Unsere Rechte verteidigen!

Frauenministerin Franziska Giffey warnt vor dem Backlash. - Foto: Inga Kjer/Imago/photothek
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"Mädchen und Frauen heraus aus der Finsternis!“ forderte ein Plakat von 1918/19, das heute in der Ausstellung „Damenwahl! 100 Jahre Frauenwahlrecht“ im Deutschen Historischen Museum Frankfurt zu sehen ist. Die dunklen Zeiten sind gerade einmal 100 Jahre her. Frauen können alles! Wählen und gewählt werden ist das Mindeste.

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Dem Jubiläum des Frauenwahlrechts folgen weitere historische Errungenschaften: Im Mai 2019 feiern wir 70 Jahre Grundgesetz und 25 Jahre Artikel 3, Absatz 2, der dem Staat die Aufgabe der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen zuweist.

Historische Jubiläen aber bergen eine Gefahr. Von Festakt zu Sektempfang versichert man einander zufrieden die Bedeutung vergangener Erfolge, man ist sich einig, dass eigentlich viel mehr getan werden müsste, und am Ende freundschaftliche Umarmung: Wo feiern wir als Nächstes?

Historische Errungenschaften sind nicht selbstverständlich. 15 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts gab es in Deutschland keine freien Wahlen mehr, keine Demokratie mehr, stattdessen Unterdrückung, millionenfachen Mord und Krieg. Heute gewinnen politische Kräfte an Boden, die die Gleichstellung am liebsten wieder zurückdrehen würden. Hassparolen im Netz, Drohungen gegen Engagierte. Fraueninitiativen kennen das, Gleichstellungsbeauftragte auch. Und es wird mehr.

Frauenrechte sind Grundrechte der Demokratie. Wir müssen sie verteidigen, wenn die Demokratie angegriffen wird. Aufstehen, argumentieren, demonstrieren – so wie die Frauen und Männer, die sich mit viel Engagement und kreativen Ideen für das Frauenwahlrecht eingesetzt haben.

Historische Errungenschaften sind außerdem nicht genug. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und eine Aufwertung der sozialen Berufe, gleicher Zugang zu Führungspositionen in Politik, Wirtschaft und Kultur und ein wirksamer Schutz vor Gewalt, garantiert durch ein flächendeckend gut ausgebautes Hilfesystem, sind Forderungen, die kaum weniger grundlegend sind als das Wahlrecht. Verwirklicht sind sie noch nicht. Deshalb hat die Kampagne des Bundesfrauenministeriums zum Jubiläum des Frauenwahlrechts das Motto: Wofür streitest du? 100 Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben wir gewonnen. Es braucht mehr, viel mehr. Und viel mehr Frauen, die nicht nur wählen, sondern auch für politische Ämter kandidieren, gewählt werden und etwas bewegen, ob im Bundestag oder in der Kommune.

Wie die Zehntausende von Frauen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts für das Frauenwahlrecht auf die Straße gingen. Oder die Rede von Marie Juchacz im Reichstag im Februar 1919, in der sie das Wahlrecht als Selbstverständlichkeit zum Ausgangspunkt für Fraueninteressen in allen Bereichen der Politik erklärte. Der Blick zurück macht Mut und schafft Kontinuität. Im Zuge des Aufbaus des Digitalen Deutschen Frauenarchivs haben Aktive von früher gesagt: „Es ist schon komisch, jetzt auf einmal Teil der Geschichte zu sein.“ Sie haben aber auch gesagt: „Es ist gut, dass unsere Erfahrungen heute noch zählen. Es ist gut, sich mit Jüngeren auszutauschen.“

Deshalb ist es richtig, 100 Jahre Frauenwahlrecht groß zu feiern. Stolz auf 100 Jahre erfolgreiches Engagement, gemeinsam und kämpferisch für die Zukunft: Frauen können alles. Und wenn nicht, müssen wir dafür streiten.

 

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Suffragetten: Taten statt Worte!

