Patti Smith: Patin des Punk

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Wir befinden uns Mitte der 70er Jahre und der Zeitgeist ist ... eine Rebellin. Frauen stellen Werte, Lebensverhältnisse und die gesamte Gesellschaft auf den Kopf. In autonomen Zentren reden, denken, tanzen wir, bis die Nacht zum Tag wird und wieder zurück. Frau-Sein bedeutet: Wir waren niemals müde und niemals ängstlich.

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Genau in dieser Zeit hörten wir auf den Festen und Festivals eine Stimme, wie wir sie noch nie gehört hatten: den Sound unseres Aufbruchs - Patti Smith. Da war „Gloria“, ein Song über Begehren, der zur Hymne wurde. Halb Gedicht, halb Coverversion des berühmten van-Morrison-Liedes. Patti Smith verkündet der Welt in ihren ersten, eigenen Zeilen: „Jesus died for somebody’s sins, but not mine.“ Und sie besingt die Lust auf eine Frau: „Da kommt sie. Sie tänzelt über den Flur in einem schönen roten Kleid. Und oh, sie sieht so gut, so toll aus. Ich fühle, dass ich sie haben werde. Und sie lehnt sich über und flüstert mir zu, und ich mache den Riesenschritt...“

Schmale Hüften, lange Arme und Beine, raumgreifende, kraftvolle Bewegungen, so sieht das weibliche Pendant zu Keith Richards von den Rolling Stones aus. Auf der Bühne steht eine Eroberin, die etwas über Freiheit und Liebe zu sagen hat. Sexualität? Ja, klar, aber ohne zum Weibchen zu werden. Patti Smith ist nicht „sexy“, das unterscheidet sie von den stimmstarken anderen Idolen jener Jahre wie etwa Janis Joplin oder Tina Turner. Sie ist verwirrend androgyn.

Als kleines Mädchen verschlingt Patti Bücher. Die Eltern sind solide Arbeiterklasse und Zeugen Jehovas, und die Bücher daheim sind entweder schön religiös oder schön patriotisch. Sie verehrt Jeanne d’Arc, die Jungfrau von Orléans. Eine Kämpferin, die für die große Sache mit Männern ins Feld zieht und Geschichte schreibt. Sie fantasiert von großen Missionen, von einer Heldenwelt. In ihrer jetzt erschienenen Autobiografie „Just kids“ seziert Patti Smith genau, wie wenig sie Mädchen sein wollte, und wie fremd ihr die Weiblichkeit der Mutter war:

„Gegen die aufdringlichen Parfüms und blutroten Lippenstiftschlitze, so weit verbreitet in den Fünfzigern, sträubte sich alles in mir. (Meine Mutter) war die schlechte Nachricht und Überbringerin in Personalunion. Geschockt und aufsässig, meinen Hund zu meinen Füßen, träumte ich von Reisen. Träumte davon, auszureißen und zur Fremdenlegion zu gehen, schnell im Rang aufzusteigen und mit meinen Männern durch die Wüste zu ziehen“.

Als 16-Jährige liebt sie Bücher mehr als Jungs, entdeckt den französischen Dichter Arthur Rimbaud. Er wird zu ihrem Schlüssel zu einer Welt, die der Außenseiterin schöner und geheimnisvoller als jede Realität vorkommt. Rimbauds Gedichte und auch Bob Dylans Lieder geben ihr den Schwung, die öden Fabrikjobs daheim zu verlassen, wo sie schon als „Kommunistin“ gilt, weil sie sich für Politik und ausländische Literatur interessiert. Das Provinzmädchen zieht nach New York, ohne Plan, ohne Geld, ohne Kontakte, aber mit dem brennenden Wunsch, Künstlerin zu werden.

Es sind Hungerjahre, und das magere Mädel aus New Jersey tut sich mit einem anderen Hungrigen zusammen, um gemeinsam „ihr Ding durchzuziehen“: Robert Mapplethorpe, der später einer der berühmtesten Fotografen Amerikas wird. Sie jobbt in Buchläden, er geht zur Not anschaffen. Sie sind Musen füreinander, sie beschützen sich, teilen Ideen, Geld, Bett. Blutjung, bitterarm und optimistisch:

„Mein Arbeitsbereich war ein wüstes Durcheinander von Manuskriptseiten, stockfleckigen Klassikern, kaputtem Spielzeug und Talismanen. Ich heftete Bilder von Rimbaud, Bob Dylan, Lotte Lenya, Piaf, Genet und John Lennon über ein provisorisches Pult, auf dem ich meine Federn, mein Tintenfass und meine Kladden arrangierte – mein mönchisches Durcheinander.“

