Winnenden: Bewährungsstrafe
„Dieser Prozess sollte dazu dienen zu verstehen. Diese Erwartung ist leider Gottes enttäuscht worden.“ Diese bedrückende Bilanz zog Gisela Mayer, deren Tochter Nina beim Winnender Amoklauf erschossen wurde, am heutigen Tag der Urteilsverkündung im Prozess gegen den Vater des Täters.
Zwar hat das Landgericht Stuttgart Jörg K. der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Überlassung einer Waffe für schuldig befunden und ihn zu einem Jahr und neun Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Der Angeklagte selbst hatte die Eltern der Opfer um Verzeihung gebeten. Zur Aufklärung der Ursachen der Tat seines Sohnes und seiner eigenen Rolle dabei trug der Vater nichts bei - Jörg K. blieb dem Prozess fern und ließ die Fragen, die sich aufdrängten, unbeantwortet: Warum bewahrte der Sportschütze und Waffennarr die Tatwaffe unverschlossen im Haus auf, obwohl sich sein Sohn wegen psychischer Probleme bereits in Behandlung begeben hatte? Wusste er wirklich nichts von Tim K.s „Hass auf die Menschheit“ und seiner Fantasie, „alle zu erschießen“, die eine Therapeutin nach eigener Aussage den Eltern mitgeteilt hatte? Warum ließen er und die Therapeuten zu, dass Tim. K. die Therapie abbrach? Welches Verhältnis hatte er zu seinem Sohn, der offenbar unkontrolliert Killerspiele und Horrorvideos konsumieren durfte und hunderte Gewaltpornos auf seinem Computer gespeichert hatte? Und welches Verhältnis hatte der Sohn zu Mädchen? Zehn der elf Opfer, die Tim K. in seiner ehemaligen Schule erschoss, waren Schülerinnen beziehungsweise Referendarinnen gewesen.
„Uns sind Informationen vorenthalten worden, die wir sehr, sehr dringend gesucht haben“, bedauerte Gisela Mayer im ZDF-Morgenmagazin. Dabei war genau diese Suche der Grund dafür, dass Mayer gemeinsam mit fünf anderen Eltern als Nebenklägerin aufgetreten war.
„Ich will Klarheit!“ hatte sie vor Beginn des Prozesses im Interview mit EMMA erklärt. Die hat sie nicht bekommen. „All die, die zur Aufklärung hätten beitragen können, haben sich um diese Verantwortung gedrückt.“
Auch diejenigen, die auf politischer Ebene dazu beitragen könnten, weitere Amokläufe zu verhindern, sind untätig. So kritisiert Mayer, Mitgründerin des Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden, dass die „kosmetischen Änderungen“ im Waffenrecht – das getrennte Aufbewahren von Munition und Waffe sowie Kontrollen dieser Aufbewahrung – bereits wieder zur Disposition ständen. Die Präventionsprogramme an Schulen seien auf Modellschulen beschränkt worden. Und beim angekündigten Verbot von gewaltverherrlichenden Computerspielen „ist überhaupt nichts passiert“. Mayer: „Ich glaube, die Politik muss noch einmal sehr klar über den Begriff Verantwortung nachdenken.“