Emmeline Pankhurst umringt von Menschenmassen bei einem Besuch in New York. - Foto: Getty Images
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„Punkt 5 Uhr 30 an einem denkwürdigen Abend im Jahr 1912 zogen zu Kundgebungen versammelte Frauen Hämmer aus ihren Muffen und Handtaschen hervor und fingen an, systematisch in allen Straßen der Londoner Innenstadt Schaufensterscheiben zu zertrümmern, beflügelt von dem Wissen, dass genau in diesem Moment Mrs. Pankhurst mit einem gezielten Steinwurf auf ein Fenster in der Downing Street 10 den Reigen eröffnete.“

So erinnert sich die englische Komponistin und Frauenrechtlerin Ethel Smyth (1858 – 1944) an das, was sich an diesem Tag in London zutrug. Die Frau, die den Startschuss oder besser: Startwurf zum Frauenaufruhr gab und einen Stein genau in das Fenster des Premierministers Herbert Asquith schmiss, war ihre Freundin Emmeline Pankhurst – jene Frauenrechtlerin, die bereits mit 14 ihre erste Frauenstimmrechtsversammlung besuchte und heute als radikalste der englischen Suffragetten gilt.

Am 10. Oktober 1903, neun Jahre vor dem legendären Steinwurf, hatte Pankhurst, gemeinsam mit ihrer Tochter Christabel und vier weiteren Mitstreiterinnen, die „Women’s Social and Political Union“ (WSPU) gegründet. Die Aktivistinnen wollten den Kampf um das Frauenwahlrecht, der in England zu diesem Zeitpunkt schon ein halbes Jahrhundert währte, offensiver führen als bisher.

Immer wieder hatten die Frauen, die schon 1867 die „National Union for Women’s Suffrage“ gegründet hatten, dem Parlament Resolutionen und Gesetzentwürfe für die Einführung des ­Frauenstimmrechts vorgelegt. Vergebens. Pankhurst und ihre Gefährtinnen wollten der Sache nun Nachdruck verleihen. Ihr Motto: „Deeds, not words“ – Taten statt Worte.

Zunächst organisierte die „Women’s Social and Political Union“ Frauenparlamente und Demonstrationen. Sie brachten ungeheure Massen auf die Straße. Der Höhepunkt sollte am 21. Juni 1908 erreicht sein. „Wochenlang war eine kleine Armee von Frauen damit beschäftigt, mit Kreide Ankündigungen auf die Bürgersteige zu schreiben, Flugblätter zu verteilen, von Haus zu Haus zu gehen und als Plakatträgerinnen auf den Straßen für die Kundgebung zu werben“, erinnert sich Emmeline Pankhurst in ihrer 1914 erschienenen Autobiografie.

Schließlich war es soweit. Mindestens 250.000 Frauen zogen in sieben Demonstrationszügen durch London und liefen sternförmig auf ihr Ziel zu: den Hyde Park.

„Was war Sonntag, der 21. Juni, für ein Tag!“ jubelt Pankhurst. „Als ich auf meine Tribüne im Hyde Park gestiegen war und die ungeheuren Menschenmengen, die schon warteten, und die endlosen Massen, die noch immer von allen Seiten in den Park fluteten, überblickte, wurde ich von Staunen erfüllt. Ich hätte nie gedacht, dass man so viele Leute zu einer politischen Demons­tration versammeln könnte.“

Auch die Presse war beeindruckt: „Wie Entfernung und Zahl der Sterne lagen diese Massen jenseits unserer Wahrnehmungsfähigkeit“, schrieb die London Times. Und der Daily Express vermutete: „Wahrscheinlich haben sich noch niemals zuvor irgendwo in England so viele Leute in einer einzigen großen Masse versammelt.“

Das stimmte. Und dennoch: Als die WSPU „voller Hoffnung“ eine weitere Resolution an Premierminister Asquith schickt, winkt der ab – mal wieder. Emmeline Pankhurst zündet die nächste Stufe im Kampf um das Frauenwahlrecht. Von nun an werden die Damen rabiater.