New York Ende der 60er Jahre ist gleichzeitig Aufputschmittel und Plüschsofa. Elektrisierend, gefährlich und doch auch dörflich romantisch. Patti Smith beschreibt einen Ausflug nach Coney Island, an den Atlantik:

„Entlang des ganzen Piers fischten kleine Jungs mit ihren Großvätern nach Krabben. Dazu steckten sie rohes Hühnerfleisch als Köder in kleine Käfige, die sie an ein Seil gebunden ins Meer warfen. Der Landungssteg wurde in den Achtzigern von einem starken Sturm fortgerissen, aber Nathan’s, Roberts Lieblingsladen, blieb zum Glück erhalten. Normalerweise reichte unser Geld nur für einen Hotdog und eine Cola. Dann aß er den größeren Teil der Wurst und ich den größeren vom Sauerkraut. Aber an diesem Tag hatten wir genug Geld, uns von allem zwei Portionen zu leisten. Wir spazierten über den Strand, um dem Ozean Hallo zu sagen, und ich sang Coney Island Baby von den Excellents. Robert schrieb unsere Namen in den Sand.“

Auf Bildern sieht das Paar oft wie Geschwister aus. Mapplethorpe zelebriert Smiths Androgynität, stellt sie cool und attraktiv an weiße Wände, im Männerhemd und lässigem Sakko. Und selbst später, als er sich für ein homosexuelles Leben entscheidet und seine wildesten Träume auslebt, geht die Intimität zwischen den beiden nie verloren. Patti Smith kann seine Obsessionen mit Sadomaso und Fetischen, mit Strichern und schwarzen Sexprotzen nicht verstehen, aber sie teilt seinen Willen zur Freiheit:

„Er arbeitete ohne Rechtfertigungszwang.... ohne jede Manieriertheit schuf er etwas durch und durch Maskulines, ohne die feminine Ausstrahlung zu opfern.“

Das Gleiche - mit umgekehrten Vorzeichen - gilt für Patti Smith. 1969 liefern sich New Yorker Homosexuelle Straßenschlachten mit der Polizei, um sich gegen Diskriminierung aufzulehnen. Smith ist stolz auf diese Pioniere. New York in den 70ern ist Brutstätte für alle, die sich nicht mehr in Normen zwingen lassen wollen. Patti Smith dichtet, singt, zeichnet, fotografiert, rezitiert. Sie schreibt für Underground-Zeitschriften, gehört zur Szene im später weltberühmten CBGB-Club und traut sich alles zu. Sie kauft sich auf Raten die erste Gitarre in einem Pfandhaus, dazu ein Bob-Dylan-Songbuch:

„Ich lernte ein paar einfache Griffe. Anfangs klangen sie gar nicht so schlecht, aber je länger ich spielte, desto scheußlicher wurde es. Ich wusste nicht, dass man eine Gitarre auch stimmen muss...“

Die Zeit großer Namen in der Literatur, Malerei, Musik. Sie trifft Jimi Hendrix, Bob Dylan, Allen Ginsberg. Geht zu Doors-Konzerten und bewundert Jackson Pollock. Andy Warhol sagt ihr wenig, da sind Velvet Underground und Viva schon interessanter. Charakteristisch ist ihre Distanz zu allem Glamour. Das Mädchen aus einer Arbeiterfamilie inspiriert die Szene und lässt sich inspirieren, aber ohne Kompromisse.

Ihre ersten Auftritte in den Clubs von Lower Manhattan sind mehr Performance als Konzerte. Sie kaut und spuckt Wörter, assoziative Wortbilder. Energiegeladen und aufregend anders ist ihr Sprechgesang, begleitet von einem Gitarristen. Niemand zuvor hat Rockmusik und Poesie derart hypnotisierend miteinander vermählt.

In der Szene der Downtown-Exzentriker, überwiegend Männer, bekommt Patti Smith Kultstatus. Schon bald stellt sie eine Band zusammen und findet ihre Mission, „den revolutionären Geist des Rock ‚n’ Roll zu bewahren, zu schützen und weiterzutragen.“ Leidenschaftlich glaubt sie an Kunst als Massenkommunikationsmittel, das die Verhältnisse zum Tanzen bringt.

