Kriegspropaganda gegen Frauen
PORNOGRAFIE
Kriegspropaganda gegen Frauen
6. Dezember 1997. Abendgarderobe ist Pflicht! Denn in Deutschland wird zum ersten Mal die Venus verliehen. Die nackte Frau ohne Kopf fungiert als Oscar für die internationale Porno-Branche, und auf der "geilen Gala" in Berlin überreicht ein Transvestit die Preise: Lilo Wanders, früher Blödel-Experte am Szene-Theater Schmidt in Hamburg und heute Obszönitäten-Spezi beim Sex-Magazin Wa(h)re Liebe von Pro 7.
7. Januar 1998. Tabulosigkeit ist Programm! Also serviert der Musik-Sender Viva kurz nach dem Mittagessen um 14.03 Uhr den Video-Clip "Smack my Bitch up" ("Vermöbel meine Alte") der englischen Rave-Band Prodigy (Das Wunder). In dem "Skandal-Video", schwärmt die Jugendzeitschrift Bravo, macht ein "abgedrehtes Party-Animal" einen "wüsten Zug durch die Gemeinde" und landet schließlich in einem Puff, wo die "Londoner Ex-Stripperin" Teresa May "den Rave-Unhold" mit "ihrer üppigen Oberweite", "gewagten Posen" und "nackten Tatsachen verführt".
11. Februar 1998. Sadomaso ist "in"! Darum läßt sich zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr ein dominanter Kirchen-Restaurator auf RTL von einer devoten Theologie-Dozentin betören, "bekleidet" mit Fesselstricken. Ein paar Werbeblöcke später hat sich die "heilige Hure" emanzipiert und ihre Passion zur Profession gemacht: Nun schwingt sie als Domina für Geld die Peitsche. "Wir erleben zur Zeit gleichzeitig eine Banalisierung und eine explosionsartige Ausbreitung der Pornographie", warnte Emma vor zehn Jahren. Und heute?
Die Pornographisierung des Alltags hat solche Ausmaße angenommen, daß sie kaum noch auffällt - Pornographie ist überall und allgegenwärtig, sie ist normal.
In Vormittags-Talks flimmern Windelfetischisten über den Bildschirm, wie in Vera am Mittag. Private Fernsehsender wie RTL 2 werben mit Softpornos für ihr Weihnachtsprogramm ("Feiern Sie mit uns das Fest der Liebe!"). Boulevard-TV-Moderatorinnen wie Birgit Schrowange posieren in Dessous für Hochglanz-Magazine ("Meine sündige Seite"). Schauspielerinnen plaudern über Masturbation, wie Julia Stemberger in der Johannes B. Kerner Show. "Rotlicht-Märchen" wie Der König von St. Pauli auf SAT 1 brechen alle Quotenrekorde, und Pornoproduzenten wie Larry Flint sind die neuen Hollywood-Stars.
"Erotik-Comics" wie Kiss Comic mit Sodomie-Darstellungen ("Meine kleine Pussy braucht's echt nötig") werden an Tankstellen verkauft, und Zuckerbäcker formen Penisse und Brüste aus Marzipan. Keine noch so kleine Kleinstadt ohne Sex-Messe. Kaum eine Großstadt ohne "Ausziehschule für Striptease zuhause". Weder Tiere noch Leichen sind tabu: Mit ihnen kann mann's mit dem entry "bestialities" treiben - im Internet. Frauen und Kinder sowieso nicht.
Immer mehr und immer härter, das läßt die Porno-Kassen klingeln. So freuten sich die deutschen Privat-TV-Sender 1997 über "Rekordzuwächse" für "Erotik-Reklame", mit der im Nachtprogramm für 0190-Telefonsex-Nummern geworben wird. Spitzenreiter war RTL 2 mit 20.000 "Erotik"-Werbeclips im ersten Halbjahr 97 - was eine Steigerung von rund 350 Prozent bedeutet, denn im ersten Halbjahr 96 waren es nur 5.700. Die Porno-Spots bescherten den privaten TV-Sendern in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres 66 Millionen Mark.
