Uns kann es egal sein
… oder doch nicht? Wirklich betroffen sein von der Klimakatastrophe werden nämlich erst unsere Kinder und Kindeskinder. Genau das ist das Problem: Empathiefähigkeit ist gefragt.
Jeder Mensch kann, wenn er morgen vor die Tür tritt, Entscheidungen treffen, die weit über die Klimaschutzverträge der Regierungen hinausgehen. Er kann sich für Verhaltensweisen und Produkte entscheiden, die den Ausstoß an Treibhausgasen verringern.“ Der das sagt, ist der Deutsche Achim Steiner, Chef der Umweltbehörde der Vereinten Nationen (UNEP). Seine Behörde legte am 2. Februar 2007 mit dem vierten Umweltbericht den ausführlichsten Klima-Report über den Planeten vor, den es je gab. UN-Chef Ban Ki-Moon kommentierte: „Der Klimawandel ist so gefährlich wie ein Krieg.“
Einige Monate zuvor hatte der Ex-Chefökonom der Weltbank, Nicholas Stern, die internationale Wirtschaft hochgeschreckt. Die Folgen des Klimawandels könnten 5-20 Prozent des jeweiligen Brutto-Inlandproduktes auffressen. Dabei müsse nur ein Prozent (weltweit etwa 270 Milliarden Euro im Jahr) aufgewandt werden, um die Katastrophe zu stoppen. Was einen gewissen Eindruck hinterließ in den Chefetagen und Börsen.
Ganz davon abgesehen, dass die steigenden Temperaturen – zwei bis sechs Grad bis 2100 – und schmelzende Gletscher zur Wasserknappheit für einen von sechs Menschen führen, hundert Millionen Menschen infolge des steigenden Meeresspiegels obdachlos würden, hunderte Millionen zu Klimaflüchtlingen und vier von zehn Tierarten ausgerottet.
Ja, da stellt sich doch gar keine Frage mehr. Da kann ja nur gehandelt werden, oder? So einfach ist die Sachlage allerdings leider nicht, denn es gibt da ein Problem, genauer gesagt, zwei: Erstens werden die Menschen, die das jetzt entscheiden müssen, nicht mehr selber vom Klimawandel betroffen sein. Zweitens sind die meisten Menschen, die die Macht haben, es zu entscheiden, auf der in dem Falle günstigeren Schattenseite der Erde gelandet.
Zu Punkt 1: Bis etwa 2050 ist es schon gelaufen. Alles, was wir jetzt tun, wird sich erst danach auswirken. Für den klimatischen Wendepunkt halten ExpertInnen das Jahr 2075 – und dann leben nur noch die zukünftigen und heutigen Kinder bzw. Jugendlichen. Aber die haben (noch) nichts zu sagen.
Zu Punkt 2: Im Norden der Weltkugel kann es zwar auch sehr unangenehm werden, existenziell betroffen jedoch ist der Süden, also die Länder, die schon jetzt zu den Ärmsten gehören. 25 Prozent der Treibhausgase, die unsere gute alte Erde zu einem stickig-heißen Ball werden lassen, schicken die US-Amerikaner in die Atmosphäre – und die haben bisher noch nicht einmal das so genannte Kyoto-Protokoll unterzeichnet, in dem die Nationen sich zur Selbstdisziplin verpflichten.
Das heißt, um sich für den Klimaschutz zu engagieren, muss der Mensch a. Einfühlungsvermögen besitzen, b. Uneigennützigkeit und c. Voraussicht. Wer hat das schon? Da sehen wir in Turbogeschwindigkeit diejenigen, auf die die Rettung des Klimas bauen könnte, zu einem ziemlich winzigen Häuflein schmelzen.
Auch überrascht die Erkenntnis nicht: Es sind mehr Frauen als Männer unter diesen WeltretterInnen – aber auch unter den potenziellen Opfern. Dafür sind die Männer stärker unter den Umweltsündern vertreten. Das gleicht sich aus. So fand eine schwedische Studie heraus, dass der Energieverbrauch von „Männern mittleren Alters“ doppelt so hoch ist wie der gleichaltriger Frauen.
Drei Gründe fallen dazu auf Anhieb ein: Erstens die Liebe des Mannes zum Auto und zum Rasen mit demselben. Letzteres ist in Deutschland, dem Paradies der Raser, besonders verbreitet. Bei unseren europäischen Nachbarn liegt die Geschwindigkeitsbegrenzung schon lange bei 100 bzw. 130 km/h. Wir sind eines der raren Länder der westlichen Welt ohne Tempolimit.
