualität nicht in das Bild passen, das die meisten Forscher sich von der Evolution machen. Homosexuelle Handlungen bei Killerwalen wurden als „unpassend“, bei Grasläufern als „sexueller Nonsens“ beschrieben. Reiben zwei Bonoboweibchen ihre Geschlechtsteile aneinander und stoßen dabei Schreie aus, greifen Biologen nach Erklärungen wie „Versöhnungsverhalten“; nuckelt der Bonobomann am Penis seines Kumpanen, spricht man gar von „Futteraustauschverhalten“. Noch 1987 trug ein Artikel über homosexuelle Paarung von marokkanischen Schmetterlingen den Titel: „Eine Bemerkung zu den sinkenden moralischen Werten bei Lepidoptera“.

Dabei ist die erotische Phantasie der Fauna wahrlich beeindruckend. Delfinweibchen schieben ihre Flosse in den Genitalschlitz der Partnerin, männliche Seekühe bearbeiten das Geschlecht ihres Partners mit den Flossen. Flussdelfine stecken ihren Penis ins Blasloch des Kumpanen, Koalaweibchen besteigen andere Weibchen, und Möwenmännchen bauen gemeinsam ein Nest.

Schwule Bonobos hängen sich mit den Armen an Äste und tragen mit dem erigierten Penis Fechtturniere aus. Aztekenmöwenmänner machen es Geschlechtsgenossen überfallartig, auch wenn dieser sich gerade mit einem Weibchen vergnügt. Andere Tierarten mögen es lieber romantisch: Da knutscht ein Murmeltierweibchen erst zärtlich das Ohr ihrer Freundin, bevor sie sie besteigt. Schimpansenmännchen tauschen innige Zungenküsse aus, bevor es zur Sache geht.

Und auch sozial ist alles drin: von der lebenslangen und männerlosen lesbischen Beziehung zweier Füchsinnen bis zur Orgie von fünfzig Walrossbullen, die im seichten Wasser anal verkehren oder mit den Flossen masturbieren.

Lesbische Lachmöwen betreiben sogar Spermaklau, und lassen sich von einem Lachmöwenmann besteigen, um die befruchteten Eier dann mit ihrer Freundin auszubrüten und die Küken aufzuziehen.

Dass gleichgeschlechtliche Partnersuche sich nicht auf Artgenossen beschränken muss, davon können die Wissenschaftler in Aufzuchtstationen für Bartgeier erzählen. Hans Frey ist ein angesehener Veterinärmediziner an der Universität in Wien und der gefragteste Experte für die einst ausgerotteten Bartgeier in Österreich. 20 Jahre lang lebte der Forscher in einer Art Paarbeziehung mit einem Bartgeier, länger als seine erste Menschen-Ehe hielt. Dabei ist Frey keinesfalls Sodomit, sondern benötigte den Bartgeier für die Aufzucht von Jungvögeln. Das klappt aber nur, wenn vorher das ganze Programm mit Flirten, Nestbau, Paaren, Brüten abgelaufen ist.

Bei Freys Bartgeier war es Liebe auf den ersten Blick. Schon vom ersten Moment des Kennenlernens warf der Vogel dem Forscher begehrliche Blicke aus rotgeränderten Augen zu. Der hat dann – aus Bartgeiersicht – auch nichts ausgelassen, den Vogel in seinen Gefühlen zu bestärken. Er hat mit dem Vogel geschmust, ihn gekrault, ihm Material mitgebracht, das der Bartgeier zu einem prachtvollen Nest verbaute. Und als Frey sich dann mal arglos bückte, um etwas aufzuheben, hat es der Vogel ausgenutzt und ihn „begattet“.

Der Geier meinte es ernst mit Frey und blieb fortan dem Forscher treu ergeben. Mit einem „Morgenschnacksler“ war es da allerdings nicht getan, bis zu zehnmal am Tag musste der Forscher schmusen. Frey: „Der konnte nicht genug kriegen von mir.“ Der Forscher musste bei diesen Flirts Standfestigkeit beweisen, immerhin bringt ein Bartgeier sieben Kilo auf die Waage, bei einer Flügelspannweite von drei Metern. Nun liegt die Paarungszeit der Geier ausgerechnet im Dezember. Irgendwann schlug Frey seiner Frau vor, der Geier könne doch mit seinem Geierhorst unter der Treppe im Hausflur einziehen. Zu ihrer Reaktion muss man wohl nichts weiter sagen.

In Spanien hat sich ein Bartgeier gleich in zwei Mitarbeiter einer Aufzuchtstation verliebt. Die machen da jetzt zu dritt rum. 2006 wurde in Oslo eine Ausstellung über schwule Giraffen und lesbische Pinguine eröffnet. „Wider die Natur?“ hieß die Schau. Die Ausstellung erfreute sich großen Interesses unter den bekanntermaßen sexuell ganz entspannten Skandinaviern.

Zurück zum Wegbereiter Bagemihl. Für ihn ist Homosexualität bei Tieren auch ein starkes Argument gegen das Dogma, animalische Sexualität stehe ausschließlich im Dienste der Fortpflanzung – und nur die Krone der Schöpfung habe den lustvollen Sex entdeckt. Bagemihl: „Der Mensch ist die einzige Spezies, die Homosexualität als etwas Abnormes betrachtet.“

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