Women! Life! Freedom!
In „The Handmaid’s Tale“ zeigt Margaret Atwood, dass Mütter in einer autokratischen Gesellschaft, wie dem Iran eine wichtige Rolle bei der Gestaltung des Lebens ihrer Töchter spielen. Das Wohlergehen und die Sicherheit der Töchter haben für sie Priorität. Atwoods Mütter mögen manchmal grausam erscheinen, aber der Leser weiß, dass sie keine andere Wahl haben, als streng zu sein, um die Sicherheit ihrer Kinder zu gewährleisten.
Ich erinnere mich an einen Sommer, in dem die jungen Mädchen sich mit ihren Müttern beim Schneider über die Länge der Schuluniformen stritten, bevor wir im Herbst wieder zur Schule gingen. Glücklicherweise oder unglücklicherweise habe ich das mit meiner Mutter nie erlebt, denn obwohl sie sehr gläubig war, war ihr meine Entscheidungsfreiheit wichtig. Das bedeutete aber nicht, dass ich nicht mitbekam, was um mich herum geschah. Die jungen Mädchen wollten kürzere Röcke, während die Mütter sich an die Kleiderordnung halten wollten. Sie wollten ihren Töchtern den Ärger mit den Schulbehörden und der Sittenpolizei ersparen.
In meiner Generation haben viele Frauen (ich eingeschlossen) beschlossen, unsere Töchter nicht wegen Kleinigkeiten wie der Länge eines Kleides oder eines Schleiers herauszufordern. Wir waren uns jedoch nicht bewusst, dass die Freiheit, die wir unseren Kindern gaben, sie später Schaden und Schikanen aussetzen würde.
Doch aufgeschlossene Mütter gab es im Iran schon lange vor der Revolution von 1979. Sie koexistierten mit den eher traditionellen Frauen. Die liberal gesinnten Frauen betonten die Bedeutung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Frauen, der Berufstätigkeit und der höheren Bildung. Sie stärkten junge Frauen sowohl auf persönlicher Ebene, indem sie ihre Töchter in diesem Bewusstsein erzogen, als auch auf nationaler Ebene, indem sie sich für Programme einsetzten, die junge Mädchen und Frauen förderten. Die meisten Väter setzten sich damals für die Hidschab-Pflicht ein, die sie als eine Frage der Moral und der islamischen Identität darstellten.
Meiner Meinung nach legte die Verschleierungspflicht den Grundstein für die Rolle der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen.
Als Anwältin bin ich Zeuge himmelschreiender Ungerechtigkeit und unermesslichen Leids geworden. In einem Fall wurde ein 13-jähriges Mädchen in Rasht wegen Mordes zum Tode durch den Strang verurteilt. Und eine Schülerin, die an Schülerprotesten teilgenommen hatte, wurde zum Tode verurteilt und in dem berüchtigten Gefängnis Evin gefoltert.
Obwohl das Todesurteil bereits rechtskräftig war, zahlten sich meine Bemühungen schließlich aus, dank zahlreicher BürgerrechtlerInnen, die an meiner Seite kämpften. Sie wurde nach 20 Jahren Haft freigelassen. Mädchen sind bereits im Alter von neun Jahren in Iran strafmündig.
In einem anderen Fall gelang es mir – wiederum gemeinsam mit mehreren BürgerrechtlerInnen –, die Freilassung einer Person mit Zustimmung der Familie des Opfers zu erreichen. Dies war möglich, weil nach dem islamischen Strafgesetzbuch bei qisas (Vergeltung) für Mord das diyah (Blutgeld) an die nächsten Angehörigen des Opfers gezahlt werden kann, damit die Familie auf das Recht auf qisas verzichtet.
Nach der Revolution wurden schreckliche Geschichten bekannt, wie die Regierung die Hidschab-Pflicht für Frauen durchsetzte. Der Slogan „Egal ob Kopftuch oder Prügel, wir sind die Leidtragenden“ beschrieb, was passierte: Frauen wurden Opfer von Säureangriffen oder mit Entlassung bedroht.
Die Bewegung „Girls of Revolution Street“ gegen die Hidschab-Pflicht fand 2017 ein breites Echo. Ziel der Bewegung war es, die Hidschab-Pflicht in Frage zu stellen und die herrschenden unterdrückenden Männer zu stürzen. Auch viele Männer standen nun auf der Seite der „Mädchen von der Revolutionsstraße“, weil sie die Ungerechtigkeit und Ungleichheit gegenüber Frauen satthatten. Sie wussten, dass Glück ohne Gerechtigkeit und Gleichberechtigung nicht möglich ist. Deshalb schlossen sich auch Männer der Bewegung in mehreren Städten an. Auch sie kletterten auf die Strommasten in ihren Städten, banden einen Schal an einen Ast und schwenkten ihn durch die Luft.
Unter meinen Klienten befanden sich einige dieser Männer, die angeklagt waren, weil sie an „zivilem Ungehorsam“ teilgenommen hatten. Sie waren in mein Büro gekommen, um sich rechtlich vertreten zu lassen. Leider wurde ich verhaftet, noch bevor ich mit ihrer Verteidigung beginnen konnte.
Das Leben vieler „Girls of Revolution Street“ geriet so sehr unter Druck, dass sie gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen.
Fünf Jahre später, nach der staatlich sanktionierten Ermordung von Mahsa Amini im September 2022 wegen ihres verrutschten Hidschabs, nahm die Bewegung „Frauen, Leben, Freiheit“ Fahrt auf. Sie war die Antwort auf 44 Jahre Missachtung von Frauen, ihrer Rechte und ihres Körpers.
