Der „echte Mann“ ist wieder da!
Er ist wieder da, der „echte Mann“. Oder sollten wir sagen: der Männlichkeitswahn? Obermacho Trump zeigt der ganzen Welt, was ein echter Kerl ist. Und die Kings vom Silicon Valley jubeln ihm zu. Elon Musk findet, dass nur noch „Alpha-Männer“ regieren sollten. Mark Zuckerberg, früher als Softie im T-Shirt unterwegs, fordert heute im Anzug und mit millionenschwerer Golduhr „wieder mehr maskuline Energie in Unternehmen und Gesellschaft“. Oder Intellello Jeff Bezos – früher mit ebenbürtiger Gefährtin an seiner Seite, posiert heute mit Botox-Braut mit Schlauchbootlippen, die ihre modellierten Brüste mit sehr tiefem Dekolleté präsentiert.
„Der starke Mann ist zurück“, konstatieren die Medien. Die „Männer, die noch Kerle sind“ übernehmen wieder. Und die Jungs, die echte Kerle werden wollen, finden das mega. Denn gerade noch waren sie die „Sorgenkinder der Nation“ (Spiegel).
Aber: Ist das wirklich alles so neu? War der starke Mann jemals weg? Nein, natürlich nicht. Mark Zuckerberg ist dafür das beste Beispiel. Schließlich hat der Milliardär, der sich als Facebook-Chef so softiemäßig und diversitätsaffin gab, mal als kleiner Frauenhasser angefangen. Mit 19 programmierte der Harvard-Student, nachdem ihn seine Freundin verlassen hatte, zunächst die Plattform „Facemash“ (= Gesicht zermatschen). Dort postete er geklaute Fotos seiner Mitstudentinnen, die die Kommilitonen bewerten durften. Der Beginn des „Gefällt mir“-Buttons. Nach heftigen Protesten der Frauen musste Zuckerberg „Facemash“ wieder einstampfen.
Zuckerberg heiratete die Kinderärztin Priscilla Chan, gab mit ihr das Power-Couple und bekam drei Töchter. Und heute? Hat der Meta-Boss seine „Männlichkeit“ wiederentdeckt. (Ein Zufall, dass Scheidungsgerüchte kursieren?) Er präsentiert öffentlich, gern mit nacktem Oberkörper, sein neues Faible für Martial Arts, lässt seine antrainierten Muskeln spielen und erklärt bedauernd: „Ein großer Teil unserer Gesellschaft wirkt, als ob sie kastriert oder entmannt wäre.“
Doch die Wut der echten Männer schwelt schon länger. Bereits 2013 hatte der amerikanische Männerforscher Michael Kimmel ein ganzes Buch über die „USA und ihre zornigen Männer“ geschrieben. EMMA berichtete und zitierte: „Sie sind die Männer, die bei einem Diversity-Training ihrer Firma schnaubend in der Ecke hocken und knurren, dass sie von jetzt an ‚wie auf Eiern‘ durchs Büro laufen müssten. Sie kochen vor Wut, wenn ihre Firma eine Frau oder den Angehörigen einer Minderheit anstellt, weil die Förderung von Frauen und Minderheiten ihrer Ansicht nach eine Diskriminierung von Männern ist. Sie zischen vor dem Familiengericht bebend vor Zorn ihre Exfrau (und deren Anwalt) an. Und manche ihrer Söhne streichen als Teenager mit ein paar Freunden nachts durch menschenleere Vorstadtbahnhöfe auf der Suche nach Immigranten oder Schwulen, die sie zusammenschlagen können.“
Kimmel war durch die USA gereist und hatte mit vielen der „Angry White Men“ gesprochen. Und der erklärte Feminist war durchaus nicht ohne Verständnis für die Wut dieser Männer zurückgekehrt, die durch Globalisierung und Wirtschaftskrisen viel verloren hatten: ihre Jobs, ihre Häuser und ihren Status als Familienernährer. Denn es waren vor allem die Industrie-Arbeitsplätze der Männer, die verloren gegangen waren. Hinzu kamen die zunehmend selbstbewussten Frauen, die Homo-Ehe plus ein schwarzer Präsident. Und die heterosexuellen alten und jungen weißen Männer? „In dem großen, neuen, multikulturellen amerikanischen Mosaik“, so Männerforscher Kimmel, „sind sie der langweilige weiße Hintergrund, für den sich keiner interessiert, das billige Weißbrot in einer Kultur mit Tortillas, Wan Tan und biologischem Vollkorngebäck.“
Kimmel hatte den ersten Wahlsieg von Donald Trump damals vorausgesehen. Denn der enthemmte Polterer, der sich null für Political Correctness interessierte, nahm mit seinem „Make America Great Again“-Geprotze schon 2016 die gefühlte Degradierung der Männer auf und bot ihnen in knappen Vier-Wort-Sätzen einfache Lösungen an: Ihr seid wieder wer!
