Alice Schwarzer schreibt

Auch ein Sieg für Marokkanerinnen

Enttäuschte Marokannerinnen. Doch allein ihr "Dabei-Sein" ist ein Sieg für Frauen. Foto: Imago images
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Ich gestehe: Ich war noch nie auf einem Fußballplatz. Und ich interessiere mich auch überhaupt nicht für Fußball – nur für Frauenfußball. Klar, warum. In Erinnerung bleibt meine von den Kolleginnen gern belächelte Titelzeile „Uschi – der Schuss in alle Frauenherzen“. Das war 1989, als Uschi Lohn das entscheidende Tor zum ersten EM-Sieg der deutschen Mannschaft schoss. Damals bekamen die Siegerinnen noch Kaffeeservices als Preisgabe überreicht. Und auch die EMMA-Kampagne „Die Hälfte vom Ball für die Frauen“ (1998) habe ich, gemeinsam mit der fußballspielenden EMMA-Redakteurin Chantal Louis, sehr engagiert mitgetragen. (Hier zur Kampagne Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4)

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Heute Morgen also habe ich mir, ganz in diesem Geiste, das Spiel „Deutschland gegen Marokko“ angesehen. Als erstes fiel mir auf, dass die Frauen als Typen kaum zu unterscheiden waren, die aus der europäischen Demokratie und die aus dem islamischen Königreich. Gefühlt alle trugen Pferdeschwanz, mal blond, mal braun. Und sichtbar alle rannten mit Leidenschaft hinter dem Ball her.

Die Marokkanerinnen sind zum ersten Mal dabei! Als erstes arabisches Land überhaupt!

Die deutschen Frauen können das inzwischen. Sie spielen zum achten Mal bei einer Weltmeisterschaft mit und haben sie zwei Mal gewonnen. Die Marokkanerinnen sind erst zum ersten Mal dabei, als erstes arabisches Land überhaupt! In den Rängen saßen, neben australischen Aborigines mit ihren Töchtern, marokkanische Väter mit kleinen Mädchen, die doch tatsächlich nicht etwa einen Schleier, sondern einen Fez auf dem Kopf hatten, die traditionelle männliche Kopfbedeckung! Wohl diesen kleinen Mädchen, die solche Väter haben!

Sie ist wieder da! Alex Popp traf gleich zwei Mal. Foto: Imago Images

Für die Mehrheit der Mädchen und Frauen sieht das in Marokko noch anders aus. Trotz ihrer - nicht zuletzt dank des relativ fortschrittlichen Königs in der Verfassung seit 2011 festgeschriebenen Gleichberechtigung - sind die Frauen in dem nordafrikanischen Staat noch immer sehr weit von der Emanzipation entfernt. Eine Frau, die sich zum Beispiel in eines der Großstadtcafés wagt, ist eine Ausländerin oder eine „Nutte“. Auch die Polygamie ist noch immer erlaubt – mit der winzigen Einschränkung der Zustimmung der Erstfrau und eines Richters (der vermutlich selber mindestens zwei Frauen hat). Keinen gleichen Zugang zur Bildung oder gar gleicher Lohn, dafür Abtreibungsverbot und die Tolerierung (sexueller) Gewalt. Das ist die Lage.

Kaum ein Mädchen in Marokko dürfte nicht mit klopfendem Herzen zugesehen haben!

Doch auch der relativ fortschrittliche König Mohammed IV , der als erster marokkanischer König seine Ehefrau in der Öffentlichkeit gezeigt hat, gilt als großer Förderer des Frauenfussballs und bereits beim Afrika Cup 2022 waren die Nordafrikanerinnen Zweite geworden.

Über das erste Tor von Alex Popp heute Vormittag habe ich mich gefreut. Über das zweite auch noch. Aber ein 6:0? Darüber kann ich mich so gar nicht freuen. Ein 2:1 – das wäre es gewesen! Ein Sieg der dank Emanzipation weit überlegenen Deutschen – aber doch auch ein Anfang für die Marokkanerinnen. Denn ganz gewiss gab es kaum ein Mädchen, kaum eine Frau in Marokko, ja in ganz Nordafrika, die dieses Spiel nicht mit klopfendem Herzen gesehen hat. Und es hätte so unendlich viel für sie alle bedeutet, wenn die Marokkanerinnen wenigstens eine Chance gehabt hätten.

Oder war der große Schritt schon einfach die Teilnahme an sich an der Weltmeisterschaft? Und geht es nun weiter? Ihr werdet mir verzeihen, liebes deutsches Team, aber ihr habt es nicht mehr nötig. Ihr geht stark euren Weg. Am 30. Juli drücke ich beim Spiel gegen Südkorea also den Marokkanerinnen die Daumen!

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