Krieg gegen Frauen
Der Aufruf kommt an einem Frühlingsmorgen über den serbischen Rundfunk: „An alle Arbeiterinnen der Textilfabrik Prijedor: Sofort in die Fabrik zurückkommen! Wir nehmen die Produktion wieder auf." Die Arbeiterinnen aus allen drei Schichten machen sich auf den Weg in ihre Fabrik im bosnischen Prijedor, auf halbem Weg zwischen Zagreb und Split. Hinter ihnen schließen sich die Tore. Seither haben diese Frauen die Fabrik nicht mehr verlassen. Sie werden gewaltsam dort festgehalten. Serbische Soldaten machen aus der Textilfabrik ein gigantisches Bordell, sie erniedrigen, benutzen und vergewaltigen die Frauen. Tag für Tag. Nacht für Nacht.
Helfen kann ihnen niemand. Die Männer sind im Krieg oder auf der Flucht. Die alten Frauen und Kinder haben schnell eine Tasche, ein Kissen, eine Puppe gerafft und sich auf den Weg nach Zagreb gemacht, wo sie in notdürftigen Zelten vor der Moschee kampieren. Hier vor der Moschee hat Moijca sie getroffen. Moijca - so wollen wir sie nennen, ihr wirklicher Name würde sie in Gefahr bringen - reist seit Wochen und Monaten kreuz und quer durch das Land, das vor kurzem noch Jugoslawien hieß, und sammelt Zeugnisse: Zeugnisse von dem, was Frauen in diesem Krieg angetan wird.
Die 41jährige Moijca weiß, dass Gewalt gegen Frauen auch im sogenannten Frieden an der Tagesordnung ist. Sie arbeitet seit fünf Jahren beim „SOS Notruf für vergewaltigte Frauen" in Zagreb. Aber die Nachrichten und Hilferufe, die sie jetzt erreichen, übersteigen alles, was sie sich bisher vorstellen konnte. Seit Beginn des Jahres fährt die Kroatin zusammen mit einer Freundin durch Kroatien und Bosnien und befragt die Menschen: vergewaltigte Frauen, deren Familien, Ärztinnen.
Die Ärztinnen haben zerrissene Körper und Seelen zu behandeln. Und sie wissen nicht, was sie tun sollen mit den Hochschwangeren, die keine Kinder von Vergewaltigern auf die Welt bringen wollen. Allein in einem Krankenhaus in Zagreb sollen 120 Kroatinnen und Bosnierinnen im fünften, sechsten Monat liegen. Zu spät für eine Abtreibung. So manche würde „das Kind am liebsten gleich nach der Geburt umbringen". Moijca ist verzweifelt. „Seit einem halben Jahr kann ich kaum noch schlafen", sagt sie, „mein Innerstes tut mir weh. Aber die Welt muß wissen, was hier mit den Frauen passiert."
Moijca fühlt sich allein. Mit ihren serbischen Freundinnen kann sie über ihren Schmerz nicht reden. Telefonate enden im Streit. Ein Frauentreffen von Feministinnen aus Ex-Jugoslawien, das dieses Frühjahr in Rom stattfand, endete im Fiasko: Die Serbinnen wollten nicht glauben, dass ihre Väter, Brüder und Männer das tun mit den kroatischen Frauen, die doch bis vor kurzem noch Nachbarinnen und Freundinnen waren.
Auch im Ausland will niemand Moijca zuhören - für dieses Schlachtfeld interessieren sich die internationalen Kriegsberichterstatter nicht. Auch EMMA wollte sich nicht allein auf die Aussagen von Moijca verlassen - zu groß ist der gegenseitige Völkerhass in Ex-Jugoslawien, zu groß die Gefahr, einer Gräuelpropaganda aufzusitzen. EMMA hat so sorgfältig wie möglich recherchiert: in den deutschen Lagern für die Flüchtlinge, bei Mitarbeitern der Hilfswerke, bei Kolleginnen in Zagreb. Immer bekamen wir zu hören: Es stimmt, was Moijca sagt.
Auch die Filmemacherin Heike Sander, die bosnische Flüchtlingsfrauen in österreichischen Lagern interviewte, bestätigt: „In diesem Krieg wird massenhaft vergewaltigt." Einige muslimische Frauen wagten es sogar, ihr vor laufender Kamera von Gräueltaten zu erzählen. Heike Sander: „Die Frauen machten nicht den Eindruck, als seien sie in der Laune, Geschichten zu erfinden." Die Filmemacherin weiß, daß in jedem Krieg Frauen die ersten Opfer sind: Sie drehte einen Dreistunden-Dokumentarfilm über vergewaltigte Frauen im 2. Weltkrieg, „BeFreier und Befreite", der im Herbst in die Kinos kommt.
Nur eine sehr ernst zu nehmende jugoslawische (genauer: kroatische) Kollegin warnte uns. Sie sagte: „Seid vorsichtig. Ich habe auch von diesen Vergewaltigungslagern gehört. Wir haben bis jetzt aber noch keine wirklichen Beweise finden können." Eine Vorsicht, die gerade der deutschen Presse gut ansteht. Zu einseitig war ihre Berichterstattung bisher auf Seiten der Kroaten - was das gesamte Ausland im Licht der gemeinsamen Vergangenheit von Deutschen und Kroaten besonders bedenklich fand: Während der Hitlerzeit gab es in Kroatien von den Deutschen unterstützte Konzentrationslager. Allein im Lager Jasenovac wurden 200.000 Kroatinnen, Juden und „Zigeuner" gefoltert und getötet (siehe auch EMMA 9/ 91). Und es stimmt ja auch, dass Korrespondenten unter den kämpfenden Kroaten deutsche Söldner gesehen haben - Neonazis, die begeistert an diese Front geeilt waren.
