Wie BILD so richtig baden ging!
"BILD dir eine Meinung", lockt die Werbekampagne - und die Menschen taten es. Nur anders, als BILD es erwartet hatte. Die obszöne Werbekampagne der Boulevardzeitung löste einen Massenprotest im ganzen Land aus - und die ersten effektiven Verbote sexistischer Werbung. In mehreren Städten wurde die Werbung abgehängt. Nur einer blieb cool: der Erfinder der Kampagne, BILD-Chef Kai Diekmann. Für ihn sind die nackten BILD-Leserinnen keine benutzten, naiven Frauen, sondern "selbstbewusste junge Frauen, die offen, unverkrampft über ihre Sexualität reden - wie es eben in dieser Altersklasse üblich ist". Doch hat das Ganze wenig mit Alter und viel mit Geschlecht zu tun. Und sieht es ganz so aus, als würde die BILD-Kampagne zum Startsignal einer breiten Gegenwehr gegen die epidemisch grassierende Pornografisierung.
An der Bushaltestelle in Köln-Buchheim hängt, wie in dieser Woche in rund 9.000 Leuchtkästen in ganz Deutschland, meterhoch eines der vier BILD-Werbemotive: Hier die, nach BILD-Angaben, 20-jährige Zahnarzthelferin Sylvia aus Hamburg, nackt bis auf den Tangariemen und dem ihr in den Mund gelegten Spruch: "Mein Rekord liegt bei 8 Stunden." Und darunter steht: "Neue Geschichten aus dem Bettkästchen. Exklusiv in BILD."
Als Uwe Mittelstaet an diesem Samstagabend des 9. November kurz nach Mitternacht an die Haltestelle tritt, stehen da drei Menschen: zwei angetrunkene Männer und eine Frau, alleine. Die Männer werfen einen Blick auf die Werbung - und einen auf die Frau. Dann sagt der eine zu ihr: "Na Kleine, wie hoch liegt denn dein Rekord? Können wir ja gleich hier mal testen!"
Vier Tage danach ist der unfreiwillige Zeuge noch immer so empört, dass er sich entschließt zu handeln. Er schreibt die Szene auf ("Wer sind die Verantwortlichen?") und faxt das Ganze an: alle Lokalzeitungen, die Kölner Verkehrsbetriebe, die Stadt Köln, den Werberat - und EMMA. Nur zwei reagieren: wir und der Werberat. Letzterer mit seinem üblichen Standardbrief. Aber darüber später.
Der Kölner ist nicht einer von Hunderten, er ist einer von Tausenden, die sich in diesen Tagen über die pornografische Werbung der größten deutschen Boulevardzeitung aufregen. Frauen wie Männer, Frauenbeauftragte wie PolitikerInnen, ja sogar eine veritable Ministerpräsidentin. Sie alle bombardieren mit Briefen, Faxen und Emails: BILD, Verlegerin Friede Springer, den Werberat, die Medien, BürgermeisterInnen und Bundestagsabgeordnete. Und sie erreichen innerhalb weniger Tage einen der größten Erfolge in der Protest-Geschichte gegen sexistische Werbung: Die BILD-Kampagne wird in mehreren Städten gestoppt - darunter in Ulm, Pforzheim, Heidelberg und Karlsruhe -, die Plakate werden abgehangen.
Zu verdanken ist dieses sehr konkrete Resultat der allgemeinen moralischen Empörung einer Frau: der Ulmer Frauenbeauftragten Angela Kern. Die kramte kurzerhand den "Werbenutzungsvertrag" zwischen der Stadt Ulm und der Wall Verkehrsanlagen GmbH raus, die die Werbeflächen vermarktet. Und siehe da, da steht unter Punkt 10 ("Verletzung der Menschenwürde, frauenfeindliche Darstellung"): "Wall ist verpflichtet, Werbeaufträge zurückzuweisen, deren Inhalt (...) gegen die Menschenwürde verstößt. Zur Vermeidung von frauenfeindlicher Werbung wird sich Wall in Zweifelsfällen mit der Frauenbeauftragten der Stadt Ulm beraten."
Der Zweifelsfall war keiner, die Lage war eindeutig. Eindeutig frauenfeindlich. Der Meinung waren auch Kerns Vorgesetzte, der Ulmer Bürgermeister und Oberbürgermeister. Zwei Tage später war die BILD-Werbung aus den Ulmer Leuchtkästen verschwunden - fünf Tage vor Ablauf der Kampagne. Flugs mailte Frauenbeauftragte Kern ihren Erfolg an alle Kolleginnen in Baden-Württemberg: Und auch die begannen zu handeln. In Heidelberg schaltete sich gar Oberbürgermeisterin Beate Weber persönlich ein.
