Wohnen: "Nur Verdoppelung"
Hier antwortet Elfriede Gerstl, 54, Schriftstellerin, Wien auf EMMAs Frage "Wie würde ich gerne wohnen?".
Ich wohne gerne wie ich wohne, so chaotisch und voll geräumt. Schlimm wäre es, wenn ich mich in meinem unzarten Alter noch immer nach dem ganz anderen verzehren müßte. Nur wenn Besuch kommt, liebe, adrette, auch alternative Leute mit WG-Vergangenheit, oder solche, die schon immer auf modischen Dampfern waren, glaube ich mich zum traurig Dreinschauen verpflichtet.
Auf den einstmals kornblumenblau gestrichenen, jetzt reichlich abgetretenen Holzboden weisend, höre ich mich mit bekümmerter Stimme sagen, dass das so nicht bleiben kann, und der Boden (die langen Holzbretter mit dem abblätternden Blau) noch diesen Sommer abgeschliffen oder doch neu gestrichen werden muss. Auch auf die Kleider-, Bücher- und Papierberge zeige ich anklagend und höre mir bereitwillig Änderungsvorschläge meiner beratungsfreudigen Freundinnen an. Diese lieben Frauen, deren häusliche Ambiente entweder schwarz-weiß gestylt sind in strengem Art Deco-Design oder — nicht weniger streng — alternativ mit handgewebtem, schafwollenem und all dem neuen umweltschonenden Handmade-Luxus, machen mir offensichtlich ein schlechtes Gewissen.
Die meisten von ihnen treffe ich ja doch lieber abends in den In-Lokalen. Bei ihren seltenen Besuchen ist es mir unbehaglich, ihnen mit einem degoutanten Ambiente aufzuwarten. Ist es nur Konfliktscheu, dieses abweichende Behagen an Fülle und Unordnung gerade jenen einzugestehen, mit denen ich mich sonst in Bezug auf Politik, Literatur, Mode oder sonst was eines Sinnes weiß?
Das besser Essen, Kleiden, Reisen habe ich spät lernen können, der Wunsch nach einem Schöner Wohnen ist für mich offensichtlich nicht erlernbar. Ich habe auch keine Wünsche nach Exotischem, kein Mondbungalow, keine Villen und Palazzi spuken durch meine schlafgestörten Nächte.
Es wäre freilich angenehm, Wohnungen in verschiedenen Städten zu haben. Verschiedenartige, halbhelle, höhlige, geräumige Wohnungen, die ein Hotelzimmer unnötig machen. Das ist aber nicht der Herzenswunsch.
Wirklich verlockend und wünschenswert wäre, zu meiner ultraschützenden Zweizimmer-Wohnung im selben Haus (einem Altbau mit einem Bäcker und einer Tapeziererwerkstatt, in dem Freunde und verdiente Szene-Freaks wohnen, die auch auf dem abendlichen Lokalrundgang zu begegnen sind) eine zweite und ähnlich kleine Wohnung zur Verfügung zu haben. Ich stelle sie mir zunächst luftig und leer vor, ahne aber, dass nach und nach einiger Tandel(Trödel)kram osmotisch hinüber gesogen würde.
So eine zweite Kleinwohnung wäre mir lieber und gemäßer als eine luxuriös große, wie ich sie bei Freunden — etwa in Berlin — durchaus bewundere. Ich, die ich nicht wohnen gelernt habe, benütze eine Wohnung ja anstatt zum Wohlfühlen zum Vollfüllen: mit den lieben Kleiderchen, Hüten, Zeitschriften, dem Haustierersatz und Fundus aus Überfluss.
Als Halbwüchsige mit meiner Mutter im selben Zimmer wohnend, bewohnte ich nur mein Bett, von dem aus ich in meinem voll geräumten Wäsche- und Bücherschrank kramen konnte. Die Wohnung war für mich nur zum Schlafen da und am Morgen zum Flüchten. Auch heute verlasse ich, sobald ich gefrühstückt habe, meine Wohnung, die ich nur aufsuche, wenn ich etwas Dringendes zu schreiben habe oder Besuch kommt. Abends bin ich sowieso in den Szene-Lokalen, und vor der Glotze halte ich es nur aus, wenn jemand mitglotzt. Wenn Ablieferungstermine gefährlich nahe gerückt sind, muss ich die Cafes verlassen und Papiere zupfen gehen, das heißt Manuskripte und Fotos aus den Stößen neben dem Bett, auf dem Arbeits-, Ess- und Bügeltisch herausklauben.
Diese zweite, ebenfalls kleine, überschaubare Wohnung im selben Haus in der Innenstadt, wäre eine Kaffeehaus-Wohnung. Als Einrichtung stelle ich mir auch nichts gänzlich Fremdes, ungewohnt Luxuriöses vor, wie ich es im Möbelhaus „Fesch &Vorne" finden kann, das mir dort zwar gefällt, mit dem ich aber nicht wohnen möchte. Auch mit zusätzlicher Geldspritze wäre diese Wohnung rasch mit einer Mischung aus Zwanziger-bis Sechziger Jahre-Trödel bestückt. Flipper, Music-Box, etwas zahme Natur in Töpfen, Drahtplastik an der Wand, Plakate, fertig.
Und mit wem möchte ich wohnen? Ein Freund, der die letzten zwölf Jahre meistens mit mir gegessen und geglotzt hat, soll auch die folgenden Jahre essen und glotzen und Manuskripte ins Reine tippen kommen, und zwar in die alte Ur-Wohnung. Die zweite, die ich mir heller und höher gelegen vorstelle, sollte meinen Freundinnen vorbehalten sein, für Therapie-Flausch, Kleider-Tausch, Fundus-Befühlen, und das nicht öfter als ein- zweimal in der Woche. In der offiziellen sollte ein Telefon sein, von dem man zwar wegrufen aber nicht angerufen werden kann.
Für jemand, der so wenig wohnen kann wie ich, wäre ein Hotelzimmer nahe der Szene ja ausreichend und angemessen, aber memento fundi, die lieben Sammelstücke wären in einem entfernten Lager allzu traurig meinen Blicken und Zugriffen entzogen. Ich wünsche mir eigentlich nur verdoppelt, was ich schon habe.
Elfriede Gerstl, EMMA 8/1986
Zum Weiterlesen:
"Das kleine Mädchen, das ich war" (10/1981)