Doch das Unrecht der Einen macht die Anderen nicht zu Gerechten. „Den brutalen Terror, den die Serben ausüben", erklärt die ZDF-Reporterin Susanne Gelhard in ihrem soeben erschienen Buch „Ab heute ist Krieg", „verstehen sie als späte Rache für all das, was Kroaten Serben damals angetan haben." Die Wahrheit scheint so einfach wie grausam zu sein: Vergewaltigt wird auf allen Seiten. Die Serben haben nur zur Zeit die meisten Gelegenheiten dazu. Die Frauen des „Feindes" sind Freiwild. Selbst Männer der UNO-Hilfstruppen machen mit: ein kanadischer „Blauhelm" habe im kroatischen Daruvar ein 17jähriges Mädchen vergewaltigt, meldet die Zagreber Tageszeitung Arena.
Da ist zum Beispiel Dana, 13, Muslimin aus Prijedor in Bosnien. Mit ihrer Mutter und ihrer Schwester sitzt sie Tag für Tag vor der Moschee in Zagreb. Als Moijca sie anspricht, antwortet die Mutter. Ihre Tochter, sagt sie, sei so lange vergewaltigt worden, bis ihr Unterleib blutig gerissen war. Seither ist Dana verstummt, sie sagt kein Wort mehr. Oder Mileva, Kroatin. Für sie war in einem überfüllten Lager in Lipic kein Platz mehr. Soldaten haben sie deshalb zwei Monate lang in eine Mülltonne gesperrt und nur herausgeholt zum Vergewaltigen. Moijca hat sie getroffen: abgemagert bis auf die Knochen, die Haare kurz geschoren. „Wissen Sie, was von so einem Mädchen übrig ist?", fragt Moijca und gibt sich selbst die Antwort: „Weniger als nichts."
Oder Jana, Mitte 20, Kroatin. Jana ist tot. Sie war im achten Monat schwanger, als sie Tschetniks in die Hände fiel. Die schlitzten ihr mit einem abgebrochenen Flaschenhals den Bauch auf, entrissen ihr den Fötus und setzten zwei Katzenjunge hinein. Zu grausam, um wahr zu sein? Aber: Kann man solche Geschichten erfinden? Moijca beteuert: „Ich habe die Ärztin interviewt. Es stimmt. Es stimmt!"
Moijca hat Ärztinnen und Opfern viele Stunden lang zugehört, notiert, Tonbänder und Videokassetten aufgenommen. Mit diesen Dokumenten wollen die Zagreber Feministinnen vor allem eines erreichen: Vergewaltigte Frauen sollen nach der Genfer Konvention als Flüchtlinge anerkannt werden. Und Ärztinnen sollen bei der Obduktion von weiblichen Kriegsopfern auch nach Spuren einer Vergewaltigung suchen. Moijca: „Die Welt muss einfach wissen: Dies ist ein Krieg gegen Frauen!"
Nur: Für diese Kriegsopfer gibt es noch nicht einmal eine finanzielle Entschädigung. „Mein Sohn ist verletzt zurückgekommen", sagt Moijca, „Bauchschuss. Er bekommt eine Rente." Vergewaltigungsopfer aber, deren Oberschenkel aus den Gelenken ausgekugelt oder deren Rippenbögen gebrochen sind, bekommen keinen Pfennig. Sie sind selber schuld - und müssen sich noch dafür schämen.
Vor allem für die muslimischen Frauen in Bosnien-Herzegowina ist eine Vergewaltigung eine unauslöschliche Schande, sie sind „entehrt", wertlos für den Ehemann, den Vater, den Bruder. Was wird mit ihnen passieren, wenn sie ein Kind von einem orthodox-katholischen, kommunistischen Serben bekommen? Werden sie von ihren Familien verstoßen, so wie die Kuwaiterinnen, die „Bastarde der Invasion" zur Welt brachten? Werden die Frauen selbst getötet, um die „Schande zu tilgen"?
Islamische Männer, die von „Ungläubigen" gefoltert, deren Töchter entjungfert, deren Frauen geschwängert werden - werden sie in die Fänge des islamischen Fundamentalismus geraten? Schon spricht das religiöse Oberhaupt des Iran, Ajatollah Chamenei, triumphierend von der Errichtung eines „islamischen Landes im Herzen Europas" und fordert die islamische Weltkonferenz zu einer „gemeinsamen Aktion für die unterdrückte Bevölkerung von Bosnien-Herzegowina" auf. Was deutsche Linke gleich zum prophylaktischen Gegenschlag ausholen läßt: Claus Leggewie fordert in der taz allen Ernstes eine „Neuauflage der Golfkriegsallianz" und damit einen internationalen Einmarsch in Serbien - ganz so, als ob der Krieg am Golf etwas anderes hinterlassen hätte als verbrannte Erde und zerstörte Menschen. Sollte der Krieg eines Tages vorbei sein und der frauenfeindliche islamische Fundamentalismus in Bosnien an Einfluss gewinnen - ja, dann geht das Grauen für die Frauen auch im "Frieden" weiter.