Wossi I: "Für mich ist der Osten ein

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"Uns fehlt für morgen noch was Schönes, Kollegin Rellin!" So oder ähnlich wird Kollege T. aus der Lokalredaktion des West-Berliner ­Tagesspiegels gesprochen haben in der Vorweihnachtszeit 1987. Ich nahm das als Aufforderung, spontan eine Reportage-Reise ins Ausland zu machen. S-Bahn-Fahrkarte und in Westdeutschland ­aus­gestellter Reisepass genügten, eine Stunde später war ich drin, in der DDR, genauer: in Berlin, Hauptstadt der DDR. Mein Ziel hieß Weihnachtsmarkt auf dem ­Alexanderplatz.

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Dort entdeckte ich als Highlight für meinen Report Kinderspielzeug: eine komplette Küchenausstattung. Das Ulkige waren die Namen der einzelnen Gerätschaften: Da gab es den Mixer "Katrin", die Küchenwaage "Tina" und die Waschmaschine "Stefanie", in die man sogar richtiges Waschpulver füllen konnte. War es also doch nicht so weit her wie gedacht mit der Gleichberechtigung der Frauen in der DDR?

Für so manche Feministin aus dem Westen liegt die Antwort auf der Hand – aus ihrer Sicht waren DDR-Frauen mit Gleichberechtigungsgeschwafel eingelullt worden, sie hatten sich klaglos Beruf, Mutterschaft und dazu noch Einkauf und Haushalt aufhalsen lassen, während ihre Männer sich weiter gewohnt patriarchalisch in den Sesseln rumlümmeln konnten. Nach der Wende erlebte ich in zahllosen Diskussionen, wie sich Ost-Frauen vehement jede Einmischung in ihre ­Umsetzung der Emanzipation verbaten. Vor allem betonten sie immer wieder, Gleichberechtigung mit den Männern ­gemeinsam erreichen zu wollen, nicht ohne sie oder gar gegen sie.

Unverkrampfter ­Umgang mit der Frauenfrage

Mir gefiel dieser unverkrampfte ­Umgang mit der Frauenfrage. Statt sich in endlosen theoretischen Diskussionen aufzureiben, wurde einfach so gelebt, wie es auch mein Lebensplan vorsah: berufstätig mit Kind, gerne auch unverheiratet. Die ­typisch westdeutsche Spaltung der Frauen in traditionelle Trullas und verbissene Kämpferinnen – im Osten Fehlanzeige, für mich ideal.

Wenn ich gewisse Westdeutsche mal so richtig aus der Reserve locken will, provoziere ich sie mit dem Satz: "Für mich ist Ost-Deutschland ein Paradies." Um dann den Schwall ihrer Entgegnungen zu hören: "Was soll denn gut sein im Osten? Die Staatssicherheit?" – Wir schreiben das Jahr 2009! "Das mangelnde Demokratieverständnis?" – Soll im Westen auch vorkommen. "Findest du es denn gut, wie im Osten die Fördermillionen versickern?" Und im Westen wieder rauskommen.

Die Umstände machen es mir hier leichter

Ich sag’s dann gerne ganz klar: Ich lebe im Osten als Frau so, wie ich es im Westen auch täte, nur machen es mir die Umstände hier leichter. Wäre mein Sohn in Westdeutschland geboren – ich hätte ­Betreuung für einen noch nicht Einjährigen hart erkämpfen oder selbst einen Kinderladen gründen müssen. Im Ost-Ber­liner Prenzlauer Berg habe ich zwischen verschiedenen bezirklichen Kindergärten wählen können, die alle in der Regel von 6 bis 18 Uhr geöffnet haben und gerne flexibel mit den Eltern absprechen, von wann bis wann das Kind jeweils kommt.

Und dass unser Sohn so jung schon in diesem Kindergarten war, trug mir bei Nachbarn, Kollegen, Bekannten und Freunden keinesfalls den Ruf einer ­"Rabenmutter" ein – im Osten ist Kindergartenbetreuung nicht ehrenrührig. Ende der 90er war gut jedes dritte Kind unter drei Jahren im Kindergarten, im Westen jedes 33ste, und das gerne nur halbtags. Das setzt sich in der Grundschulzeit fort. Wir waren mittlerweile ins Brandenburgische umgezogen und unser Sohn besuchte, wie drei Viertel seines Jahrgangs, nachmittags den Hort.

Vollzeitarbeit mit gutem Gewissen

Das Kind gut betreut zu wissen, ­ermöglicht Mutter (und Vater) Vollzeitarbeit mit gutem Gewissen. Und Vollzeitarbeit macht Frauen selbstbewusst und selbstständig, Ost-Frauen kennen das aus DDR-Zeiten. Wer meinte, nach der Wende würden sich die ostdeutschen Frauen befreit und jubelnd auf das nicht tot zu kriegende westdeutsche Traditionsmodell "Ehemann als Alleinverdiener" stürzen und zu Hause die Kinder hüten, der irrt.

Selbstverständlich, es gibt auch selbstbewusste, Vollzeit arbeitende West-Mütter, die im Zweifelsfalle nicht auf eine so gute Kinderinfrastruktur wie im Osten zurückgreifen können. Aber die steigende Erwerbsquote von West-Frauen schließt doch jede Menge Teilzeitarbeiterinnen ein, die ihre Arbeit häufig ganz traditionell als "Dazuverdienen" verstehen.

