„Wir sind nicht mehr zu stoppen!“
Sie ist benannt nach einem arabischen und einem deutschen Dichter und ihre Initiatorin ist eine deutsch-türkische Frau: Seyran Ates, Anwältin und Kämpferin für Frauenrechte, und neuerdings auch Imamin. Ganz in weiß hielt sie das Eröffnungs-Gebet der Ibn Rushd-Goethe-Moschee gleich selbst, und was sie sagte, machte klar, warum Medienvertreter aus aller Welt angereist waren. Alle, erklärte Ates, seien in dieser Moschee willkommen: Menschen aller Religionen, Frauen und Männer, die gemeinsam in einem Raum beten, Homosexuelle. Ein großartiges Signal für einen liberalen Islam für die einen, eine ungeheure Provokation für die anderen. Die Morddrohungen ließen nicht lange auf sich warten. Im Gespräch mit EMMA erklärt Seyran Ates, warum sie dennoch keine Angst hat – und warum diese Moschee nicht die letzte ihrer Art sein wird.
Seyran, was war deine Motivation, diese Moschee zu gründen?
Es gibt eine private und eine politische. Die politische: Ich saß von 2006 bis 2009 als Muslimin in der Islamkonferenz. Und ich musste sehen, wie die konservativen Islamverbände das Thema an sich gerissen und immer wieder die Deutungshoheit für sich beansprucht haben. Uns, also die liberalen Muslime oder Frauen wie Necla Kelek, die sich als Atheistin bezeichnet, haben sie immer wieder diffamiert. Und die Politik hat gesagt: Wir brauchen organisierte liberale Muslime als Ansprechpartner. Wir waren aber Einzelpersonen. Und das war der Grund, warum ich fand: Wir müssen uns organisieren, Gesicht zeigen und uns als Ansprechpartner anbieten. Es geht nicht, dass nach jedem Anschlag gefordert wird, dass sich die friedlichen Muslime zeigen sollen und dann sagen sie nur: Das hat nichts mit dem Islam zu tun! Ich finde, da sind wir Muslime in der Verpflichtung. Wir müssen innerhalb unserer Religion was verändern. Deshalb fand ich: Es muss eine Moschee sein.
Und die persönliche Motivation?
Ich habe meine eigene persönliche Religiosität schon immer gehabt. Durch das Nahtoderlebnis bei dem Attentat 1984 auf mich und eine Klientin, bei dem ich fast gestorben wäre, hat sich diese Spiritualität nochmal gefestigt. Ich glaube an Gott. Ich bin Muslimin. Aber das war für mich immer etwas Privates und Intimes, das ich nie nach außen getragen habe. Aber die Situation ist jetzt so, dass ich finde: Wir müssen das jetzt tun! Wir liberale Muslime müssen zeigen, dass es einen sehr friedlichen, mystischen, spirituellen Islam gibt. Und den müssen wir leben. Und nachdem ich mich in den letzten Jahren immer mehr mit dem Islam beschäftigt habe, habe ich mich gefragt: Warum soll ich nicht selbst Imamin werden? So habe ich mich entschieden, die Imam-Ausbildung zu machen.
Wie waren die Reaktionen nach der Moschee-Eröffnung?
Ich habe sehr positive Reaktionen bekommen - von Menschen verschiedenster Religionen und Kulturen. Viele nicht-muslimische Menschen haben gesagt: Endlich passiert was in Sachen Integration! Wir bekommen Spenden mit dem Hinweis: „Vielen Dank für diesen Schritt zur Integration!“ Auch von muslimischer Seite gibt es tolle Reaktionen. Es haben sich unzählige Leute bei mir gemeldet, die sagen: „Endlich gibt es einen Ort, an den wir gehen können und an dem wir nicht von bärtigen Männern beschimpft und zusammen mit extrem verhüllten Frauen in den Nebenraum gedrängt werden. Aus der Türkei hat mich eine pensionierte Rechtsanwältin angerufen und gesagt: „Frau Ates, ich möchte Ihnen ganz persönlich sagen, wie toll ich finde, was Sie da machen!“ Die liberalen Muslime melden sich bei mir aus aller Welt.
Aber es gibt auch eine Menge Beschimpfungen und Drohungen.