Das legendäre Debutalbum „Horses“ macht sie ab 1975 weltberühmt und bis heute zur Patin des Punk. Und nicht nur wegen „Gloria“ greifen junge Frauen überall zur E-Gitarre, wollen nicht mehr gefallen und sich schon gar nichts gefallen lassen.

Patti Smith wird für Millionen junge Frauen im Westen ein Vorbild. Ein Spiegel ihrer Zeit. Das ist vielleicht schwer nachzuvollziehen in der heutigen Zeit, wo auf MTV provoziert wird auf Porno-komm-raus und im Fernsehen Tabubrüche gang und gäbe sind.

Nicht zufällig kommt es zum großen Krach mit ihrer Plattenfirma wegen der Plattenhülle eines weiteren Albums, „Easter“. Da sind Muskeln und... shocking... haarige Achselhöhlen zu sehen. Das berühmte Mapplethorpe-Foto ist eine politische Kampfansage gegen die männerdominierte Musikindustrie. Patti sei „walking women’s lib“, Frauenbefreiung auf zwei Beinen, sagen Freunde von damals.

Während in den 70ern die Rockmusik zunehmend zu netten Popsongs verkümmert, wollen Patti und ihre Band sich nicht vom Mainstream vereinnahmen lassen:

„Wir fürchteten, die Musik würde ihre Durchschlagskraft einbüßen, wir fürchteten, sie würde in fette Hände fallen und in einem Morast von Bombast, Geschäftemacherei und leerer Virtuosität untergehen.“

Seltsam mystische Songs wechseln sich mit rohem Punk ab, die bildstarken Texte halten Pattis Mischmasch zusammen. Die Musik wird gefeiert, aber nicht unbedingt gekauft. Und die anstrengenden Tourneen, das ewige Brennen – sie fordern ihren Preis. Nach einem schweren Bühnenunfall, der sie monatelang buchstäblich lahmlegt, will Patti Smith so etwas wie Seelenfrieden. „Because the Night“, die Hymne an Liebesnächte mit dem MC5-Rocker Fred Sonic Smith, wird ihr größter kommerzieller Erfolg.

Und dann kommt die Phase, die sie lapidar ihre „Auszeit“ nennt. Während der Weggefährte Robert Mapplethorpe immer stärker in die S/M-Schwulenszene abtaucht, fühlt sie sich zunehmend genervt vom Musikgeschäft und heiratet Smith („Wenigstens musste ich nicht den Namen ändern“).

Zwischen 1980 und 1994 fand dann eine ganz andere Patti Smith statt. Das Paar zieht weg von New York, die Band ist so gut wie aufgelöst. Das Liebeslied „Frederick“ unterstreicht, wie sehr sie ihre Prioritäten verändert. Von „Fürsorge“ singt sie, vom „Wunder der Liebe“ und dem „gemeinsamen Herzschlag“ eines perfekten Paares. In der Autobiografie hingegen bleibt sie seltsam vage:

„Über diesen Mann, der schließlich mein Ehemann wurde, möchte ich nur so viel sagen: er war ein König unter den Menschen und die Menschen wussten das.“

Vielleicht hofft sie, mit ihrem Mann so etwas wie John-Lennon-und-Yoko-Ono der 80er zu werden, also auf künstlerischen und politischen Wegen gemeinsam vorwärts schreiten zu können. Eine Illusion, wie Weggefährten schnell feststellen. Patti Smith-Smith konzentriert sich zunehmend auf die Rolle der Ehefrau und Mutter von zwei Kindern, ihre Musik wird vorsichtig, zahm, undeutlich. Die Alben dieser Zeit verkauften sich nicht gut. Als in kurzem Abstand ihr Mann Fred, ihr Bruder Todd und befreundete Musiker sterben, muss sie „Geld verdienen gehen“. Sie zieht zurück nach New York und geht wieder auf Tournee.

Es ist wohl ehrlich, wenn sie heute in Interviews sagt, dass sie mit ihren Kindern, mit Fremden nicht anders ist als auf der Bühne. Sie spielt keine Rollen, auch nicht die der Ikone. Unprätentiös ist das Auftreten, wenig bedeutet ihr der Kultstatus. Sie geht ungern zu Partys, mag das Nachtleben nicht besonders und hängt auch nicht mit berühmten Rockstars ab. (Obwohl sie mit den Größten aufgetreten ist.) Beethoven schätzt sie, alte Bücher und Opernbesuche.