Noch immer wird im Osten schlechter verdient als im Westen, zwei Einkommen im Haushalt sind da schon günstig. Aber den Frauen – und Männern – geht es nicht vordergründig ums Haushaltseinkommen, sondern vor allem um eine ­Lebensform, die Partnerschaft auf Augenhöhe ermöglicht.

"Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört", beschwor Willy Brandt am 10. November 1989 feierlich die neue Nation. Die Ernüchterung folgte bald, nun hieß es: "Die Angleichung der ­Lebensverhältnisse wird länger dauern, als wir ursprünglich dachten, sorry." Wieso sorry? In vielerlei Hinsicht ist es sehr zu begrüßen, dass der Osten sein eigenes Süppchen kocht, nicht nur in Sachen Kindergarten. Dass die Spaßbaddichte im Osten mittlerweile höher sein dürfte als im Westen, buche ich nicht unbedingt auf der Habenseite Ost. Für mich zählen die gern zitierten "soft skills", der menschliche Faktor. Und wenn man Wärme, Freundlichkeit und Offenheit mit Messgeräten bestimmen könnte, hätte der Osten klar die Nase vorn.

Der Westen per se ist nicht kalt

Um nicht missverstanden zu werden: Der Westen per se ist nicht kalt und ­unfreundlich, aber 60 Jahre ungebrochene kapitalistische Entwicklung förderten die Ellenbogenmentalität und das Misstrauen, es kostet Kraft, das Miteinander dagegen zu verteidigen. Wenn ich für meine Bücher über den Alltag von Frauen Gesprächpartnerinnen in West und Ost suche, treffe ich im Westen viel häufiger auf grundsätzliches Misstrauen und Ängst­lichkeit – eine klare Folge der gesellschaftlichen Entwicklung. In Ostdeutschland werde ich bei Partys nur selten ­gefragt: "Und was machst du so beruflich?" Eine Frage, die dem Abklopfen von sozialem wie materiellem Hintergrund gilt. Im Osten wirkt fort, dass zu DDR-Zeiten die Einkommensunterschiede nicht allzu groß waren, Freundeskreise sich entsprechend unabhängig von Gehaltsgrenzen bildeten.

Zu Wendezeiten wurde versäumt, das Gute im Osten auf gesamtdeutsche Verwendbarkeit zu prüfen. Ich denke da an Ganztagsschulen, die wir nach schlechten deutschen PISA-Ergebnissen heute in der finnischen oder französischen Variante preisen; ich denke auch an Polikliniken und festangestellte Ärzte ohne betriebswirtschaftlichen Druck.

Gesellschaftliche Krise

Das Rad der Geschichte lässt sich nicht zurückdrehen, aber schon wieder gibt es Erfahrungen, die der Osten dem Westen voraus hat: Der Umbruch von 1989/90 hat die Menschen im Osten einzeln wie gesellschaftlich in die Krise gestürzt. Ganze Industriezweige wie Textilherstellung und Leichtindustrie sind nach der Wende im Osten weggebrochen, gerade Frauen waren hier beschäftigt und wurden ­arbeitslos. Trotzdem gingen gerade ­Frauen aus der Krise nach der Wende ­gestärkt hervor, die Erfahrung, dass sich alles von heute auf morgen wandeln kann, die Erfahrung, das gemeistert zu haben, die Möglichkeit, den Alltag in zwei verschiedenen Gesellschaftssystemen vergleichen zu können, das haben sie den West-Frauen voraus. Experten bescheinigen Ostdeutschen eine höhere Flexibilität im Denken und Handeln.

Frauen im real existierenden Sozialismus

Mein DDR-Bild hatte Ende der 70er Jahre vor allem ein Buch geprägt: Die österreichische Schriftstellerin Maxie Wander lebte in der DDR und hielt in "Guten Morgen, du Schöne" den Alltag von Frauen im real existierenden Sozialismus fest. Ich konnte nichts Verdächtiges daran finden, wenn die 32-jährige Sekretärin Rosi sagte: "Wie soll eine Gesellschaft weiterkommen, die nicht mehr in Frage stellt, nicht mehr verändern will, Risiken scheut?" Mein Großvater fand solche Sätze, besonders wenn sie aus dem Ostblock kamen, höchst suspekt. Diskussionen mit ihm über den anderen deutschen Staat endeten grundsätzlich mit seinem Ausspruch: "Dann geh doch rüber."

Nun bin ich da und freue mich darüber, dass im Osten die Uhren langsamer gehen. Wir sind dem Westen hier 20 Jahre voraus, was die Frauenfrage angeht, aber eben auch 20 Jahre hinterher, was Hektik und Verlust von Nähe angeht. Hier geben dir Kinder noch freundlich die Hand und nennen dich beim Namen, wenn sie etwas wollen. Ost-Männer ­erkennt man immer noch daran, dass sie Frauen Türen aufhalten und schwere ­Taschen abnehmen, sichtbar unbelastet von der Vorstellung, die Frauen könnten das mit einem schroffen: "Was soll denn das, das kann ich alleine" zurückweisen. Kurzum, ich erlebe Ost-Frauen und -Männer im Miteinander als ­gleich­berechtigter und entspannter als im Westen.

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