Zwischen Gläubigen & Säkularen

Erdogan AnhängerInnen in Istanbul. - Foto: Shady Alassar/Zuma Press/IMAGO
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Die Opposition wollte den Frühling in die Türkei bringen, aber die Türkei hat sich offensichtlich für den Winter entschieden. Auch wenn Erdogan bis zur Stunde die 50 Prozent nicht geschafft hat und wohl in die Stichwahl muss, bleibt die Türkei ein gespaltenes Land. Die nationalislamistische Ideologie Erdogans hat gesiegt.

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Ein beachtlicher Teil der TürkInnen sieht Erdogan als „Führer“ an, trotz desaströser Regierungsbilanz und Raub am Staat und Volk, allen voran die TürkInnen in Deutschland.

Die Türken hatten die Wahl zwischen Autokratie und Demokratie. Sie haben sich nicht für die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit entschieden. Knapp jedeR Zweite hat das nationalislamistische Ein-Mann-Regime gewählt. Unter den TürkInnen in Deutschland haben sogar zwei von drei für Erdogan gestimmt!

Ali Ertan Toprak: Erdogan hat die Wahl in der Türkei zu einer Wahl zwischen Gläubigen und Ungläubigen gemacht.
Ali Ertan Toprak: Erdogan hat die Wahl zu einer Wahl zwischen Gläubigen und Ungläubigen gemacht.

Es wird zwar eine Stichwahl geben, aber Erdogan geht als Favorit in diese Stichwahl. Er hat zwar keine großen Projekte mehr, aber seine Dichotomie zwischen Gläubigen und Ungläubigen und die Dämonisierung der politischen Gegner als „Terroristen“ verfängt in der zutiefst nationalistischen Türkei.

Die Kurden allerdings haben mehrheitlich für eine demokratische Türkei gestimmt. Kilicdaroglu hat in den meisten kurdischen Städten haushoch gewonnen. Doch die Mehrheit der Türken hat sich für den Nationalislamismus entschieden.

Erdogan hat es geschafft, eine Wahl zwischen Autokratie und Demokratie zu einer Wahl zwischen Gläubigen und Ungläubigen zu machen. Trotz Massenverarmung, Vetternwirtschaft, Korruption und Verflechtung zwischen Staat und Mafia.

Der Autokrat hat ein Bündnis der National-Islamisten geschmiedet: von den Grauen Wölfen, über die Nachfolgeorganisation der islamistisch-terroristischen Hisbollah bis hin zu den türkischen Muslimbrüdern. Eine Koalition des Schreckens.

Die einst in Istanbul beschlossene Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen wurde aufgekündigt. Und per Gesetz soll auch der Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch weiter aufgelockert werden, sodass schariakonform auch Kinderbräute verheiratet werden können.

Was haben nationalislamistischen Erdogan-Anhänger noch in Deutschland zu suchen?

Eine Koalition gegen die Frauen und gegen die Säkularität hat die absolute Mehrheit im Parlament errungen, auch wenn bei der Stichwahl in zwei Wochen Erdogan als Präsident abgewählt werden würde.

Und dann sind da noch die Auslandstürken in Deutschland. Sie genießen hier die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, haben aber mehrheitlich wieder den Autokraten Erdogan gewählt.

Was haben diese nationalislamistischen Erdogan-Anhänger eigentlich noch in Deutschland zu suchen? Sie verachten unsere freiheitlich-demokratischen Werte, genießen alle Vorzüge einer Demokratie - wählen aber einen national-islamistischen Autokraten in der Türkei.

All die deutschen Politikerinnen und Politiker sowie Kirchenvertreterinnen und -vertreter, die in den letzten Wochen bei Iftar-Empfängen von Erdogan-nahen Moscheen waren, sollten wissen, dass sie damit Erdogan Wahlhilfe geleistet haben.

Ali Ertan Toprak

Der Autor ist der Präsident der „Immigrantenverbände in Deutschland’ und Vorsitzender der „Kurdischen Gemeinde in Deutschland“. Er kam im Alter von zwei Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland.

Aktualisiert am 15. Mai um 16 Uhr.
 

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