Eins ihrer härtesten, besten Lieder aus den Anfängen heißt  Rock’nRoll Nigger und war damals ungeheuer provozierend. Kein anständiger, aufgeklärter Mensch benutzte das N-Wort. Patti Smith nahm es für sich in Beschlag und haute es dem Publikum um die Ohren: „Jimi Hendrix was a nigger. Jesus Christ and Grandma too. Jackson Pollock was a nigger. Nigger, nigger, nigger!“ Der legendäre Gitarrist, der Erlöser der Menschheit, die unangepasste Großmutter, der Avantgardekünstler – Fixsterne im Kosmos der Patricia Lee Smith. Und so nimmt sie eine besudelte Vokabel als Auszeichnung für ein kompromissloses Leben.

Zur Musikszene heute sagt die Legendäre, dass es „keine olympischen Götter vom Format eines Jimi Hendrix oder Jim Morrison gibt. Dafür ist die Szene demokratischer. Niemand genießt Ikone-Status. Im Mittelpunkt steht die Musik selbst.“ Mag stimmen. Aber auch heute wären Göttinnen nicht so schlecht, Madonna hin und Lady Gaga her. Frauen, die so auftreten, als würden sie für ihre Kunst gleichzeitig leben und sterben. Frauen, die wie Patti Smith mit 61 noch sagen:

Freiheit bedeutet, dass ich mich nicht von anderen Leuten bestimmen lasse. Außerhalb der Gesellschaft – da will ich sein.“

Sonia Mikich

PS: Um diesen Artikel zu schreiben, habe ich viele alte Platten herausgefischt und spürte die unglaubliche Energie von damals. Empfehlung: die Konzertmitschnitte auf Youtube geben eine Ahnung von Smiths Ausstrahlung.

Zum Weiterlesen: Patti Smith: „Just kids“ (Kiepenheuer & Witsch)

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Alice Schwarzer schreibt

Die andere Patti Smith

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...Schließlich hatten wir - Adele, Alice und Ingrid - die amerikanische Rockkönigin gerade gestern Nacht noch ausführlich studieren können. Auf dem Bildschirm wie alle, die in dieser Fernseh-Rocknacht fürs Konzert keine Karten mehr bekommen hatten. Wir wußten also, wie Patti aussieht: Eine, die die Fesseln der Weiblichkeit gesprengt und jetzt auf freier Bahn selbst den Schutz der männlichen Attitüde nicht mehr nötig hat. Ein nacktes Gesicht, stark, klug, ungezähmt. Diese unauffällige kleine Dunkle also konnte es nicht sein. — Natürlich ließ die Pointe nicht lange auf sich warten: Sie war es doch. Im Augenblick der Begegnung mit uns: mädchenhaft, fast scheu, müde, nervös. Kein Wunder. Elf Uhr nachts. Noch eine Aufnahme im WDR, und anschließend das Gespräch mit uns. Um halb zwei.

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Doch, bestimmt. Sie ist pünktlich, kommt mit ihrer Schwester. Später streifen die anderen vorbei, einer ihrer Brüder (der auch im Team mitmacht), ihre Band, ihre Freunde. Mit allen geht sie zärtlich um. Alle gehen mit ihr zärtlich um. Eine halbe Stunde war verabredet mit uns, es wurden weit über zwei Stunden. Und es hätte noch später werden können, wären wir nicht alle so entsetzlich müde gewesen. Kennengelernt haben wir eine andere Patti, eine, die auch ihrem Image entspricht, aber doch gleichzeitig viel mehr ist und manchmal sogar genau das Gegenteil. In der Show hat sie uns imponiert, im Gespräch hat sie uns manchmal gerührt. Wir finden nicht alles vernünftig, was sie sagt, können manches auch nicht akzeptieren, meinen aber, daß das nicht die Frage ist: Sie ist, wie sie ist. Lest selbst.

EMMA Was uns fasziniert, ist, daß du auf der Bühne sehr viel Stärke hast, mehr als die meisten Menschen und sicherlich mehr Stärke als die meisten Frauen. Was glaubst du, woher das kommt?
Patti Ich verbringe einen großen Teil meines Lebens damit, meine Stärke zu verstecken. Deshalb ist auch das Auftreten für mich so wichtig, hier kann ich einen großen Teil meiner Kraft ausleben. Es ist eine Energie, die aus Liebe kommt, ich wurde als Kind sehr geliebt. Ich wurde dazu erzogen, über mich hinauszugehen. Ich wollte mit Gott kommunizieren, das war das erste, was ich tun wollte, als ich jung war: Mit Gott sprechen, so wie Moses mit Gott gesprochen hat.

