Schlag gegen Korruption

Artikel teilen

In dem gerade angelaufenen Film "Geheime Staatsaffären" (Filmstart: 20.7.06) von Claude Chabrol spielt Isabelle Huppert die französisch-norwegische Untersuchungsrichterin Eva Joly, die in Frankreich Wirtschaftskorruption großen Stils aufdeckte und beinahe die Regierung gestürzt hätte. Foto: Bettina Flitner.

Anzeige

In ihrer Wahlheimat Frankreich ist sie eine wahre Volksheldin, sie wird von den Ohnmächtigen geliebt und von Mächtigen gehasst. In ihrer wahren Heimat Norwegen hat sie sich nun nach Abschluss ihrer Arbeit ein paar Monate lang in eine abgelegene Blockhütte zurückgezogen und aufgeschrieben, wie es zu allem kam – und warum sie weitermachen wird. Es ist ein wahrer Krimi geworden und eröffnet den Blick in eine Welt, die auch vielen Männern und (fast) allen Frauen verschlossen ist: die Welt der Eliten, die außerhalb des Gesetzes stehen.

Acht Jahre lang hat die Pariser Untersuchungsrichterin Eva Joly in einem der größten Korruptionsfälle der Republik ermittelt, sechs Jahre stand sie unter verschärftem Personenschutz und musste um ihr Leben fürchten. Ihre Gegner hatten ein hohes Kopfgeld auf sie ausgesetzt. Was hatte Eva Joly sich zuschulden kommen lassen? Sie hat ganz einfach ihre Arbeit getan. Die Richterin war, eigentlich eher zufällig, bei der Privatisierung des staatlichen Ölkonzerns Elf Aquitaine auf Fälle von Korruption gestoßen. Bei den Transaktionen waren dreistellige Millionenbeträge geflossen - nicht etwa als Kaufsumme, sondern schwarz, als Bestechungsgelder.
„In keinem Land begrüße ich die Übersetzung meines Buch mehr als in Deutschland“, schreibt Joly im Vorwort zu ihrem Buch „Im Auge des Zyklons“. Denn Elf hatte die privatisierte Leuna aus der Ex-DDR gekauft und: „Unsere Ermittlungen im Fall Leuna ergaben, dass Elf mehr als 50 Millionen Mark an einen Mittelsmann gezahlt hat, der Kontakte zum Bundesnachrichtendienst pflegte. Doch obwohl die deutsche Justiz „alle Trümpfe in der Hand“ hat – geschehen ist nichts. Bis heute nicht.
Das immerhin war letztendlich in Frankreich anders, wenn auch nur dank des Standvermögens der couragierten Joly. Insgesamt 37 stehen vor Gericht, drei wurden im November zu vier bis fünf Jahren Gefängnis und siebenstelligen Strafen verurteilt:Loik Le Floch-Prigent, Ex-Chef von Elf; Alfred Sirven, der Elf-Schattenmann, und André Tarallo, Elf.
Der ganz Frankreich erschütternde Skandal war von Jolys 18-Quadratmeter-Büro „mit einer klapprigen Schreibmaschine, ohne Fax und ohne Handy“ ausgegangen. In diesem Büro mussten sie alle antreten: „Am Revers tragen sie häufig das Abzeichen der Ehrenlegion. Im Who’s Who stehen lange Artikel über sie. Und sie zögern nicht, uns spüren zu lassen, dass es unter ihrer Würde ist, auf dem alten Stuhl vor unseren Schreibtischen zu sitzen“, schreibt Joly.
Diese Arroganz der Elite hatte die heute 58-Jährige früh kennengelernt. Als sie mit 20 als Aupair-Mädchen nach Paris kam, verliebte sich der Sohn ihrer großbürgerlichen Gastfamilie in die Norwegerin aus kleinen Verhältnissen (Vater Schneider, Mutter Friseuse). Die beiden büxten aus und der Vater schickte dem Sohn einen Brief hinterher: „Du darfst sie nicht heiraten! Sie ist nicht reich, hat keine Zukunft. Sieh dir ihr derbes Gesicht an. In unserer Familie waren alle schön. Wenn du sie heiratest, werdet ihr hässliche Kinder haben.“ Die beiden heirateten und haben zwei inzwischen erwachsene Kinder. Und: Jeder zweite Mensch in Frankreich wünscht sich heute Eva Joly als Staatspräsidentin.
„Wie alle berufstätigen Frauen führe ich mehrere Leben nebeneinander“, erzählt sie. „Mit zwei Leibwächtern ins Kaufhaus zu gehen, um Weihnachtsgeschenke für die Kinder zu kaufen, ist eine für alle Beteiligten peinliche Sache. Und wenn man Sonntags mit seinem Ehemann nach einem besinnlichen Abendessen bei Freunden Arm in Arm nach Hause fährt und sich plötzlich auf den Wagenboden ducken muss, weil Alarm ausgelöst wurde – dann macht dies weit mehr kaputt als nur diesen Abend.“
Und es ist nicht nur der Druck der Hochfinanz und der grauen Eminenzen, es ist auch der Druck der Medien. In der Zeit von Jolys Ermittlung war noch die linke Mitterand-Regierung an der Macht, eng verflochten mit den linken und liberalen Medien. Eine wahre Hexenjagd gegen die Frau, die die Regierung angreift, begann. „Meine Entschlossenheit“, schreibt sie rückblickend, „hing an einem seidenen Faden“.
Ihr Buch widmet Eva Joly 24 RichterInnen und JournalistInnen, die in den letzten 28 Jahren ihren Kampf gegen die Korruption mit dem Leben bezahlt haben. Und im Juni 2003 veröffentlichte Joly zusammen mit anderen die so genannte „Pariser Erklärung“, in der die modernen Robin Hoods drei Forderungen erheben: Transparenz, Globalisierung des Rechtssystems und härtere Strafen für die Verbrechen der Eliten (inklusive Überwachung ihrer Konten).
Die Umsetzung wäre gar nicht so schwierig, denn die große Korruption beschränkt sich auf wenige Bereiche: den Waffenhandel, die Bauwirtschaft, Energie, Rohstoffe und Telekommunikation. Um welche Summen es dabei geht, zeigt ein Rechenexempel: Frankreich hat in den 90ern offiziell jährlich Waffen im Wert von 5,6 Milliarden Euro exportiert. Die „Vermittler-Provisionen“, sprich Bestechungsgelder, betragen im Waffenhandel zwischen 20 und 40 Prozent. Das heißt, allein in der Branche flossen eine bis zwei Milliarden Euro nur in Frankreich jährlich aus den Schwarzkassen in die Taschen der „Vermittler“. Weltweit handelt es sich bei der Korruption also um Summen, die Staatshaushalte weit in den Schatten stellen.
Zur Zeit pendelt Eva Joly zwischen Paris und Oslo, wo sie das Justiz- und Außenministerium beim Aufbau einer internationalen Kommission gegen Korruption berät.
Eva Joly: Im Auge des Zyklons (Riemann Verlag, 18 €)
EMMA Januar/Februar 2004

Artikel teilen
 
Zur Startseite