Dass die zu diesem Zeitpunkt 50-jährige Pankhurst einmal mit aller Kraft für Frauenrechte und insbesondere das Wahlrecht streiten würde, war dem Mädchen aus Manchester sozusagen in die Wiege gelegt. Schon ihre Eltern, überzeugte Demokraten, setzen sich nicht nur für die Sklavenbefreiung ein, sondern auch für das Frauenstimmrecht. Mutter Sophia hat das Women’s ­Suffrage Journal abonniert und nimmt ihre 14-jährige Tochter zu ihrer ersten Stimmrechtsversammlung mit. „Ich verließ die Versammlung als bewusste und entschlossene Befürworterin des Wahlrechts für Frauen.“

Mit 15 geht Emmeline nach Paris und besucht dort eine Mädchenschule, deren fortschrittliche Leiterin auch Chemie und andere Naturwissenschaften in den Lehrplan aufnimmt. Als Emmeline mit 18 nach England zurückgeht, schließt sie sich umgehend der Frauenstimmrechtsbewegung an. Dort lernt sie ihren späteren Ehemann kennen: Richard Pankhurst. Auch der Jurist, mit dem sie fünf Kinder bekommt, ist Verfechter des Frauenstimmrechts. Er entwirft die erste Gesetzesvorlage für das Frauenwahlrecht, die ein Abgeordneter ins Parlament einbringt.

Da britische Politiker die Stimmrechtsaktivistinnen auffordern, ihre Eignung für politische Ämter zunächst unter Beweis zu stellen, indem sie sich in Ehrenämtern engagieren, wird Emmeline Pankhurst in Manchester Mitglied des Ausschusses für Armenpflege. Dort radikalisiert sie sich vollends. Sie erlebt das Elend der jungen Mütter mit unehelichen Kindern und alte Witwen, die bettelarm sind, weil sie nie berufstätig sein durften. „Ich war für das Frauenstimmrecht lange bevor ich Fürsorgerin wurde. Nun wurde mir klar, dass das Frauenstimmrecht nicht nur ein Recht, sondern eine verzweifelte Notwendigkeit ist.“

Nach der erfolglosen Massendemonstration 1908 werden Emmeline Pankhurst und ihre Mitstreiterinnen immer militanter. Sie zertrümmern nicht nur Schaufensterscheiben, sondern starten spektakuläre Aktionen. Eine Suffragette dringt ins Unterhaus ein und schreibt mit Druckerschwärze die „Bill of Rights“ auf die Wände. Eine andere zerschlitzt in der Londoner Nationalgalerie Velasquez’ Bild „Die Venus vor dem Spiegel“. Am 4. Juni 1913 wirft Emily Davison sich beim Derby in Epson vor das Pferd des Königs und stirbt an ihren Verletzungen.

Die Stimmrechtsbewegung hat ihre erste Märtyrerin. Immer mehr Suffragetten, auch Pankhurst, werden mehrfach verhaftet und treten im berühmt-berüchtigten Frauengefängnis von Holloway in Hungerstreik. Die Regierung schlägt mit Zwangs­ernährung, sprich: Folter, zurück.

Aber die Bewegung ist nicht mehr aufzuhalten, noch nicht einmal durch den I. Weltkrieg. Emmeline Pankhurst beendet ihre Autobiografie in den ­ersten Kriegstagen. Sie kündigt an: „Sobald das Waffenklirren aufhört, sobald eine normale, friedliche, vernunftbestimmte Gesellschaft ihre Aufgaben wieder aufnimmt, wird die Forderung nach Gleichberechtigung erneut gestellt werden. Wenn sie dann nicht schnell erfüllt werden, werden die Frauen die Waffen wieder aufnehmen, die sie heute so großzügig niederlegen.“

Nach Kriegsende beschließt das Parlament den „Representation of the People Act“: Die britischen Frauen bekommen das Wahlrecht, allerdings nur die, die über 30 Jahre alt sind. Männer hingegen dürfen schon mit 21 Jahren wählen. Der Grund: Zahllose Männer sind im Krieg gefallen und man will verhindern, dass nun die weiblichen Wähler in der der Mehrheit sind. Es wird weitere zehn Jahre dauern, bis Groß­britanniens Bürgerinnen das gleiche Stimmrecht bekommen wie die Bürger. Am 2. Juli 1928 ist es soweit: Der „Representation of the People Act“ wird auf Frauen ab 21 Jahren erweitert.

Drei Wochen davor, am 14. Juni 1928, stirbt Emmeline Pankhurst im Alter von 90 Jahren. 1999 nimmt sie das Time Magazine in die Liste der 100 wichtigsten Menschen des 20. Jahrhunderts auf.

 

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