Viele, die sich wie ich dafür entschieden haben, sich für die Menschenrechte zu engagieren, haben ähnliche Geschichten erlebt. Wir, die Menschenrechtsaktivisten, sind überzeugt, dass die Schaffung eines fairen Justizsystems zur Demokratisierung der Gesellschaft beiträgt. Das wichtigste Merkmal eines gerechten Justizsystems ist seine Unabhängigkeit von der Regierung. Eine Voraussetzung für die Demokratie ist vor allem die Existenz von Rechtssicherheit für die Bürger durch faire Verfahren.
Wenn ich meine Klienten verteidige und dafür im Gefängnis lande, denke ich natürlich auch an die Zukunft. Mit unserem Widerstand bringen wir unseren Kindern nicht nur Gleichberechtigung bei, sondern erinnern sie und uns selbst auch daran, dass niemand das Recht hat, ihnen aufgrund von Geschlecht, Religion oder Rasse ihre Freiheit zu nehmen.
Wir können nicht über Bürgerwiderstand sprechen, ohne auf Vorbilder wie Martin Luther King Jr., Václav Havel, Nelson Mandela oder Mahatma Gandhi zurückzugreifen. Auch sie fühlten sich dafür verantwortlich, das Risiko von Gewalt zu verringern, ohne dabei ihre Ziele aufzugeben.
Wenn wir eine Zukunft mit ähnlichen Methoden erringen, werden wir nicht in einem Regime enden, das mit dem jetzigen identisch ist. Wenn wir jedoch die Verantwortung für das Leben jedes einzelnen Bürgers übernehmen und von gewaltfreien Bewegungen lernen, können wir eine neue Regierung und neue Ideale schaffen.
Ich bin zutiefst besorgt über die zunehmende Zahl von Opfern und das Leid, das den Menschen zugefügt wird. Ich fürchte die Fortsetzung der tyrannischen Herrschaft. Wir brauchen eine Vision, um den Kreislauf der Unterdrückung in unserer Gesellschaft zu durchbrechen. Ich glaube, dass die Bewegung der „Girls of Revolution Street“ diesen Weg bis zu einem gewissen Grad gegangen ist, indem sie einen gewaltfreien und mutigen Weg gewählt hat.
Jedes Mal, wenn sich eine wahre Chance bieten soll, kann sie nur durch Gewaltlosigkeit erreicht werden. Eines der wichtigsten Instrumente zur Überwindung dieser Tyrannei ist das Gesetz. Nur das Gesetz kann eine gerechte Rechtsprechung sowohl für Andersdenkende als auch für Befürworter unserer Gesellschaft schaffen.
Einige von ihnen entschieden sich dafür, im Iran zu bleiben, während andere gezwungen waren, ihr Heimatland zu verlassen. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei den „Girls of Revolution Street“ um eine der strahlendsten Erfahrungen im Bürgerrechtskampf für Gleichheit und Gerechtigkeit, eine Bewegung, die die Aufmerksamkeit auch außerhalb des Landes auf sich zog.
Ich kann es nicht oft genug betonen: Wir dürfen das Ausmaß an Gewalt und Ungerechtigkeit, das uns angetan wurde, niemals wiederholen. Denn zweifellos würde uns das in neue Monster verwandeln. Wir dürfen unsere Geschichte nicht mit sich wiederholender Gewalt fortsetzen, diesmal von der anderen, von unserer Seite. Wir wollen menschlich sein, ein normales Leben führen wie alle anderen Menschen auch. Wir müssen unsere Geschichte mit Liebe, Recht und Gerechtigkeit umgestalten.
Können wir trotz des Drucks und der Methoden, die uns in den letzten 44 Jahren aufgezwungen wurden, hoffnungsvoll in die Zukunft blicken? Können wir über die tyrannische Bestie triumphieren, die sich in unser Leben eingenistet hat?
In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen einige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verabschiedet wurde, heißt es: „Da die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen, und da verkündet worden ist, dass einer Welt, in der die Menschen Rede- und Glaubensfreiheit und Freiheit von Furcht und Not genießen, das höchste Streben der Menschen gilt … Da die Völker der Vereinten Nationen in der Charta ihren Glauben an die grundlegenden Menschenrechte, an die Würde und den Wert der menschlichen Person und an die Gleichberechtigung von Mann und Frau erneut bekräftigt und beschlossen haben, den sozialen Fortschritt und bessere Lebensbedingungen in größerer Freiheit zu fördern.“
Der Iran hat dieses Abkommen noch unter dem früheren Regime unterzeichnet, und es ist theoretisch immer noch in Kraft.
Wie gesagt prägt die Mentalität der iranischen Mütter leider das Schicksal ihrer Töchter. Mütter, die schon in der männerdominierten Welt der vergangenen Jahrzehnte lebten, wurden von ihren Vätern beeinflusst. Mütter zogen es oft auch selbst vor, dass ihre Töchter „sittsam“ bekleidet sind. Diese Mütter trennten die geistige Freiheit ihrer Töchter von ihrer körperlichen Freiheit.
Heutzutage haben sich die Ansichten vieler dieser iranischen Mütter und Väter tatsächlich geändert. Sie wollen, dass ihre Töchter selbst entscheiden können, was sie tragen, denken und tun. Ich glaube, wenn die öffentliche Meinung einer Gesellschaft eindeutig die Trennung von Religion und Regierung fordert und die Einmischung der herrschenden Autoritäten in verschiedene Aspekte des Lebens, einschließlich der Kleidung der Frauen, ablehnt, wird dies unweigerlich zu bedeutenden Veränderungen führen. Wir kommen dem immer näher.