"Sex" ist der meistgebrauchte Suchbegriff im Internet, wo 100.000 Anbieter Pornos offerieren. Allein die Internet Entertainment Group verdiente 1997 mit ihren 20 schlüpfrigen Seiten im Netz 20 Millionen Dollar. Und die 6.200 Videotheken in Deutschland nahmen 1997 rund 780 Millionen ein. Ein Viertel davon geht auf das Konto von Porno- und Brutalo-Streifen, die als "jugendgefährdend" auf dem Index stehen.
Der weltweite Umsatz der Sex-Industrie, rechnete jüngst das renommierte Wirtschaftsmagazin The Economist aus, beläuft sich auf 20 Billionen (das sind 20.000.000 Millionen) Dollar im Jahr. Bei diesem Mega-Geschäft setzen auch die Porno-Produzenten auf Globalisierung - sprich: die Ausbeutung der Dritten Welt und des europäischen Ostens. Vibratoren werden in China produziert und Pornofilme in Ungarn, und das "Lebendmaterial" - die Frauen und Kinder - kommt überwiegend aus Osteuropa und den Dritte-Welt-Ländern.
Früher war es Kopenhagen, heute ist Budapest die Pornofilm-Metropole Europas, weil dort die vom Kommunismus befreiten DarstellerInnen für viel weniger Geld zu haben sind als die sexuell befreiten Skandinavierinnen. "Selbst Streifen, in denen die Darstellerin gefoltert und erniedrigt wird", wundert sich The Economist, "kosten den Produzenten bloß zwei- oder dreihundert Dollar, also nur noch ein Drittel der Summe, die dafür noch vor zehn Jahren gezahlt werden mußte."
Schon 1990 stellte der Münchner Psychologe Henner Ertel in einer Studie über "Erotika und Pornographie" fest, daß sich der Porno-Konsum "nicht mehr auf einige gesellschaftliche Randgruppen" beschränkt: "Überdurchschnittliche Steigerungsraten waren in den letzten 20 Jahren vor allem in der Gruppe der 18- bis 25jährigen Männer zu verzeichnen."
Laut Ertel frequentieren heutzutage zwei von drei jungen Männern in Deutschland "pornographische Medien". Nicht nur die Schmuddelheftchen aus dem Sexshop, sondern auch Videos, Computerspiele und heiße Ware im Internet. Hinzu kommen Action-, Slasher-, Horror- und Fantasyfilme, die "sexuelle und aggressive Inhalte verknüpfen": "In der überwiegenden Zahl der Fälle sind die Opfer Frauen."
2. März 1996. In der Maske des Zombies Jason aus einem Horrorfilm drischt der 14jährige Christian E. aus dem Dorf Krennerhäuser bei Passau mit einer Axt auf seine zehnjährige Cousine Michaela ein. 150- bis 180mal hat sich der Junge die bestialischen Streifen aus der Reihe Freitag, der 13. angeschaut. Folge: Michaela verliert einen Teil ihres Gehirns, 167 Tage liegt sie im Krankenhaus, elf davon im Koma. Christian wurde nach der Tat in ein Heim eingewiesen. Seine Eltern mußten ihr Haus verkaufen und flüchteten in eine Großstadt. Der Onkel, der seinem Neffen die Videos geliehen hatte, kam mit einer Geldstrafe davon.
9. Mai 1997. "Er tötete im Porno-Wahn", prangt als Schlagzeile auf der Titelseite von Bild. "Ich will sie haben, ich will mit ihr schlafen!" brüllte der 15jährige Helmut aus Wien, als er mit dem Revolver seines Vaters in ein Klassenzimmer stürmte. Der Junge bedrohte ein Mädchen, das ihm ein paar Tage zuvor "eine Abfuhr erteilt" hatte. Die Lehrerin ging dazwischen, und der Schüler drückte ab: "Er schießt ihr ins Gesicht, ins Herz - sie sackt sterbend zusammen." Kurz zuvor hatte sich der jugendliche Amok-Läufer an Pornos aufgegeilt. "Ich habe mir die Bilder angeschaut, und die haben mir Lust auf Sex gemacht", zitiert Bild "das Milchgesicht mit Brille".