Und wenn sich im Januar die Frauenbeauftragten aus ganz Deutschland wieder turnusmäßig treffen, wird die erfolgreiche BILD-Kampagne wohl ganz vorne auf der Tagesordnung stehen: Denn, da sind sich alle Frauenbeauftragten einig, ein Passus wie der von Ulm gehört in Zukunft in alle staatlichen und kommunalen Verträge mit Werbern!
Bis in den hohen Norden schlugen die Wellen der Empörung hoch. In Bremen hagelte es dermaßen Beschwerden bei Frauensenatorin Karin Röpke ("Auch von empörten Männern"), dass die Senatorin BILD aufforderte, die Werbung umgehend zu stoppen: "Es ist nicht hinzunehmen, dass Frauen auf diesen Plakaten in entwürdigender Form dargestellt und die Botschaft verkündet wird, sie seien sexhungrige Dummerchen und für Männer allzeit verfügbar!"
Doch BILD stellte sich dumm. Schließlich hatten die "ganz normalen BILD-Leserinnen" sich freiwillig zur Verfügung gestellt und sind, so behaupten die verantwortlichen Herren von BILD, "selbstbewusste Frauen, die mutig und offen über sehr Privates reden".
Über diese Chuzpe im Hamburger Pressehaus waren nicht nur reichlich BILD-LeserInnen, sondern auch die Mitarbeiter der Bremer Frauensenatorin echt sauer. "Wir kamen spontan auf die Idee, dass sich jetzt doch die Männer mal nackt fotografieren lassen könnten", erzählt Büroleiter Henschen. Gesagt, getan. Ganz wie die BILD-Mädchen ließen die Herren sich (fast) nackt ablichten, mit Aktenkoffern und Laptops vor den heiklen Stellen - um so zu demonstrieren, wie lächerlich eine obsessive Sexualisierung des menschlichen Alltags ist.
Frau Henschen war zunächst recht skeptisch über die Idee - aber dann vom Foto begeistert. Und nicht nur die Ehefrauen "fanden es toll": "95 Prozent der vielen Reaktionen aus ganz Deutschland waren positiv". Und was machte nun die BILD-Zeitung? Sie veröffentlichte die Parodie ("Wirbel um die sexy Plakate"), aber ließ eine der jungen Frauen, Michaela, die Bremer abkanzeln: "Bäh, ihr verklemmten Männer!"
Doch ganz so einfach ist das mit der Manipulation nun doch nicht. Auch bzw. schon gar nicht für ein Massenblatt, das von täglich sechs Millionen Menschen gelesen wird - darunter stattliche zweieinhalb Millionen Frauen! "Eine Massenzeitung kann man nur mit dem Trend, aber nicht gegen den Trend machen", das weiß auch BILD-Chef Kai Diekmann. Doch hat er Neigung, seinen sehr persönlichen Trend zur Pornografie mit einem Massentrend zu verwechseln. "Sex sells"? Stimmt. Stimmt aber auch nicht. Denn der Kampf gegen Pornografie hat, nicht zuletzt dank EMMA, gerade in Deutschland schon lange Zweifel gesät. Nach fast einem Vierteljahrhundert Protest und nach dem schrecklichen Erwachen à la Erfurt geht jetzt die Saat endlich auf!
Pornografie: Das ist die Reduzierung weiblicher Menschen zu (willigen) Objekten; es ist die Verknüpfung von Lust auf Sex mit Lust an Erniedrigung und Lust an Gewalt. Nach diesen Kriterien ist die Bettkästchen-Werbung von BILD reine Pornografie. Denn d ie sehr jungen Frauen sind alle so dargestellt, als seien sie nur Körper, ihre Blicke sind unterwürfig lockend, ihre Körper entblößt und nur notdürftig neckisch verdeckt, die ihnen untergeschobenen Sprüche obszön.
Doch Leute wie BILD-Chef Diekmann, der Erfinder der Kampagne, wollen das anscheinend nicht begriffen. KritikerInnen der Kampagne weist er doch tatsächlich darauf hin, die Plakate würden ja noch nicht einmal einen "nackten Busen noch einen nackten Hintern zeigen". Aber um Nacktheit geht es gar nicht, Herr Diekmann! Es geht um Erniedrigung. Ein unterwürfiger Blick kann tausendmal obszöner sein als bloße Haut.
