Leihmütter: Skandal auf Kreta

Foto: www.tovima.gr
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Der Kunde, der das Kind in Natalias Bauch bestellt hatte, war ein 60 Jahre alter, alleinstehender Geschäftsmann mit Geld – so beschreibt der Spiegel einen Kindkäufer in seiner Enthüllungsstory „Mutterland“ über den Skandal auf Kreta. 

Ende August 2023 ging eine Nachricht aus der Hafenstadt Chania auf der griechischen Insel um die Welt. Eine Geburtsklinik war aufgeflogen, die mit Leihmüttern und deren Kindern einen Menschenhändlerring betrieben hatte. 30 schwangere Leihmütter aus Osteuropa waren bei einer Razzia festgenommen worden. Sie alle stammten aus ärmsten Verhältnissen und wurden von Zuhältern aus Moldawien, der Ukraine, Georgien, Rumänien und Bulgarien mit falschen Versprechungen nach Kreta gelockt.

Auf der Insel angekommen, mussten sich die teils sehr jungen Frauen – manche hatten noch nie geboren – künstlichen Befruchtungen oder Eizellspenden samt Hormonbehandlungen unterziehen. Sie kamen in Quarantäne, wurden überwacht, durften sich nicht frei bewegen. Ihr Lohn: gerade mal 200 bis 600 Euro im Monat, maximal 9.000 Euro insgesamt. Von den Kaufeltern verlangte die Klinik 70.000 Euro im Voraus und meist um die 120.000 Euro insgesamt für ein Baby, oft also mehr als das Zehnfache von dem, was die Leihmutter bekam.

Mutmaßlicher Kopf der Bande: ein 73-jähriger Gynäkologe und Chef des „Mediterranian Fertility Institute“, Ionnis Giakoumakis. Festgenommen wurden auch zwei Frauen, die die Polizei als „Maklerinnen“ bezeichnete. Zuhälterinnen könnte man auch sagen. Frauen, die Frauen aus ärmsten Verhältnissen als Leihmütter angeworben hatten, jene Natalia zum Beispiel. Sie kommt aus Moldau und erzählte dem Spiegel, warum sie Leihmutter wurde. Sie habe vier Kinder zu versorgen, ihr Mann sei ein Trinker. Sie habe sich verschuldet, um das Haus bezahlen zu können, aber dann fand sie keine Arbeit mehr, um die Schulden zurückzuzahlen. Über eine Zuhälterin wurde sie auf die Leihmutter-Agentur aufmerksam. 9.000 Euro wurden ihr geboten. Was sie damit machen wolle? „Das Haus bezahlen und meiner Tochter eine Ausbildung ermöglichen“, sagte sie. 

Eine andere Leihmutter erzählte den griechischen Medien: „Sie drohten uns, uns zurückzuschicken, wenn wir nicht gehorchten. Viele der Mädchen, mit denen ich zusammenlebte, waren psychisch gar nicht bereit für eine Schwangerschaft.“ Einige seien zum ersten Mal schwanger gewesen, hätten gar nicht gewusst, worauf sie sich einließen.

Wie die griechische Zeitung Ta Nea berichtete, wurden seit 2022 allein auf Kreta über 180 Fälle dokumentiert, in denen junge Frauen aus Osteu

ropa als Eizellspenderinnen und Leihmütter ausgebeutet wurden. Hinzu kamen mehr als 400 Fälle von Betrug: gefälschte Adoptionspapiere, Kauf und Verkauf von genetischem Material, Fälschung von ärztlichen Bescheinigungen für den gerichtlichen Gebrauch. Und: Schein-Embryonentransfer. In vier von sieben Fällen waren die Frauen gar keine Leihmütter – ihnen wurde weder Sperma noch Eizellen oder ein Embryo eingesetzt – sie waren die echten Mütter. Sie haben also ihr eigenes Kind ausgetragen und verkauft – ohne, dass es den KäuferInnen gesagt wurde. 

Nicht zuletzt wegen des Skandals in Griechenland dämmerte einer breiten internationalen Öffentlichkeit: Leihmutterschaft ist eine Form der Prostitution. Leihmutterschaft ist Menschenhandel. Es sind dieselben Netzwerke und dieselben Machenschaften krimineller Banden. Und dieselben Opfer: Frauen aus armen Verhältnissen, die keine andere Perspektive sehen, als ihren Körper zu verkaufen.

So wie Natalia. Der Käufer des Kindes, jener 60-jährige Geschäftsmann, habe ihr bisher nicht geholfen. Sie sagt: „Ich habe nicht das Gefühl, dass er sich für sein Kind interessiert. Das Kind tut mir leid.“ Bald wird es entbunden werden. Was aus ihm wird, ist ungewiss. Natalia wird es nicht durchfüttern können. Ihr Geld reicht kaum für ihre eigenen Kinder. 

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