Gleichstellung - und die Verhinderer
Als Ursula von der Leyen noch Frauenministerin war, betrachtete sie irgendwann mit der ihr eigenen Stringenz die deutschen Gesetze und runzelte die Stirn. Was nützt ein neues Unterhaltsrecht, das Frauen zu durchgehender Erwerbstätigkeit anhält, wird sich die Mutter von sieben Kindern gefragt haben, wenn auf der anderen Seite das Steuerrecht das genaue Gegenteil bewirkt, nämlich: via Ehegattensplitting die Hausfrauenehe fördert und zementiert? Vermutlich fiel der jetzigen Arbeitsministerin auch auf, dass junge Frauen zwar die besseren Schulabschlüsse machen, sie aber gleichzeitig den Löwenanteil der miserabel bezahlten Minijobber stellen.
Es gibt also ein Problem. Emanzipationspolitisch relevante Gesetze hebeln sich gegenseitig aus. Weil sie sehr unterschiedliche Leitbilder zur Grundlage haben: Mal die erwerbstätige Frau, die ihre Existenz eigenständig sichert – mal die Hausfrau bzw. die „Zuverdienerin“. Also gab Frauenministerin von der Leyen im Juni 2008 ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag, das prüfen sollte: Wo gibt der Staat in der Gleichstellungspolitik widersprüchliche Signale? Ziel: eine „Gleichstellungspolitik aus einem Guss“.
Wenig später wurde gehandelt: Eine Sachverständigenkommission, bestehend aus drei Professoren und sechs Professorinnen verschiedener Disziplinen begann mit der Arbeit. Unter Vorsitz von Prof. Ute Klammer vom „Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik“ der Uni Duisburg-Essen durchforsteten die WissenschaftlerInnen zwei Jahre lang die deutsche Gesetzgebung, wälzten Studien und führten Interviews mit ExpertInnen. Ihr Ansatz: die so genannte „Lebensverlaufsperspektive“. Die Kommission stellte sich also die Frage: An welchen „Knotenpunkten“ einer Biografie treffen Menschen Entscheidungen in Sachen Beruf und Familie? Welche Ermutigungen oder Entmutigungen gibt der Staat an diesen Stellen? Wo gibt es also Verbesserungsbedarf? Die Kommission gruppierte die Problematik in verschiedene Bereiche: Rollenbilder und Recht, Bildung, Erwerbsleben, Zeitverwendung, Alter. Das Resultat ist der „Erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung“, stolze 226 Seiten.
Die Bilanz der ExpertInnen fiel, wie befürchtet, kritisch aus: „Der Mangel an Konsistenz führt dazu, dass gleichzeitig Anreize für ganz unterschiedliche Lebensmodelle gesetzt werden oder dass oft die Unterstützung in der einen Lebensphase abbricht oder in eine andere Richtung weist“, rügt die Kommission. Es besteht also, wie es in der Politik so schön heißt, Handlungsbedarf.
Ursula von der Leyens Nachfolgerin allerdings scheint das anders zu sehen. „Die Empfehlungen der Kommission dürften bei Frauenministerin Kristina Schröder auf wenig Begeisterung stoßen“, schwante dem Deutschen Frauenrat nach Studium des Anfang 2011 veröffentlichten Berichts. So ist es. In der Stellungnahme, die die Bundesregierung erst ein halbes Jahr nach Abgabe des Berichtes verlauten ließ, heißt es lapidar: „Die Bundesregierung teilt nicht alle aus dem Bericht erwachsenen einzelnen Schlussfolgerungen.“
Welche Schlussfolgerungen genau die Bundesregierung nicht teilt, wird nicht klar, denn zwar werden in dem 14-seitigen Papier „Diskurse begrüßt“ und „weitere Forschungsprojekte“ in Auftrag gegeben – konkrete Pläne oder Gesetzesvorhaben enthält es jedoch keine.
