Nie wieder: Der rasierte Mann

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Dass es so schnell gehen würde, hätte ich nicht gedacht. Es ist erst vier Tage her, dass ich mir das erste Mal süßlich duftendes Rasiergel auf die Beine geschmiert und mit einem rosa Damenrasierer die Haare entfernt habe, und schon hat sich so etwas wie Routine eingestellt. Keine zehn Minuten brauche ich mehr dafür – aber der morgendliche Blick in den Spiegel erschreckt mich noch immer. Es ist jetzt Halbzeit meines Experiments. Eine Woche lang werde ich mir nicht nur die Beine rasieren, sondern vom Kehlkopf abwärts auch alle anderen Körperhaare entfernen. Und auch wenn mir die Handgriffe mittlerweile geübt von der Hand gehen – daran gewöhnt habe ich mich noch lange nicht.

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Tag 1
In der Komödie „Was Frauen wollen“ probiert Mel Gibson Produkte wie Lidschatten oder Strumpfhosen aus, um Frauen besser zu verstehen. Auf dem Höhe­punkt dieser Szene reißt er sich mit einem Kaltwachsstreifen die Haare vom Schienbein. Was nicht gezeigt wurde: Nicht Gibsons Bein wurde in dieser Szene enthaart. Den Star schockte die Vorstellung einer kahlen Stelle auf dem Bein anscheinend so sehr, dass er auf ein Beindouble bestand. Entsprechend mulmig ist mir, als ich mich das erste Mal auf den Badewannenrand setze, um mir meine Beine zu rasieren. Meine eigenen.

Ein paar Stunden zuvor stand ich noch in der Drogerie und versuchte, den richtigen Rasierer für mich zu finden. Ich entschied mich für eine Standardausführung. Drei Klingen, kleine, weiße Kissen, rosa Griff. Dazu ein Rasier-Gel mit Summertime-Aroma, eine Packung Kaltwachsstreifen und eine Crème, um die Haut zu beruhigen. Ich bin vorbereitet...

Gleich beim ersten Ansetzen passiert es. Der Schnitt ist winzig und nicht tief, aber er ist mir eine Warnung: Das Ding in meiner Hand mag harmlos aussehen, aber es ist verdammt scharf.

Das größte Problem meiner ersten Rasur ist aber nicht die Klinge, sondern mein Körper. Wie komme ich an die untere Außenseite meiner Wade? Wie in die Kniekehle? Ich verrenke mich hin und her, zweimal rutsche ich fast aus. Den Rasierer muss ich per­manent auswaschen, denn nach fast drei Jahrzehnten ungebremstem Haarwuchs verstopft die Klinge nach jedem Zug. Es dauert 20 Minuten, dann bin ich mit dem linken Unterschenkel fertig. Mein Rücken schmerzt von den Verrenkungen, aber wenigstens liegt meine Wade jetzt in ihrer ganzen Weißheit frei.

Die Oberschenkel sind leichter. Allerdings fällt mir die Rückseite schwer. Ich rasiere stellenweise fast blind. Als ich mich dabei erwische, wie ich gleichzeitig versuche, eine Stelle am hinteren oberen Oberschenkel zu erreichen und meine Brille vor dem Herunterrutschen zu retten, während mein Kopf etwa auf Schritthöhe neben meinem Bein hängt, denke ich: Das muss leichter gehen! Mit einem Handspiegel und einem letzten Rest Würde beende ich nach über einer Stunde die erste Beinrasur meines Lebens.

Als ich kurze Zeit später meine Jeans anziehe, fühlt es sich so an, als wäre der Stoff feucht. Schon bald darauf beginnt es überall zu jucken. Vom versprochenen göttlichen Gefühl keine Spur.

Abends kommt meine Mitbewohnerin grinsend in mein Zimmer. Ihr Blick verfinstert sich, als sie meine Beine inspiziert: „Das ist aber schlecht rasiert“, sagt sie. Und dann: „Sieht komisch aus.“

Tag 2
Ich gehe joggen. Cristiano Ronaldo entfernt sich angeblich alle Körperhaare, um noch ein paar hundertstel Sekunden schneller das Fußballfeld entlang zu sprinten. Am Ende meines Laufs halte ich diese Theorie für Unsinn. Schneller bin ich nicht – aber vielleicht bremsen mich auch einfach noch die ­anderen behaarten Körper­regionen? Es gibt nur einen Weg, das ­herauszufinden.

Brusthaare, das war in meiner Jugend das unbestrittene Symbol von Männlichkeit. Das Fernsehen versorgte uns mit ­behaarten Vorbildern – und niemand trug die Matte stolzer als Tom Selleck. Als Privatdetektiv Thomas Magnum hatte er genug Wolle auf der Brust, um einen Norwegerpullover zu stricken. Davon kann bei mir keine Rede sein, trotzdem muss ich kurz schlucken, als ich die Hand zum ersten Kaltwachsstreifen führe, der auf meiner Brust klebt.

