Zusammenleben oder nicht?

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Ich habe bisher immer das Gefühl gehabt, dass mein  Leben relativ weit abseits von dem meiner privilegierten Schwestern und ihren Klagen über Gender-Rollen verläuft. Jedenfalls hatte ich noch nie das Bedürfnis, einem Mann hinterherzuräumen. Ich glaube eher, dass Menschen, die längere Zeit mit mir verbringen, das Bedürfnis entwickeln, mir hinterher zu räu men, ge schlechtsunabhängig.

Mein Freund ist vor fünf Wochen bei mir eingezogen. Ich habe sowas noch nie gemacht, aber jetzt wohnt er bei mir und ich habe Gelegenheit, die Gender-Theorien endlich empirisch zu überprüfen. Zuerst muss man sagen, dass mein Freund gendermäßig schon sensibilisiert ist. Er freut sich auf seine sechs Monate Elternzeit, sagt er häufig, und dass er gerne mehr abwaschen würde, sich aber nicht traue. Er sagt, er habe das Gefühl, einfach abzuwaschen wäre ein Übergriff, weil er meine Abläufe noch nicht so gut kenne. Ich glaube, das ist keine Ausrede.

Schnell abwaschen kann ich gut.

Es ist allerdings offensichtlich, dass mein einziger „Ablauf“ darin besteht, das Geschirr so lange stehen zu lassen, bis es anfängt, einen unangenehmen Geruch zu entwickeln und dann sehr schnell abgewaschen werden muss. Letzteres – schnell abwaschen – kann ich allerdings wirklich sehr gut, besser als er, besser als meine Mutter, besser als jeder Mensch. Ich mache es dann auch immer.

Mein Freund hatte in seiner alten Wohnung eine Spülmaschine und eine Putzfrau, die alle zwei Wochen kam. Es tut mir leid, wenn er jetzt auf einmal abwaschen muss. Ich kann auch nicht von ihm verlangen, einzukaufen, er kommt viel später von der Arbeit als ich. Sein Job ist intensiver als meiner, was, glaube ich, nicht unbedingt etwas mit Geschlechterrollen zu tun hat, sondern damit, dass er sich, im Gegensatz zu mir, für eine Branche entschieden hat, in der man etwas verdient. Und ja, er verdient mehr, viel mehr, aber er ist schließlich auch fünf Jahre älter als ich.

Jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke, ob das alles jetzt Ausdruck struktureller Probleme ist oder nicht, bekomme ich einen Knoten im Kopf. Kann nicht der Kapitalismus manchmal auch einfach Lösung sein statt immer nur Problem? In der neuen Wohnung werden wir auf jeden Fall eine Putzkraft haben. Und wenn ich in fünf Jahren immer noch nicht so viel verdiene wie er, entwickle ich vielleicht endlich ein kritisches Bewusstsein.

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