Doch das war keineswegs ein ausschließlich amerikanisches Phänomen. Den deklassierten und gekränkten Mann, dessen Wut sich in Sexismus und Rassismus Bahn bricht, gab es auch schon damals in Deutschland.
„Es ist nur logisch, dass einerseits die Männer, die die Frauen verstehen und an Beziehungen auf Augenhöhe interessiert sind, immer mehr werden – und andererseits die angezählten Helden, die ihre Machtfantasien aus der Unterwerfung der Frauen beziehen, immer lauter. Denn in der Tat, ihre Macht ist in Gefahr. Um sie zu halten, scheinen sie zu allem entschlossen ...“ Das schrieb EMMA im Jahr 2012 über die „Verschwörung der Maskulisten“. Schon damals hatte sich eine unheilige Allianz aus Männerrechtlern, Väterlobbyisten, christlichen Fundamentalisten und Rechten zusammengerottet, um ihre Herrenrechte wieder einzufordern.
Ein Jahr zuvor hatte in Norwegen Anders Breivik den bis dato opferreichsten Amoklauf begangen. Bevor er 77 Menschen erschoss, hatte er in seinem Manifest darüber schwadroniert, das „Patriarchat wiederherzustellen“. Frauen müssten „wieder wissen, wo ihr Platz ist“. Seither hatte Breivik viele Nachahmer, die ihren Frauenhass zunehmend offen bekunden. Fast immer waren die Täter junge Männer und, wie Breivik, Loser, Schulversager und obsessive Gamer, die sich in ihrer Computerspiele-Welt mit Männlichkeitswahn und Frauenhass munitioniert hatten.
Dass Jungen in der Schule von Mädchen abgehängt werden, ist schon lange zurecht Thema – und auch, auf welchem Pulverfass wir deshalb sitzen. EMMA berichtete 2008: „Jedes dritte Mädchen macht Abitur, aber nur jeder fünfte Junge. Dafür macht jeder dritte Junge einen Hauptschulabschluss, aber nur jedes fünfte Mädchen. Zwei Drittel aller Schulabgänger ohne Abschluss sind männlich. Ganz klar, wir haben ein Problem: Die Jungen, oder jedenfalls ein gewisser Teil von ihnen, sind bildungsmäßig abgehängt.“ EMMA zitierte damals den Bildungsforscher Hans-Jürgen Budde zu der Frage, was das Schulversagen der Jungen mit schädlichen Rollenbildern zu tun hat. „In dem Zwiespalt zwischen der Anerkennung als guter Schüler oder ein richtiger Junge zu sein, entscheiden sich viele für die Männlichkeit und gegen die Schule.“ EMMA: „Mit dieser Entscheidung einher geht die Flucht in virtuelle Welten, in denen die Geschlechterwelt noch in Ordnung ist: in Ballerspielen und Pornos zum Beispiel.“ Wir warnten: „Kaum etwas ist heikler als verunsicherte Männlichkeit. Es bleibt ihr nämlich nichts anderes übrig, als sich in Abgrenzung zum und in der Abwertung des ‚Anderen‘ zu definieren. Manchmal sind diese Anderen Türken oder Schwule, aber immer sind es Frauen und Mädchen. Und das kann tödlich enden.“
Auch, dass Männer tendenziell stärker rechts wählen als Frauen, ist keineswegs neu. Die Wahlstatistiken zeigen es seit Jahren.
Was also ist neu? Erstens: Die Rechtspopulisten fahren auch in Europa einen Wahlsieg nach dem anderen ein. Zweitens: Das Phänomen hat auf die jungen, die ganz jungen Männer übergegriffen, und das jetzt auch an der Wahlurne. 27 Prozent der Wähler zwischen 18 und 29, also knapp jeder Dritte, hat bei der letzten Bundestagswahl die AfD gewählt. Sie ist in dieser Altersgruppe stärkste Partei. Das gilt im Übrigen auch für die nächstältere Gruppe bis 44 Jahre, in der sogar 30 Prozent die AfD gewählt haben. Erst bei den Wählern zwischen 45 und 59 rutscht die CDU/CSU mit 32 Prozent auf Platz 1, dicht gefolgt von der AfD mit 27 Prozent.
Auch die weiblichen Wähler wählen, tendenziell abgeschwächt, mehrheitlich konservativ oder rechtspopulistisch. Große Ausnahme: die jüngste Wählerinnengruppe. Bei den 18- bis 29-jährigen Frauen machten 32 Prozent ihr Kreuz bei der Linken. Zwischen jungen Frauen und Männer klafft also ein gigantischer Geschlechtergraben. Der zeigte sich schon bei den Europawahlen im Juni 2024, bei denen die jungen Männer mehrheitlich die AfD wählten, und steigerte sich bei der Bundestagswahl noch einmal. Seitdem haben die Medien die „Krise der jungen Männer“ ausgerufen und wundern sich darüber, wie traditionelle Rollenbilder in der Generation Z wieder Einzug halten.