Mein Schrei ist fast lautlos, aber jeder Muskel meines Körpers ist angespannt. Ich springe auf und ab, mein Kopf ist ­puterrot, mir ist schwindelig. Nach dem nächsten Streifen beginnt es in meinem Ohr zu klingeln. Dann, als ich den dritten Streifen abreißen will, passiert es: Er bleibt auf halber Strecke hängen. Diesmal ist mein Schrei nicht mehr lautlos. Mit letzter Kraft reiße ich mir auch diesen Streifen noch runter. Egal was passiert: Mit Kaltwachs bin ich fertig! Der Rest des Oberkörpers wird rasiert!

Inzwischen zittere ich am ganzen Körper – nicht die beste Voraussetzung. Und so kommt es, wie es kommen muss: Ich schneide mir in die rechte Brustwarze, aber spüre es kaum noch. Meine ganze feuerrote, brennende Brust schmerzt.

Als ich fertig bin, betrachte ich mein Werk im Spiegel. Die entwachsten Stellen auf der Brust sind glatter als die rasierten, dafür leuchten sie auch Stunden später noch knallrot. Jede Berührung lässt mich zusammenzucken.

Tag 3
Am nächsten Morgen hat die Rötung nachgelassen. Seidenglatt ist meine Brust trotzdem nicht. Wo bis gestern Haare waren, sind jetzt rote Punkte. Optisch eine Verschlechterung, aber darum geht es nicht. Es geht um den ganzen Ronaldo. Ich habe jetzt enthaarte Beine und einen enthaarten Oberkörper. Es fehlt noch das dazwischen.

Im Spätmittelalter war das Entfernen aller Körperhaare noch Teil der Folter, die der Hexerei Verdächtige über sich ­ergehen lassen mussten. Doch im Februar 2012 veröffentlichte die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) eine Studie, der nach sich heute jeder vierte Mann zwischen 14 und 29 Jahren regelmäßig im Intimbereich enthaart. Dass dieser Trend auch die älteren Semester treffen kann, ­erlebte im vergangenen Jahr Schauspieler Sky du Mont, 65. Via Bild-Zeitung verkündete seine knapp 30 Jahre jüngere Frau Mirja: „Mein Sky muss sich untenrum rasieren.“ Sky nahms sportlich und erklärte: „Je niedriger die Hecke ist, desto größer erscheint das Haus.“

So gelassen bin ich auf dem Weg zum Studio nicht. Gleich wird mir jemand heißes Wachs in den Schritt schmieren, um mir die Haare auszureißen. Ich bin nervös.

Johanna ist eine freundliche Frau Ende 20. Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. So lässig es einem nackten Mann im T-Shirt möglich ist, lege ich mich auf den Behandlungstisch.

„Die Beine bitte so anwinkeln, wie ein kleines Fröschchen“, sagt Johanna. Dann beginnt sie, meinen Schritt mit Wasser einzusprühen und zu bepudern und zerstört so den letzten Rest meiner Selbstachtung.

„Männer kommen seltener als Frauen“, sagt Johanna, „viele haben eben noch Hemmungen.“ Insgesamt aber seien sie pflegeleichter. „Sie halten sich eher zurück. Die Frauen schreien mehr.“ Männer brächten andere Probleme mit. „Am schlimmsten ist es, wenn sie einen Steifen kriegen“, sagt Johanna. Wenn das passiert, verlassen Johanna und ihre Kolleginnen den Raum, bis der Kunde sich „beruhigt“ hat. Beim dritten Mal ist allerdings Schluss. Dann ­bekommt der Mann Hausverbot.

Bei mir muss sich Johanna keine Sorgen machen. Die ganze Situation erinnert mich eher an die Musterung oder den Zahnarzt – beides keine erotischen Höhepunkte in meinem Leben. Die Bonus­karte, die ich nach Ende der Behandlung überreicht bekomme, wandert in den ­Papierkorb.

Tag 5
„Und was gibt’s bei dir so Neues?“ Die Frage hängt einige Sekunden über unserem Biergartentisch. Schließlich antworte ich: „Ich habe vom Hals abwärts keine Haare mehr am Körper.“ Eine kurze Pause später geht das Gelächter los.

Ich hatte mit dieser Reaktion gerechnet. Immer wenn das Thema zur Sprache kommt, ernte ich zumindest ein breites Grinsen. Vor allem bei Frauen. Mehr als eine bot an, mir beim Abreißen von ­Kaltwachsstreifen zu helfen – nicht aus Nächstenliebe.

„Also, an Männerbeine gehören Haare“, sagt Jenny. Ihren Freund Manuel schockiert mehr das Heißwachs. Auch er trimme ja, aber alles ab? Wir sind doch schließlich erwachsene Männer! Als ich mich kurz darauf zur Toilette verabschiede, ruft er mir nach: „Rutsch nicht ab.“

Tag 6
Ein letztes Mal schmiere ich meine Beine mit Summertime-Gel ein. Die etwas abgenutzte Klinge führe ich sicher auch über die schwierigen Beinregionen. Kein Blut. Die roten Flecken auf der Brust haben nachgelassen, dafür habe ich schon wieder erste Stoppeln. Auch das Rasieren des ­Gesichts ist seit Beginn des Experiments auf der Strecke geblieben. Ich sehe jetzt aus wie ein Action-Man mit Siebentagebart. Aussteiger-Ken.