Allerdings ist leicht zu erahnen, welche Vorschläge der Kommission bei der Frauenministerin – die sich bekanntermaßen vorwiegend für Männer- und Jungenpolitik interessiert – nicht auf Gegenliebe stoßen. Dass Schröder, im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin, eine erklärte Gegnerin der Frauenquote ist, ist bekannt. Und das antiquierte Ehegattensplitting ist ein Steckenpferd des rechten Flügels der Konservativen, die höchstpersönlich und ganz direkt davon profitieren. Noch auf ihrer letzten Klausurtagung in Mainz hatte die CDU erklärt: „Die Abschaffung des Ehegattensplittings ist mit uns nicht zu machen!“
Minijobs und Mindestlohn? Wo ist das Problem, wenn die Bundesregierung erklärt, dass für sie zwar „der Grundsatz der fairen Chancen leitend ist, der sich jedoch nicht zwingend in Ergebnisgleichheit ausdrückt“. Das Ergebnis: eine faire Ungleichheit. Geht doch.
An dieser Stelle sollte die Frage erlaubt sein, ob sich diese Bundesregierung und ihre Kanzlerin überhaupt noch für Frauen- und Gleichstellungspolitik interessiert – oder ob es ihnen reicht, dass sie eine Frau an der Spitze haben. Diese Frage stellte sich offenbar auch die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros, die empört erklärte: „Die Sachverständigenkommission hat der Bundesregierung mit ihrem Gutachten eine Steilvorlage geboten. Keine der Empfehlungen hat sie in ihrer Stellungnahme konkret aufgegriffen. Das ist ein Schlag ins Gesicht für die Frauen und Männer in Deutschland, die auf einen Paradigmenwechsel in der Gleichstellungs- politik hoffen konnten.“
Selten beschäftigen sich so viele WissenschaftlerInnen so kompetent mit der Frage nach Hindernissen für Frauen (und Männer) in Politik und Recht – und geben kluge Antworten.
Hier die wichtigsten Ergebnisse des Kommissionsberichts:
Rollenbilder & Recht
Die gute Nachricht zuerst: Hinter neueren Rechtsentwicklungen „scheint das Bild einer eigenständigen Existenzsicherung auf“. Will heißen: Das neue Unterhaltsrecht, das dem betreuenden Elternteil – de facto meist die Mutter – nur noch bis zum dritten Lebensjahr des Kindes Elternunterhalt zusichert, soll auf Dauer bewirken, dass Mütter ihre Berufstätigkeit nicht längerfristig unterbrechen oder sogar aufgeben. Den gleichen Effekt hat das Elterngeld, das die Bezüge während der Elternzeit zwar erhöht, aber statt wie früher drei Jahre nur noch eine bezahlte „Auszeit“ von zwölf Monaten vorsieht (plus zwei „Vätermonate“). Hinzu kommt, dass die Elternzeit zwischen Vater und Mutter paritätisch geteilt werden kann. Jetzt die schlechte Nachricht: Völlig konträr zu diesen Signalen steht das Steuerrecht, genauer: das Ehegattensplitting. Diese gemeinsame Besteuerung von Eheleuten, bei der die Einsparung umso höher ausfällt, je mehr die beiden Einkommen auseinanderklaffen, „setzt starke Anreize für verheiratetet Frauen, nicht oder nur in geringfügiger Beschäftigung tätig zu sein“. Folge: „Im Eheverlauf kommt es mehrheitlich zu einer Re-Traditionalisierung der familiären Arrangements.“
Die Kommission empfiehlt: Die Abschaffung des Ehegattensplittings und die Umstellung „auf den in Europa weit verbreiteten Modus der Individualbesteuerung“. Die Abschaffung der beitragsfreien Mitversicherung des Ehegatten/der Ehegattin in der gesetzlichen Krankenversicherung, dafür Aufbau eines individuellen Schutzes. Die Verlängerung der so genannten „Vätermonate“ sowie die Möglichkeit, dass beide Eltern gleichzeitig Elternzeit nehmen und in dieser Zeit Teilzeit arbeiten.