Doch wer sind eigentlich diese jungen Frauen? Sie sind keine Profis, sondern Leserinnen, behauptet BILD. Leserinnen, die sich auch noch umsonst für die millionenschwere Werbekampagne auszogen und ihr Privatestes vor Millionen entblößten. Was vermutlich sogar stimmt. Und genau das ist das besonders Obszöne an dieser Kampagne: Sie zielt auf eine Verhurung aller Frauen. Nicht nur der Frau, die für ihre Erniedrigung wenigstens kassiert.
Doch sieht man genauer hin, ist selbst BILD zu entnehmen, dass die sexuelle Dauerverfügbarkeit dieser jungen Frauen keineswegs ihr eigenes Bedürfnis ist, sondern Projektion. Nehmen wir die 20-jährige Zahnarzthelferin Sylvia aus Hamburg ("Mein Rekord liegt bei 8 Stunden"). Sie schüttet, wie alle diese jungen Frauen, stolz ihr "Bettkästchen" in BILD aus und antwortet dort auf die Frage nach dem letzten Sex: "Kann ich mich nicht mehr dran erinnern, ist schon lang her." Wie's beim ersten Mal war? "Richtig Scheiße." Und was für sie die drei wichtigsten Dinge beim Sex sind? "1. Lachen, 2. Lachen, 3. Lachen." Und ohne Höschen würde Sylvia nie aus dem Haus gehen: "Ist mir zu kalt."
Oder Consuela, 21, die "Tänzerin aus Taucha" ("Was ich drunter trage? Nichts natürlich"). Sie antwortet auf die BILD-Frage nach dem Orgasmus: "Was ist das?" Und ihr "ungewöhnlichster" Sexplatz war - der Parkplatz von Ikea. Oder Anja, die 25-jährige Verkäuferin aus Dresden ("Mittags krieg ich Hunger. Auf Sex"). Sie legt wie alle vor allem Wert darauf, treu zu sein. Ihr erster Freund ist ihre "ganz große Liebe". Und beim Sex ist ihr Zärtlichkeit das Wichtigste.
Die "geilen" BILD-Mädchen sind also ganz normale Frauen und ihre Geschichte hätte, wenn "Brigitte" oder EMMA sie geschrieben hätte, ganz anders getönt. "Geil" sind nicht diese jungen Frauen, geil sind die Journalisten und Werber, die nur ihre eigenen Projektionen und Wunschträume vermarkten.
Mit der Phantasie, die jungen Frauen von heute seien läufige Hündinnen, "wird ein Frauenbild kolportiert, das mit der Würde des Menschen nicht vereinbar ist". Das schrieb Ministerpräsidentin Heide Simonis an die BILD-Verlegerin Friede Springer und forderte den sofortigen Stopp der Kampagne. Denn: "Die Bildzeitung wirbt mit jungen Frauen, die fast noch Kinder sind, offen für sexuelle Gewalt."
Direkt bei der als engagierte Christin bekannten Verlegerin protestierten auch Gräfin und Graf von Kalckreuth von Gut Mönkhof: "Wir wenden uns an Sie als Stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrates, moralische Instanz und Schirmherrin der Aktion 'Kinder in Not': BILD kennt bei Frauen nur ein Thema: Sex. BILD wirbt für sexuelle Gewalt."
Solche Briefe sind effektiver als die zahllosen Schreiben an den Werberat, der sich mit dieser Kampagne endgültig als zahnloser Tiger entlarvt hat, und für den jede Briefmarke, jede Faxeinheit rausgeschmissenes Geld ist. Eine gewisse Julia Berghoff hatte die undankbare Aufgabe, im Namen des Werberats auf die Hunderte von Protestbriefen wg. BILD-Werbung mit dem immer gleichen Standardbrief zu antworten. Es habe sich "folgendes Entscheidungsbild mehrheitlich im Werberat ergeben" (schon die Sprache!): "Die Plakate werben eindeutig für das redaktionelle Produkt der Zeitung ... grundsätzlich garantierte Pressefreiheit ..." Und auch "die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften hat die Plakate als nicht pornografisch eingestuft". Blahblahblah.