Warum versuchst du, deine Stärke zu verstecken?
Power kann eine sehr gefährliche Sache werden. Ich fühle mich manchmal wie Charlton Heston: Ich mache den Leuten Angst. Das war schon so, als ich sechs, sieben Jahre alt war. Ich erinnere mich, einmal, als ich ein Kind war, sahen meine Mutter und ich eine Zigeunerin, eine echte Zigeunerin. Sie las meiner Mutter aus der Hand, und dann nahm sie die meine und fuhr mit einem Aufschrei zurück — sie weigerte sich, aus meiner Hand zu lesen. Als ich jung war, hatte ich so viel von dieser Energie. Ich ging in die Missionary School, aber die Regeln und Dogmen dort machten mich mißtrauisch. Ich wußte nicht, was ich mit meiner Energie anfangen sollte. Ich dachte, ich würde verrückt. So kam ich dazu, Künstler zu werden. Zuerst mit meinen Bildern, meiner Poesie. Später auf der Bühne.

Wo bist du her?
Aus New Jersey, das ist ein sehr unguter Teil von Amerika, sehr arrogant.

Es gibt die Legende, daß du in der Fabrik gearbeitet hast?
Nun ja, wir waren sehr arm. Aber reich in dem Sinne, daß mein Vater ein sehr kultivierter Mann ist. Er arbeitete in der Fabrik und studierte die Bibel, studierte Philosophie und war mehr damit beschäftigt, seinen Geist zu bereichern, als ein hübsches Häuschen zu erwerben oder so was. Das bedeutete ihm nichts. Ich komme materiell gesehen aus einer Arbeiterfamilie, aber spirituell gesehen aus einer sehr hochentwickelten Familie.

War deine Mutter denn einverstanden mit dieser von deinem Vater gewählten Armut?
Sie arbeitete halt so viel sie konnte. Sie war ein sehr harter Arbeiter, bügelte für Leute, arbeitete als Kellnerin. Meine Mutter hätte gerne einen normalen konventionellen Wohlstand gehabt, aber sie kämpfte nicht darum. Sie tat ihre Arbeit. Meine Mutter hatte viel mehr soziale Kraft, sie bekam, was sie wollte. Wir lebten alle in einem kleinen Raum damals. Also arbeitete sie zwölf Stunden pro Tag und kaufte uns unser erstes kleines Haus.

Die klassische Konstellation. Und was sagt deine Mutter zu deiner Arbeit?
Meine Mutter macht meine Korrespondenz. Sie bearbeitet meine gesamte Post, beantwortet bis zu 200 Briefe in der Woche. Sie liebt meine Arbeit. Meine Mutter ist eine richtige Mutter: Sie will nichts mehr sein als Mutter. Sie kommuniziert auch mit jungen Leuten aus der ganzen Welt.

Was bedeutet dein Ruf für dich? Ist das nicht auch eine Sache, die dir gleichzeitig Angst macht? Du brichst ja damit aus der traditionellen Frauenrolle aus, und das tut man nicht ungestraft.
Ich habe nie darüber nachgedacht. Ich hatte nie so etwas wie eine Identitätskrise. Ich fühlte mich immer sehr stark androgyn. Ich habe viele männliche Rhythmen in mir, gleichzeitig liebe ich es, Frau zu sein. Wir wurden so erzogen, daß es uns ebenso erlaubt war, die Stärke meines Vaters anzunehmen wie auch die meiner Mutter. Ich fühle mich einfach wohl als Mensch. Ich habe mich nie als Junge gefühlt oder als Mädchen. Die Leute drängen mich in Kategorien. Das Wichtigste für mich ist, daß man nicht so sein muß oder so. Gerade weil die Frauen jetzt zunehmend ihr Mißtrauen, ihre Wachsamkeit entwickeln, entwickeln sie dabei eine Tendenz - gegen die Fesseln des Dienens, die ihnen auferlegt waren! -, nun genau den gegenteiligen Weg zu gehen. Sie zeigen sich sehr hart und aggressiv. Das ist nicht nötig. Der Punkt ist, stark zu sein als Mensch.