Ja, aber keine einzige davon bezieht sich darauf, was wir inhaltlich machen. Es gibt keinen einzigen theologischen Beleg, dass es falsch ist, was wir tun, sondern nur Behauptungen und Beleidigungen. Und da halte ich es mit Margaret Thatcher, die mal gesagt hat: „Solange ich nur persönlich angegriffen und beleidigt werde, und nicht inhaltlich, weiß ich, dass ich richtig liege.“
Du hast bittere Erfahrung damit, dass solche Drohungen ernst zu nehmen sind. 1984 hat dir der Ehemann einer Klientin in den Kopf geschossen, du hast nur knapp überlebt. Du hast immer wieder Morddrohungen bekommen und deshalb zweimal deine Kanzlei geschlossen. Woher nimmst du den Mut zu diesem Projekt Moschee?
Ich habe die Drohungen weiterhin bekommen, nachdem ich mich zurückgezogen hatte. Sie haben mir geschrieben, sie würden mir die Zunge rausreißen, wenn ich mich weiterhin öffentlich äußere – dabei hatte ich mich schon gar nicht mehr geäußert. Und dann habe ich gedacht: Wenn sie mich nicht vergessen und auf dem Schirm haben, obwohl ich gar nichts mehr sage, dann kann ich genauso gut weitermachen. Außerdem bin ich jetzt nicht mehr allein. Wir sind sechs Gesellschafterinnen und Gesellschafter, 20 Menschen tragen diese Moschee aktiv. Dazu kommen jetzt zahllose Sympathiebekundungen und Leute, die mitmachen wollen. Was können mir diejenigen, die mich bedrohen, denn nehmen? Selbst wenn sie mir das Leben nehmen sollten – diese Bewegung wird jetzt nicht mehr zu stoppen sein.
Der Hass gegen dich in den sozialen Medien ist enorm. Es wurde jetzt sogar eine Fatwa gegen dich ausgesprochen.
Ich habe dazu eine Videobotschaft gemacht und diese Leute gefragt: Was habt ihr bisher gegen den IS, Al Quaida oder Boko Haram getan? Schreibt ihr denen auch diese Tiraden? Schreibt ihr irgendwelchen Taliban auch dieser widerlichen Mails? Dass ihr sie vergewaltigen und töten werdet und dass Allah sie verdammen soll? Ich frage sie: Wann habt ihr eine Fatwa gegen diese Extremisten erlassen? Was macht ihr gegen diesen Terror? Wir hingegen wollen mit dem Islam gegen den Islamismus kämpfen.
Was hältst du von dem Marsch „Nicht mit uns!“, zu dem Lamya Kaddor am Samstag in Köln aufgerufen hat?
Es ist sehr entlarvend, dass die Ditib sich nicht beteiligt hat. Ich denke, jetzt fallen Masken. Die Politik muss sich einfach fragen, mit wem sie verhandelt.
An der Berliner Humboldt-Uni wird gerade ein Islam-Institut gegründet, an dem Islam-Lehrer und –Lehrerinnen ausgebildet werden sollen. Im Beirat sind bisher nur die erzkonservativen Islam-Verbände. Dagegen hat die Berliner CDU in einem Offenen Brief protestiert – und unter anderem dich als Beiratsmitglied vorgeschlagen.
Das ist ein Riesenerfolg und genau das, was wir wollen. Ich war bei der Pressekonferenz dabei und habe gesagt: Es gibt uns jetzt, wir stehen bereit. Und ich erwarte, dass Sie uns in diesen Beirat aufnehmen! Ich erwarte auch von der Deutschen Islamkonferenz, dass sie uns aufnimmt. Und es geht weiter: In Freiburg wird der Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi jetzt die nächste liberale Moschee eröffnen.
Das Gespräch führte Chantal Louis
RICHTIGSTELLUNG
In der Online-Ausgabe von EMMA vom 21. Juni 2017 haben wir in dem Artikel „Wir sind nicht mehr zu stoppen!“ Frau Ates wie folgt zitiert: ‚Wir haben z.B. auch beleidigende Mails von Mehmet Celebi bekommen‘. Zu diesem Zitat ist es aufgrund eines Missverständnisses gekommen, das wir hiermit korrigieren wollen. Richtigerweise hatte Herr Celebi keine beleidigenden Mails verschickt, sondern auf Facebook einen Frau Ates beleidigenden Post veröffentlicht.
Die Redaktion