Kein Problem für Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD). Auf die, nach ermüdend erfolglosen nun wieder ausgegrabene, Forderung nach einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen zum Schutz von Klima und Menschen antwortet Gabriel lässig: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treiben.“ Es gäbe „schließlich andere Prioritäten“, zum Beispiel die der „internationalen Vernetzung im Klima-Krisenmanagement“. Klar, immer erst die anderen. Denn werden wir sehen …
Zweitens der Fleischkonsum der Männer dieser Welt. Je höher der Fleischkonsum, umso männlicher der Mann. Das ist kulturell tief verankert. Für Vater das Kotelett – das war so lange selbstverständlich, bis es Dank der industriellen Tierproduktion, also Massentierhaltung, billige Koteletts für alle gab. Jetzt ist also Vaters Kotelett einfach doppelt oder dreimal so dick wie das von Mutter und Kind. Eine Hierarchie muss schon noch sein. Was nicht nur mörderische Folgen für die Tiere hat, sondern auch für die Menschen:
Allein die weltweite Tierproduktion ist verantwortlich für 18 Prozent der Treibhausgase! 1,5 Milliarden Rinder sowie 1,7 Milliarden Schafe und Ziegen rülpsen und pupsen den Ozonmantel löchrig. 18 Prozent – das ist mehr als der Ausstoß der gesamten Transportindustrie, vom Auto bis zum Flugzeug. Hinzu kommt: Zum Anbau des Viehfutters werden die Regenwälder abgeholzt und gehen als CO2-Speicher verloren.
Und drittens sind die Herren der Welt schlichtweg weniger umweltbewusst. Sie trennen weniger Müll, begehen mehr Umweltsünden und machen sich weniger Umweltsorgen. Das belegt nicht nur eine Greenpeace-Studie von 2004, nach der 50 Prozent der befragten Frauen den Klimawandel für „sehr gefährlich“ halten, aber nur 41 Prozent der Männer; und 70 Prozent der Frauen fürchten, dass der Klimawandel sich negativ auf Kinder und Kindeskinder auswirken wird, aber nur 41 Prozent der Männer.
Und eine Studie des ‚Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung‘ (PIK) dokumentierte bereits 1998: Frauen haben schon jetzt Konsequenzen gezogen. Sie meiden stärker als Männer die Sonne, essen mehr Obst und Gemüse, schränken ihren Wasserverbrauch ein und fahren weniger Auto bzw. fliegen seltener. Sie also sind die Adressatinnen Nr.1 für den Kampf gegen den Klimawandel.
Hinzu kommt: Deutschland hat zur Zeit eine Kanzlerin, die Physikerin ist, auch schon mal Umweltministerin war und den Klimawandel zur „größten Herausforderung der Menschheit“ und „Chefsache“ erklärt hat. Entsprechend engagiert trat Angela Merkel beim EU-Klimagipfel am 8. März in Brüssel auf, auf dem die EU-Länder sich darauf einigten, internationaler „Vorreiter“ in Sachen Klimaschutz zu werden. Forschungsministerin Annette Schavan kündigte flankierend einen „großen Forschungsgipfel“ an: „Wir brauchen einen Strategiedialog zwischen Forschung und Wirtschaft.“
Bis 2020 wollen die EU-Länder den Anteil erneuerbarer Energien von heute 6,5 auf 20 Prozent steigern. Hört sich gut an. Da gibt es nur ein kleines Problem. Obwohl die deutsche Kanzlerin standfest erklärt hat: „Atomkraft ist keine erneuerbare Energie“, setzt Frankreich weiterhin auf Atomstrom. Und auch in Deutschland befindet sich die Kanzlerin mit ihrem Anti-Atom-Kurs keinesfalls in der Mehrheit, nur SPD und Grüne scheinen Wort halten zu wollen mit ihrem Pro-Abschalten.
Übrigens: Das Problem mit dem Klimawandel ist nicht neu. Bereits im Jahr 1896, also vor über hundert Jahren, konstatierte der schwedische Wissenschaftler Svante Arrhenius eine „signifikante Erwärmung“. Doch erst 90 Jahre später alarmierte eine internationale Wissenschaftlerkonferenz in Villach 1986 erstmals die Politik. 1992 verpflichteten zahlreiche Staaten sich auf der ersten Klimakonferenz in Rio, „die Stabilisierung der Treibhausgase in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, das gefährliche anthropogene Einmischung in das Klimasystem verhindert“. Wir wissen, wie es weiterging.