Das ist neu aus deinem Mund. In deinem Gedicht „female" schreibst du anders über deine Erfahrungen als Frau. Wir zitieren: „female. feel male ( Wortspiel:,, weiblich", „sich männlich fühlen"), solange ich den zwang zur wahl schon kenne, habe ich male gewählt, ich spürte den lebensrhythmus der jungen, als ich kurze hosen trug, also trug ich weiter hosen (...) ich lief herum mit einem rudel wölfe. ich kotzte jede schürze an. brüste kriegen war für mich ein alptraum. wütend schnitt ich all mein haar ab und kniete mit glasigen augen vor gott. ich bettelte ihn an, mich einzuordnen in mein barbarisches geschlecht, das männliche geschlecht, die rasse meiner wahl.
Das war 1967, als ich das schrieb. Da war ich sehr jung. Sehr jung und sehr unschuldig. Bei meiner ersten Erfahrung mit Sex wurde ich gleich schwanger. Ich war noch wie ein Junge, wie ein lang aufgeschossener Junge, und gleich darauf war ich schwanger.

Akzeptieren dich die Menschen in deiner Umgebung?
Manche können's nicht. Je mehr ich mich entwickle, desto mehr erlebe ich, wie Menschen von mir abfallen. Es ist für die Menschen sehr schwer, die Gegenwart einer starken Person zu ertragen. Die Leute haben eine Tendenz, mir ständig Fallen zu stellen, schwache Stellen an mir zu suchen, nach meiner Achillesferse zu forschen. Ich habe viele Achillesfersen, bin sensibel, oft übersensibel, verliere manchmal mein Selbstvertrauen und fühle mich einsam. Wie halt jeder. Aber ich sehe keinen Sinn darin, die Schwachstellen von Menschen zu suchen. Ich finde es wichtiger, den Menschen zu helfen, ihre Stärken zu finden und zu entwickeln. Manche Leute haben zu mir ein Verhältnis wie zu Jessie James: Der härteste Junge im Wilden Westen - na los, zeig, was du kannst! Dieses Problem habe ich vor allem mit Frauen. Ich bin auch sehr erstaunt über euch. Ich habe nicht erwartet, daß ihr so offen seid. Ich bin es einfach nicht gewöhnt, das zu erwarten. Die meisten feministischen Zeitschriften begegnen mir sehr aggressiv. Die sind so aggressiv, daß ich mich zurückziehe. Ich will mit den Leuten kein Kampf-Verhältnis haben.

Warum, glaubst du, sind die so aggressiv? Hast du ein bestimmtes Image in der amerikanischen Frauenbewegung?
Na ja, mein Image ist zur Zeit nicht so gut in der Frauenbewegung. Als ich zu arbeiten begann, wollten einige von denen, daß ich sozusagen ihr Banner für sie schwinge. Doch ich habe kein Interesse daran, für sie zu sagen: Ich bin ein weiblicher Poet, ein weiblicher Künstler. Die Frau in mir ist wie der Mann in mir, sicher Teil meiner kreativen Instinkte, aber ich sehe mich weder als Frau noch als Mann, sondern als Künstler.

Du bist sehr idealistisch, Patti... Was du sagst, ist zwar wünschenswert, aber es ist doch eine Realität, daß du Frau bist und daß es für eine Frau etwas ganz anderes bedeutet als für einen Mann, zum Beispiel Rockstar zu sein! Frauen haben andere Bedingungen und: sie werden auch anders wahrgenommen.
Ein Grund, warum ich mich nicht selbst als Frau empfinde, ist vielleicht, daß ich mich noch nicht erwachsen fühle. Aber ich habe auch einen Stolz, Frau zu sein. Ich hatte ein Baby, ich habe meine biologischen Funktionen wahrgenommen, ich weiß, was es ist, Leben zu schaffen. Ich weiß, daß ich eine große Kapazität für Schmerz habe, physischen Schmerz. Wir haben unsere Periode, wir können mehr Schmerz ertragen und aushalten als irgendein Mann. Wenn ich auf der Bühne stehe, und ich habe meine Periode und schreckliche Krämpfe, dann denk' ich mir: Puh, ich muß eben darüber wegkommen! Kein Mann könnte das. Der würde längst mit einem Eisbeutel auf dem Sofa liegen.

Und wie siehst du dich als Frau?
Ich habe so ein Gefühl, daß, wenn ich älter werde, was passieren wird. Ich bewundere Frauen, die stark sind als Frauen. Ich bin das nicht. Aber ich glaube, ich werde es sein, wenn ich älter bin. Ich meine zum Beispiel Anna Magnani, Jeanne Moreau oder Brigitte Bardot. Ich halte sie nicht für Sex-Göttinnen oder ausgebeutet, das finde ich Scheiße. Für mich sind sie Bilder von Schönheit und Intelligenz. Das will ich, glaube ich, werden, wenn ich älter bin: Ein großes Sexsymbol.