Bildung & Frauen
In keinem Bereich haben Frauen so stark aufgeholt: Mädchen machen die besseren Schulabschlüsse. Jungen stellen die Mehrheit an den Sonder- und Hauptschulen. Allerdings weist die Kommission darauf hin, dass sich „bei beiden Geschlechtern Bildungsgewinner und -verlierer finden“. So machen zum Beispiel weibliche Hauptschulabsolventen seltener einen beruflichen Abschluss als männliche. Und obwohl sie häufiger studienberechtigt sind, studieren Frauen relativ seltener als ihre männlichen Pendants. Das gilt besonders für Abiturientinnen mit Migrationshintergrund. Und die Berufswahl von Mädchen und Jungen erfolgt immer noch sehr häufig nach Geschlechterstereotypen, so dass Mädchen oft in häufig unterbezahlten „Zuverdienerberufen“ landen. Einen typischen Widerspruch in Sachen staatliche Signale deckt die Kommission bei der frühkindlichen Bildung auf: Einerseits wird deren Bedeutung für den weiteren Lebensweg betont. „Gleichzeitig werden aber für sozial schwache Familien attraktive Anreize gesetzt, ihre Kinder nicht an vorschulischer Erziehung teilnehmen zu lassen.“ Sprich: Das für 2012 geplante Betreuungsgeld lädt dazu ein, Kinder nicht in den Kindergarten zu schicken und stattdessen zu Hause zu betreuen.
Die Kommission empfiehlt: Eine geschlechtsbewusste Pädagogik. Die Professionalisierung und Aufwertung von Pflege- und Erziehungsberufen und Maßnahmen, die auch Jungen für diese Berufe begeistern. Auf keinen Fall die Einführung des geplanten Betreuungsgeldes.
Erwerbsleben & Frauen
Zwar ist die Frauenerwerbstätigkeit in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Bei genauerer Betrachtung handelt es sich aber um eine reine Umverteilung: „Die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen hat sich überwiegend auf der Basis einer steigenden Zahl kleiner Arbeitsverhältnisse und einer Umverteilung des Erwerbsbvolumens unter Frauen vollzogen.“ Frauen mit Kindern sind heute zwar häufiger erwerbstätig als vor zehn Jahren, aber: „Im europäischen Vergleich fällt auf, dass es kein anderes europäisches Land gibt, in dem die Teilzeit arbeitenden Frauen – vor allem aufgrund des hohen Anteils an Minijobs – mit durchschnittlich 18,2 Wochenstunden so kurze Arbeitszeiten haben wie in Westdeutschland.“ Die Folge: „Von einer eigenständigen Existenzsicherung ist ein Großteil der Frauen weit entfernt.“ Ein gegenteiliges Signal gibt die Hartz IV-Gesetzgebung: Falls der Ehemann arbeitslos und zum Hartz IV-Empfänger wird, wird von der Ehefrau plötzlich erwartet, dass sie Vollzeit arbeitet, um die „Bedarfsgemeinschaft“ aus dem Leistungsbezug herauszubringen. „Wenn dem Ehepaar aber vorher eine asymmetrische Arbeitsverteilung nahegelegt wurde, kann die Frau die neue Rollenerwartung de facto kaum erfüllen. Dann führt der Weg in die Armut.“ Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist „ernüchternd“. Zwar ist dieser Anteil in der ersten und zweiten Führungsebene von acht Prozent (1995) auf knapp 20 Prozent (2010) gestiegen, aber der Anteil weiblicher Topmanager bei Unternehmen mit mehr als 20 Millionen Euro Umsatz liegt nur bei knapp sechs Prozent.
Die Kommission empfiehlt: Die Abschaffung der Minijob-Regelungen, stattdessen eine Sozialversicherungspflicht „ab dem ersten Euro“. Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Eine „grundsätzliche Überarbeitung“ der Hartz IV-Gesetzgebung im Hinblick auf die „Bedarfsgemeinschaft“ sowie eine Quotenregelung, die „effektiv sanktioniert“ werden sollte.
Alter
Frauen erreichen in Westdeutschland nur die Hälfte des Rentenniveaus von Männern, in Ostdeutschland sind es immerhin zwei Drittel.
Die Kommission empfiehlt: Die Abschaffung der „abgeleiteten Rentenansprüche“, stattdessen Aufbau einer Individualrente. Sowie die Anrechnung nicht nur von Kindererziehungszeiten, sondern auch von Pflegezeiten.
Übrigens: Frauenministerin Kristina Schröder befand es nicht für nötig, den „Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung“, an dem neun WissenschaftlerInnen fast zwei Jahre gearbeitet hatten, persönlich entgegenzunehmen. Sie schickte den sechs ProfessorInnen, die für die Übergabe nach Berlin gekommen waren, ihren Staatssekretär.