Zeit, Bilanz zu ziehen. Gewöhnt habe ich mich in dieser einen Woche an meine Haarlosigkeit nicht. Einzig das Rasieren der Beine hat seinen Schrecken völlig verloren. Doch mein gewachster Schritt und meine nackte Brust wirken auf mich wie die Körperteile eines Fremden. Hygie­nischer? Ästhetischer? Erotischer? Naja.

Wie ich meinen nahezu haarlosen ­Körper so im Spiegel betrachte, habe ich nur einen Gedanken: Nie wieder!

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Statt waxen: wachsen lassen!

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Ich bin 22 Jahre alt. Und ich habe es erst diesen Sommer geschafft, dem Rasieren ein Ende zu setzen. Es war ein harter, langer Kampf. Aber ich habe gewonnen.

Bis zu diesem Frühjahr wusste ich nicht, wie mein Venushügel mit voller, ungezügelter Haarpracht aussieht. Denn schon beim Sprießen der ersten Haare vor zehn Jahren griff ich wie all meine Freundinnen zum Rasierer. Kurze Zeit später folgten die Haare an den Beinen. Und auch die ersten Achselhaare wurden unverzüglich ins Waschbecken gespült.

Als wir 14 wurden, kam ein bizarrer Trend auf: Meine Freundinnen und ich begannen uns nicht nur die Haare unter den Armen, sondern sogar die auf den Armen zu rasieren. Von der Hand bis zur Schulter. Jeden zweiten Tag. Über Monate war mein Körper, vom Kopf abgesehen, komplett haarlos.

Als dieser Trend (zum Glück!) vorbei war, machte mich ein Junge in der Schule darauf aufmerksam, dass ich einen „Damenbart“ hätte. Mein Taschengeld floss nun nicht mehr nur in Rasierklingen und Schaum, sondern in den regelmäßigen Besuch bei der Kosmetikerin im Dorf. Die machte mir zum ersten Mal in meinem Leben die Bedeutung des Satzes „Wer schön sein will muss leiden!“ verständlich. Durch Warmwachsgesichtsenthaarung.

Wenn die Haare nachwuchsen, fühlten sie sich leicht stoppelig an. Immer wieder hatte ich beim Küssen Angst, darauf angesprochen zu werden. Irgendwann ließ ich meinem Damenbart deshalb freien Lauf.

Aber: Bein-, Scham- und Achselhaar blieben weiterhin haarlose Zonen. Ich genoss es, Wasser an meinen glatten Beinen abperlen zu sehen. Und begriff dabei nicht, dass ich genau das Bild reproduzieren wollte, dass ich täglich in der „Venus“-Fernsehwerbung sah.

Mit meiner besten Freundin diskutierte ich regelmäßig darüber, wie es möglich sei, sich den Intimbereich zu enthaaren ohne sich dabei zu verletzen. Denn durch das ständige Rasieren waren die Schamhaarstoppel hart geworden und regelmäßig riss die Haut auf.

Mit 18 zog ich in ein linkes Regensburger Hausprojekt und verguckte mich in meinen Mitbewohner. Er war der erste Mensch, der mich dazu ermutigte, meine Körperbehaarung wachsen zu lassen. Doch ich konnte mich nicht überwinden! Mehr noch: Ich entschuldigte mich weiter regelmäßig für meine stacheligen Beine, wenn ich neben der Abiturvorbereitung keine Zeit zum Rasieren fand.

Langsam dämmerte es mir: Vielleicht war mein Rasierverhalten nicht so selbstbestimmt wie ich vorher gedacht hatte? Vielleicht war es kein Zufall, dass ich mir bei kälteren Temperaturen die Beine längere Zeit nicht rasierte als im Sommer?

Nach einem Jahr als Au-Pair in Paris zog ich nach Berlin. Und plötzlich traf ich nur noch Frauen, die sich dem Rasierwahn verweigerten. Der Anblick der haarigen Beine und der buschigen Achseln machte mir Mut. Ich hörte damit auf, meine Schamhaare zu rasieren. Ein paar Monate später brachte ich es übers Herz mir zusätzlich meine Beine nicht mehr zu rasieren.

Sommer in Paris, hier hatte ich einen Rückfall. Ich war enttäuscht von mir selbst. Denn ich mochte meine neu entdeckte Freiheit ja eigentlich.

Zwei Tage später saß ich mit zwei Kindern im Wohnzimmer. Die Hände der Kinder streiften meine Beine. Sie schrien entsetzt auf. Das fühle sich ja an wie Igel! Ich erklärte den beiden, weshalb ich mir die Beine rasierte. Und merkte: Ich war tatsächlich in die Erwachsenen-Falle getappt. Ich schimpfe auf ein Schönheitsideal. Aber besaß nicht den Mut, einen anderen Weg zu gehen. Von diesem Tag an rasierte ich meine Beine nie wieder.

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