Wie schwach ist Goliath?
Nein, wir lassen uns ganz sicher nicht einschüchtern (und haben dabei ja auch Ihre tatkräftige Unterstützung!) - doch die weitverbreitete Da-kann-unsereins-ja-doch-nichts-machen-Haltung, mit der Menschen sich resigniert ins Unrecht fügen, die können wir heute noch besser verstehen als früher. Denn wenn so ein Goliath mit all seinen Möglichkeiten zum Gegenschlag ausholt - ja, da muss David schon ganz schön zäh sein.Wäre es bei der Stern-Klage nicht auch um die politische Seite (das heißt um die öffentliche Diskussion des Problems und seine Bewusstwerdung) gegangen, sondern nur um die juristische - EMMA wäre zutiefst zu bedauern.
Denn bei der Titelbild-Klage wie auch ihrem ganzen juristischen Rattenschwanz standen die Sterne bisher in der Stern-Stadt für EMMA immer schlecht. In der ersten Etappe erteilte das Hamburger Gericht den Klägerinnen eine wohlwollende Absage. Gleich danach stellte es sich wieder auf die Seite des Stern und ließ EMMA durch eine einstweilige Verfügung verbieten, die Herausnahme des Nannen kritisierenden Kolb-Artikels "Zensur" zu nennen (Ob wir das übrigens hinnehmen werden, ist noch offen. Ein Widerspruch gegen diese einstweilige Verfügung und eine Verhandlung sind möglich). Jetzt nun ergreift das Hamburger Gericht erneut die Partei des Stern und schlägt ein Gegendarstellungs-Gutachten Emma mit recht fadenscheinigen Argumenten ab.
Kleiner Trost: Kaum wechselt man den Schauplatz, scheint es in diesem Falle kleine Hoffnungen zu geben. So ließ das vom Stern aufgerufene Kölner Landgericht das Verlangen des Stern auf Gegendarstellung in EMMA wegen unserer Berichterstattung im Septemberheft abblitzen.
Am 27. Oktober wies das Kölner Landgericht die schon am 12. Oktober so großspurig angekündigte Gegendarstellung des Stern ("EMMA will ernstgenommen werden. Den Wunsch hat ihr der Stern erfüllt.") zurück. Noch am selben Tag stand Stern-Anwalt Prinz bei EMMA in der Tür. Er präsentierte eine neue Gegendarstellung, in der nun der in Köln umstrittene Satz der Stern-Gegendarstellung (nämlich "die Behauptung, der Stern-Artikel sei durch einen Akt der Zensur von Herrn Nannen aus dem Blatt genommen worden, ist falsch") wohlweislich nicht mehr auftauchte. Die neue Version beschränkt sich weise auf den Hinweis, nicht Chefredakteur Nannen habe den Beitrag "ausgewechselt" (wir hatten übrigens auch nie angenommen, dass Nannen persönlich die Druckmaschine anhält ...), sondern seine beiden Stellvertreter hätten das getan. Nun gut.
Sollten wir nun auch den Abdruck dieser Gegendarstellung, die unter formaljuristischen Gesichtspunkten durchaus schon haltbarer war, zurückweisen? Sollten wir die ganze Prozedur noch einmal durchstehen: der Gang des Stern zum Gericht, unser Gang zum Anwalt, Prozess etc.? Nein. Da veröffentlichen wir diese zweite Gegendarstellung des Stern lieber freiwillig, denn wir sind an einer Zankerei vor Gericht auf dieser Ebene wirklich nicht interessiert. Da haben wir besseres zu tun. In unseren Augen ist es eine Sache, einen einmaligen exemplarischen Prozess um etwas Grundsätzliches anzustrengen, es ist aber eine ganz andere, sich auf der kleinlichen Ebene von einstweiligen Verfügungen und Strafandrohungen herumzuzanken.
Dies spielt auch bei unserer Entscheidung, in unserer eigenen Sache jetzt nicht in Berufung zu gehen, eine Rolle. Worum geht es da? Der Stern behauptet wie gesagt in seiner Ausgabe vom 12. Oktober voreilig, EMMA würde die Gegendarstellung in der alten Form veröffentlichen und 1.000 DM an das Hamburger Haus für geschlagene Frauen zahlen, sozusagen zur Strafe. Die Infamie des Manövers war durchsichtig (Frauen gegen Frauen ausspielen). Die Hamburgerinnen waren ebenso empört wie wir ("Es ist nicht an Herrn Nannen, von einem Frauenprojekt Geld für ein anderes zu erpressen!").
Dennoch war der Stern nicht bereit, in seinem eigenen Blatt eine Gegendarstellung zu veröffentlichen. Eine Gegendarstellung, in der wir klarstellten: l. "Dass ein Abdruck in der verlangten Form weder in der November-Emma noch für später geplant ist. Nach Auffassung des vom ,Stern' angerufenen Landgerichts Köln kann diesem Gegendarstellungsanspruch, nicht stattgegeben werden'." 2. "Dass Emma eine solche Zahlung nicht leistet. Das Hamburger Haus für geschlagene Frauen lehnt es auch ab, eine solche durch den Stern veranlasste Zahlung anzunehmen."
Da der Stern sich weigerte, mussten wir noch einmal vor die Hamburger Pressekammer gehen. Und die gab dem Stern - recht. Unter anderem, weil Alice Schwarzer nicht als "Verlag", sondern als "EMMA-Redaktion" unterzeichnet hatte (!), und weil das Gericht der Meinung war, der Hinweis, dass das Hamburger Haus für geschlagene Frauen das Geld nicht annehme, sei "überflüssig", damit "soll dem Stern ersichtlich nur ,eins ausgewischt' werden" (dies steht wörtlich in der offiziellen Begründung des Hamburger Landgerichtes!).
Nun, das genügt. Wir gehen nicht in Berufung. Nicht in Hamburg. Aber diese beiden Verfahren sind noch nicht alles. Als drittes steht noch die vom Stern ebenfalls in Hamburg angestrengte einstweilige Verfügung an, mit der uns das Gericht verbot, weiterhin zu behaupten, es handele sich um "Zensur" (bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 500.000 DM ...).
Nun ist zu dem Begriff "Zensur" so einiges zu sagen. Sogar juristisch ist er nicht eindeutig, wird von Gericht zu Gericht und von Fall zu Fall unterschiedlich interpretiert. Es gibt Gerichte, die nennen "Zensur" nur das, was von Staats wegen erfolgt. In der öffentlichen Meinung ist Zensur, und gerade Pressezensur, ein sehr eng begriffener Akt, da ist es der Chefredakteur oder der Verleger, der einen Artikel in den Papierkorb schmeißt, einen entscheidenden Absatz streicht, eine Aussage verändert.
Wir Journalisten aber wissen, dass das alles viel subtiler abläuft. Zensur, das ist in 99 Prozent der Fälle die Schere in unserem eigenen Kopf. Zensur, das sind die Stellvertreter, die mit oder ohne kleinen Wink exakt so handeln, wie es dem Chef genehm ist. Zensur, das ist die Hinnähme von Reglementierung ohne Widerspruch.
Zensur, das ist vieles in der bundesdeutschen Männerpresse. Zu vieles.
EMMA Dezember 1978