Wenn man deine Gedichte liest, dann stockt einem ein bißchen der Atem, auch über 'deine erotische Aggressivität. Lebst du das auch so?
Nein. Mein persönliches Leben ist sehr einfach. Ich habe einen Freund, den ich sehr liebe. Das ist das Schönste in meinem Leben und sehr einfach. Aber mein Phantasie-Leben ist sehr stark und komplex. Es dreht sich meist um Frauen. Die meisten meiner Phantasien sind - ich hasse eigentlich das Wort - lesbisch. Aber: Es ist eine Kopfliebe. Ich führe zwei Leben: Das eine in meinem Kopf (aber das macht es macht weniger reich) und das andere in der Realität.

Ist es bei deiner Exponiertheit und deinem wilden Image nicht auch eine weise Bescheidung, daß du es real gar nicht erst versuchst?
Nicht unbedingt. Alle anarchistische Energie, die ich habe, stecke ich in meine Arbeit. Außerdem: Immer, wenn ich versuchte, mich über meine Phantasien mit Frauen hinauszuwagen, war ich sehr fies. Ich hab' das ein paarmal probiert, und jedesmal kam da etwas sehr Böses in mir hoch. Nein, das ist nicht gut. Es gibt da zwar eine Frau, die ich liebe. Viele der Gedichte sind an sie gerichtet. Ihr Name ist Judith. Aber unsere Beziehung ist so hochentwickelt, so intellektuell, daß wir sie physisch nicht leben könnten, das wäre unmöglich.

Ist dein Freund in der Band, arbeitest du mit ihm zusammen?
Nein. Er ist Musiker, aber er ist nicht in meiner Band.

Ist es für ihn nicht schwierig zu ertragen, daß du so berühmt bist, daß er Mr. Smith ist?
(lacht): Er heißt Smith, er ist ein geborener Mister Smith. Er ist mein Meister. Er ist die einzige Person, von der ich lernen kann. Ich meine, viele Leute lehren mich etwas, die Leute lehren mich jeden Tag etwas. Aber dies ist die erste Beziehung in meinem Leben zu einem Menschen, der Kräfte hat, die mich verblüffen. Aber wir haben keine Gleichheitsprobleme. Denn wie mein Vater und meine Mutter glaubt er, daß Menschen, die einander lieben, gegenseitig die Stärke des anderen annehmen sollten.

Könntest du also auch sagen, daß du seine Meisterin bist, ist das umkehrbar?
Nein, ich habe Dinge zu lernen, die er schon kann. Aber ich wachse beständig. Für mich ist das wunderbar, denn ich hatte lange Zeit viele schwierige, schöne, aber schwierige emotinale Beziehungen.

Wie möchtest du eigentlich wahrgenommen werden als Star? Und was ärgert dich an deinem Image am meisten?
Ich hoffe, die Leute sehen mich als eine, die sich permanent verändert. Eine Person, die die höchsten Höhen hat und die tiefsten Tiefen. Sie sollen sehen, daß wir alle leben, uns bewegen. Auch ich. Ich bewege mich ständig. Das Schlimmste, was mir passieren kann, ist erstens, wenn man versucht, sich in mein persönliches Leben einzumischen, und zweitens, wenn man nicht wirklich die Kommunikation mit mir sucht.

Wie verbringst du denn so einen ganz normalen Tag?
Ich lebe jetzt in Detroit, wo mein Freund ist. Unser Leben ist sehr einfach. Manchmal tun wir gar nichts, liegen den ganzen Tag im Bett, sehen fern. Oder ich gehe ins Konzert, ich höre gerne Beethoven und Bartók. Ich lerne Klarinette, er lehrt mich Klarinette spielen, auch Piano. Ich lebe wie in einem Traum. Und dann, im Gegensatz dazu, müssen wir beide arbeiten. Dann mache ich zehn Interviews an einem Tag und zwei Shows. Wir haben uns gerade niedergelassen in Detroit, also ist unser Leben noch nicht typisch.

Wie lange kennt ihr euch eigentlich?
Seit vier Jahren und leben seit einem Jahr zusammen. - Ich mußte lange warten.