Erst 2005 unterzeichneten 141 Länder das so genannte Kyoto-Protokoll, mit dem sie sich verpflichten, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2012 um mindestens fünf Prozent zu senken (im Vergleich zu 1990). Deutschland ging schon damals Dank seiner starken Ökologiebewegung und dank der Grünen mit der Ankündigung voran, seinen Ausstoß um 21 Prozent zu senken. Was unser Land nicht hinderte, bis heute mehr Kohlendioxid auszustoßen als jedes andere Land in Europa. Und der Mega-Klima-Verschmutzer USA hat gar nicht erst in Kyoto unterzeichnet.
Was uns bzw. unsere Kinder erwartet, das wurde in den vergangenen Monaten in vielfachen Schreckensszenarien beschworen: Die Gletscher schmelzen und hinterlassen gewaltige Schutthalden, wodurch der Wasserkreislauf zerstört wird und eine dramatische Wasserknappheit ausbricht. Flüsse wie der Rhein trocknen im Sommer zu Rinnsalen aus, die Kraftwerke können nicht mehr angemessen gekühlt und müssen abgeschaltet werden; die Schifffahrt erliegt, und die Flusskloake ist eine Quelle für Seuchen.
Die Wälder brennen wie Streichholzschachteln. Landwirte werden in unseren Breitengraden maximal noch für die Selbstversorgung produzieren können. Orkane und Fluten werden zur Regel. Andernorts schmelzen den Eisbären die Schollen unter den Tatzen weg. In den Entwicklungsländern wird die Dürre Mensch und Tier niederknüppeln.
Kulturstätten der Welt werden im Meer versinken: von den thailändischen Tempeln bis zum Big Ben in London. Und selbst die höchsten Schutzwälle können bestenfalls die reiche erste Welt vor den Sturmfluten schützen, aber auch die nicht garantiert.
Von all dem werden, Ironie der Geschichte, Frauen stärker vom Klimawandel betroffen sein als Männer. Und das nicht nur in den Entwicklungsländern. So starben in dem mitteleuropäischen Hitzesommer 2003 in allen Altersgruppen 15 bis 20 Prozent mehr Frauen als Männer. Frauen sind es, die vor allem die auf Familien, Kinder und Alte zukommende Belastung tragen werden. Und sie werden öfter in den Klimakatastrophen sterben.
Bei Naturkatastrophen wie der Flut von New Orleans oder dem Tsunami starben nicht nur mehr Frauen, sondern wurden bei der günstigen Gelegenheit auch noch mehr vergewaltigt als sonst. Bei dem Erdbeben im islamistischen Pakistan 2005 starben viermal so viele Frauen wie Männer (eingesperrt in ihre Häuser und weniger wert, gerettet zu werden). Und in Bangladesh starben bei Wirbelstürmen fünf mal mehr Frauen als Männer.
In Afrika und Asien, wo vor allem Frauen für die Wasserbeschaffung und Nahrungsproduktion zuständig sind, wird ihr Leben noch härter werden und die Nahrung weniger: Denn obwohl Frauen nur ein Prozent des Ackerlandes besitzen, produzieren sie auf Äckern und in Gärten die Häfte der gesamten Nahrung weltweit.
Viele gute Gründe also für alle Menschen, aber für Frauen besonders, sich dem Klimawandel mit allen Kräften entgegen zu stemmen. Aktivistinnen fordern: genderspezifische Schulungen und Aufklärung, gezielte Förderung von Frauen in technischen Berufen, Chancengleichheit bei Planung und Gestaltung sowie Repräsentanz von Frauen in allen Entscheidungsgremien. Das muss noch erstritten werden.
Aber schon jetzt haben sich in Deutschland Umweltschützerinnen und Klimaforscherinnen in einem Netzwerk zusammengeschlossen: genanet. Sie tragen alle Erkenntnisse unter dem Genderaspekt zusammen – und regen an, dass daraus auf allen Ebenen Konsequenzen gezogen werden.
Was aber jede einzelne von uns ab sofort tun kann, ist: Morgen schon im eigenen Leben aktiv mit dem Klimaschutz beginnen.
EMMA, Mai/Juni 2007
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Dossier: Die Ökoheldinnen, 5/1995