Doch die Menschen sind längst weiter als die Institutionen. Sie haben begriffen, dass Pornografie weder eine Frage von Nacktheit, noch eine von "Anstand und Sitte" ist, sondern eine Frage der Menschenwürde. Allerhöchste Zeit, dass darüber ein gesellschaftlicher Konsenz entsteht und auch Gesetze endlich dem Mehrheits-Bewusstsein angepasst werden! Denn nach dem geltenden Pornografie-Gesetz heißt die Messlatte für Pornografie immer noch "Anstand und Sitte" - was auch immer das sein mag. Ein neues Pornografie-Gesetz muss also her, wie EMMA schon seit 1988 fordert (siehe Seite 26). Und mehr gesetzliche Grundlagen, die über den moralischen Protest hinaus das praktische Handeln möglich machen (wie der Passus in dem Vertrag der Stadt Ulm).
Mehrheiten wären Medien und Politik dabei gewiss. Denn längst wissen alle, zu welcher Brutalisierung und Entmenschlichung nicht zuletzt die schrankenlose Verbreitung von Pornografie und systematische Pornografisierung von Medien und Kultur geführt haben. Von der Frauenfeindlichkeit, ja dem Frauenhass, den Pornografie schürt, ganz zu schweigen.
Die Briefe, die EMMA erreichten, sind nur ein winziger Ausschnitt der ohnmächtigen Wut der Menschen gegen die menschenverachtenden Texte und Bilder, aber zweifellos typisch für die Stimmung im Lande. "Ich fühle mich in meiner Würde als Frau so erniedrigt und gedemütigt wie noch nie!", schreibt Diana Lühmann, die "nicht weiß wohin - ich schreibe deshalb an die EMMA". Und Ulrike Ruppelt erkennt: "Es scheint der Kampf gegen selbstbewusste und autarke Frauen angebrochen zu sein - flugs wird den 'geschundenen' Männerseelen das sexhungrige Weibchen serviert." Martina Richter fragt: "Wie können ich und mein Freund Mitglied bei der EMMA-PorNO-Initiative werden?" Und Ulla Strunz-Rauchenecker aus Niederbayern mailt: "Ich versuche, meine zwei Mädchen zu kleinen starken Frauen zu erziehen - und nun diese Anzeigen. Das ist wie Hohn auf drei Jahre Emanzipationsarbeit." Für sie ist das eine "Aufforderung zur sexuellen Gewalt". Und genau das hat sie, zusammen mit ihrem Mann, auch BILD-Chef Kai Diekmann geschrieben, der sich ja etwas darauf zugute hält, ganz persönlich die Idee zur Kampagne gehabt und zusammen mit der BILD-Redaktion ausgearbeitet zu haben.
Wenige Tage später mailt Ulla Strunz-Rauchenecker EMMA ein zweites Mal: "Gestern kam ein unglaublich arroganter Brief von Herrn Diekmann als Antwort auf unsere Kritik an der Werbekampagne." In der Tat, der Herausgeber von BILD, der so gerne den "kleinen Mann auf der Straße" beschwört, scheint sich eher schwer zu tun mit dem Verständnis von der "kleinen Frau". "Ich bin in der Sache völlig anderer Ansicht", antwortet Diekmann der "sehr geehrten Frau Strunz-Rauchenecker", und belehrt sie, es ginge hier "um selbstbewusste junge Frauen, die offen, unverkrampft (und zuweilen auch zotig) über ihre Sexualität reden - wie es eben heute in dieser Altersklasse üblich ist. (...) Mit einem Aufruf zur sexuellen Gewalt, mit Pornografie oder Diskriminierung hat unsere Kampagne daher nicht das Geringste zu tun - aber viel mit der Lebenswirklichkeit junger Frauen."
Ganz klar, einer geht hier an der Lebenswirklichkeit vorbei - nur wer? Bestimmt nicht Thomas Sonnabend, der bei EMMA anfragte: "Wird Ihnen angesichts der neuen BILD-Werbekampagne nicht auch schlecht? Wo bleiben die emanzipatorischen Fortschritte?"
Hier sind sie, Herr Sonnabend, die Fortschritte! Diese BILD-Kampagne hätte von der EMMA nicht wirkungsvoller angezettelt werden können. Denn der so überwältigende und erfolgreiche Protest zeigt: Die Zeit ist reif! Reif, den verantwortungslosen Produzenten und Konsumenten von Pornografie endlich Einhalt zu gebieten.
EMMA Januar/Februar 2003
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EMMA-Kampagne PorNO! (ab 12/87)