Und wie ist deine Zusammenarbeit mit der Band, das sind ja lauter Spitzenleute, nicht bloß Hintergrundmusiker?
Ich liebe diese Band und habe sie mir vier Jahre lang mühsam zusammengesucht. Nun sind wir eine große Familie. Alle in der Band, jeder einzelne, hat eine bestimmte Qualität. Sie sind auch nicht so sehr auf das Materielle ausgerichtet. Sie sind sehr ambitioniert, ehrgeizig, aber um zu experimentieren, um Neues zu erfahren. Sie haben dieselben Visionen wie ich und sind auch sehr idealistisch. - Der eine mehr als der andere. Wir sind wirklich eine Familie, denn mein Bruder und meine Schwester sind auch immer dabei. Wir sind alle sehr sensibel miteinander und beschützen einander.

Du hast dich musikalisch in der ganzen Zeit viel weniger entwickelt als in deinen Texten und in der Show. Wie stellst du dir das weiter vor?
Ich lerne sehr viel von Mr. Smith. Er lehrt mich zum Beispiel Klarinette spielen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, Klarinette zu spielen. Ich spiele Elektrogitarre, aber das weniger um Musik, sondern um Sound zu produzieren. Alles Böse in mir setze ich in die Gitarre um.

Also wirst du dich in Zukunft weg vom Rock und hin zum Jazz bewegen?
Ja, vorerst vielleicht zum Jazz. Dann zur klassischen Musik. Und dann aber ganz zurück zu mir, in mein Inneres. Daraus könnte dann eine ganz neue Musik entstehen.

Du wirkst heute viel konzentrierter, aber auch innerlicher als in deinen früheren Konzerten.
Ja, genau, das ist es, was ich erreichen will. Ich war immer zerstreut in meiner Kraft. Wie ein Tennisball, den man aufschlitzt, und dann macht es plupp in alle Richtungen. Deshalb fiel ich auch von der Bühne und brach mir das Genick, nicht weil ich stoned war oder verrückt, sondern weil meine Energie so zerstreut war. Jetzt werde ich älter, ich bekomme mehr Gleichgewicht.

Auf deinen bisherigen Platten war noch nie so viel von Gott die Rede. Du hast früher in Gloria gesungen: „Jesus starb für jemandes Sünden, aber nicht für meine". Nun, in Essen, im Konzert, hast du dich in einer Vorrede fast von deinem alten Lied distanziert. Bist du gläubiger geworden?
Ja. Ich war 26 oder 27, als ich Gloria schrieb. 1973/74 war Amerika sowas wie eine kulturelle Wüste. Ich wußte nicht, was ich tat, und warum ich es tat. Ich stellte alles in Frage. Jetzt habe ich eine Phase, in der ich mein Infragestellen in Frage stelle. Deshalb konnte ich Gloria nicht mehr einfach so singen.

Patti, möchtest du einmal Kinder haben?
Nein, niemals. Ich wollte nie Kinder, ich spüre auch körperlich kein Bedürfnis danach. Ich hatte ein Kind, es ist adoptiert, ich weiß also, wie das ist. Nur... wenn Mr. Smith eines möchte, na ja, dann werde ich vielleicht auch eines wollen.

Aber du hast doch dann das Kind!
Trotzdem. Wenn das so kommt, wird es wundervoll sein. Aber vorläufig - lieber nicht.

Du hast vorhin gesagt, du möchtest eines Tages ein Sexsymbol sein. Wie hast du das gemeint? Auf der Bühne bist du genau das Gegenteil von dem, was man heute unter einem Sexsymbol versteht. Du bist zwar sehr erotisch, weil du stark bist und existent, hast dich aber ganz frei gemacht von jedem Kalkül auf der traditionellen weiblichen Ebene.
Ich meine damit nicht eine manipulierte Person. Ich denke zum Beispiel an Jeanne Moreau, wenn ich Sexsymbol sage. Sie ist eine Frau mit Schönheit, Intelligenz, Charme, dem Charme der Schönheit und Intelligenz. Das ist für mich ein wirkliches Sexsymbol. Nicht einfach ein paar Titten, etwas zum Wichsen, sondern jemand, der die Leute wirklich inspiriert. In jeder Hinsicht, nicht nur sexuell. Ich würde es sehr witzig finden, eine nette Rache, wenn ein Mädchen wie ich, schlacksig, unattraktiv, jungenhaft - das Mädchen, das man sonst stehen läßt -, zu so einer Frau würde... Nun, ich habe zu dem, was ich bin, lange gebraucht, ich werde also auch dafür lange brauchen. Vielleicht werde ich eines Tages das älteste Sexsymbol der Welt, so mit 50...

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