Die Netflix-Serie „Adolescence“ zeigt, wie diese Bilder vom mächtigen Mann und der unterwürfigen Frau in die Köpfe der jungen Männer kommen. Nach ihrem Start am 13. März ging die britische Serie durch die Decke und gehört mit bisher weltweit 95 Millionen Zugriffen zu den zehn erfolgreichsten Netflix-Serien aller Zeiten. Sie hat offenbar einen Nerv getroffen.
Erzählt wird die Geschichte des erst 13-jährigen Jamie Miller, der seine Mitschülerin Katie mit sieben Messerstichen ermordet hat. Wie sich herausstellt, aus gekränkter Ehre. Jamie kommt aus einer ganz normalen Durchschnittsfamilie, und doch hatten seine schockierten Eltern keinen Schimmer davon, was der unscheinbare Junge in seiner digitalen Parallelwelt erlebt: vom Mobbing durch Mitschüler über Nacktfotos seiner Mitschülerinnen bis hin zum „Andrew-Tate-Mist“, wie eine Ermittlerin es nennt.
Andrew Tate, ehemaliger Kickboxer und Manfluencer mit Millionen Followern und Held vieler gekränkter Jungen, der Frauen zum Eigentum des Mannes erklärt. Tates frauenfeindliche Ausfälle waren so extrem, dass mehrere Plattformen von YouTube bis Twitter ihn sperrten. Als Elon Musk Twitter 2022 übernahm, ließ er den Frauenhasser, der in seiner Wahlheimat Rumänien wegen Frauenhandel angeklagt ist, wieder gewähren. Nach dem Wahlsieg von Donald Trump reiste Tate prompt nach Florida ein. Auf X triumphierte er: „Die Tates werden frei sein, Trump ist Präsident. Die guten alten Zeiten sind zurück – und sie werden besser sein als je zuvor.“ Keine Frage: Die Bro-Culture funktioniert.
In „Adolescence“ ist zu sehen, in welch beängstigendem Ausmaß Manfluencer wie Andrew Tate und andere Helden der „Manosphere“ schon Teenager-Jungen das Gift der „toxischen Männlichkeit“ einspritzen. Die Serie sorgte in Großbritannien für ein Erdbeben bis ins Parlament. Die Erschütterung war auch deshalb groß, weil am Tag des Serienstartes das Urteil gegen Kyle Clifford gefallen war. Der 25-Jährige hatte im Sommer 2024 seine Ex-Freundin, deren Schwester und Mutter in ihrem Haus in der Nähe von London ermordet, mit einer Armbrust. Er sei ein „eifersüchtiger, von Selbstmitleid zerfressener Mann, der Frauen zutiefst verachtet”, hatte der Richter erklärt. Wenige Stunden vor der Tat habe Clifford sich im Internet Andrew-Tate-Videos angesehen. Die von Tate propagierte „gewalttätige Frauenfeindlichkeit“ habe die Taten des Angeklagten „angeheizt“.
Ministerpräsident Keir Starmer erklärte, er habe die Serie mit seinen Kindern angesehen. Auch in Großbritannien wird nun ernsthaft darüber diskutiert, Social-Media-Accounts für Jugendliche unter 16 Jahren zu sperren. Ende 2024 hatte Australien ein Social-Media-Verbot für Kinder und Jugendliche beschlossen, auch mit Blick auf den grassierenden Frauenhass im Internet.
Ganz klar: Es muss etwas passieren, um die Jungen und jungen Männer dem gefährlichen Einfluss der Manfluencer zu entziehen. Dazu gehört auch zu fragen, wo die offenen Flanken sind.
Denn egal ob Manfluencer oder Traditionalisten, sie alle setzen auf ein Rezept: Sie packen junge Männer bei ihrer ob der zunehmenden Emanzipation der Frauen wachsenden Verunsicherung und ihrer gefühlten Entwertung. „Weiße Männer sind die neue Minderheit, keiner mag sie mehr“, sagt Emil, 17, in der Welt. Die hatte drei junge Männer, die sich als „konservativ“ bezeichnen, zum Gespräch geladen. Robin, auch 17, entgegnet: „Das würde ich nicht sagen, aber normale Männer sind die leiseste Gruppe von allen. Für die kämpft niemand mehr.“ Sie haben nichts gegen Schwule und Lesben, sagen sie, das sei normal, aber es gebe „Moden, was man zu denken hat“. Bei „Herr der Ringe“ seien jetzt „Schwarze, Asiaten, Transsexuelle und so weiter drin. Obwohl das zu den Büchern und den alten Filmen nicht passt. Und ich finde, wenn mir jetzt in den Minen von Moria ein dunkelhäutiger, lesbischer Zwerg aufgenötigt wird, dann bin ich langsam genervt.“ Das klingt ganz nach dem Weißbrot von Michael Kimmel.
Es stellt sich die Frage: Wo ist die Kritik der alten und jungen weißen Männer berechtigt – von Wokeness bis Niedriglohnsektor? Und wo sollten wir entschieden gegenhalten, weil es etlichen von ihnen nur um eins geht: Auf dem Rücken von Frauen groß zu sein.
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