2. September 1996. Wegen der Ermordung einer Angestellten in einer Videothek verurteilt das Osnabrücker Landgericht einen 22jährigen zu einer Haftstrafe von 15 Jahren. Die Staatsanwaltschaft hat für lebenslänglich plädiert, doch die Kammer hält dem Angeklagten zugute, daß er "zum Tatzeitpunkt unter einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung" litt: verursacht durch ein Gewaltporno-Video.
Henner Ertel und seine ForscherInnengruppe von der Gesellschaft für Rationelle Psychologie (G.R.P.) in München fanden im Rahmen ihrer "repräsentativen Befragung und psychophysiologischen Langzeitstudie zu Konsum und Wirkung von Pornographie" heraus, daß ein "größerer Prozentsatz von Jugendlichen" zwischen zwölf und 16 Jahren trotz Altersbeschränkung und Indizierung "Extremprodukte dieses Genres mehrfach gesehen hat".
In Laborexperimenten wies Ertel nach, daß "bereits eine Dosis von drei bis vier dieser Filme, verteilt über eine Woche, zu einem ausgesprochenen Abstumpfungseffekt führt": "Das Gros der Zuschauer ist im Anschluß daran gegenüber weiteren Darstellungen von Gewalt desensibilisiert."
Ertel befürchtet, daß "die ständige Verknüpfung von sexuellen und aggressiven Darstellungen die Gefahr einer Erotisierung von Gewalt in sich birgt". Folge: "Nicht nur sexuell-aggressive Darstellungen, sondern auch solche, die nichtsexuelle Gewalt zum Ausdruck bringen, wirken auf eine bestimmte Personengruppe der männlichen Normalbevölkerung erotisierend."
Das Münchner Meinungsforschungsinstitut iconkids & youth befragte Ende letzten Jahres 1.000 Kinder zu ihren Erfahrungen mit dem Internet. Ergebnis: Zwei Drittel der regelmäßigen Surfer zwischen sechs und 14 Jahren sind männlich, und jeder Dritte von ihnen geht "auch auf nicht jugendfreie Seiten online". Die jungen Cyberspace-Freaks gaben offen zu, daß sie "verbotene Angebote" wie Sexfotos oder Gewaltszenen "am interessantesten" finden.
Der Augsburger Schulpädagogik-Professor Werner Glogauer befragte 1994 rund 500 bayerische HauptschülerInnen zu ihrem Umgang mit Computerspielen. Ergebnis: "Mehr als zwei Drittel der Jungen, aber nur ein Viertel der Mädchen spielen täglich oder mehrmals pro Woche." Und: Jeder dritte (männliche) PC-Fan zwischen zehn und 16 besitzt eigene Disketten (meist Raubkopien) mit "gewaltverherrlichender, pornographischer oder nazistischer Software". Die Mehrzahl der restlichen User (83 Prozent) spielt bei Freunden mit. Die Renner bei den indizierten PC-Spielen sind der mordende Maschinenmensch Robocop, ein "Fantasy-Gemetzel" mit dem Titel Golden Axe und Sex Games: "eine Art Joystick-gesteuerter Kopulationswette" (Focus).
Prof. Glogauer, der seit Anfang der 80er Jahre den Medien-Gebrauch von deutschen Youngstern erforscht, warnt ausdrücklich vor der "Gefahr sexueller Aggressionen gegenüber Frauen" als "Folge des Konsums sexueller und pornographischer Darstellungen" durch männliche Jugendliche. Auch der Bamberger Psychologie-Professor Herbert Selg, der führende deutsche Wirkungsforscher in Sachen Pornographie, ist überzeugt: "Aggressiv-sexuelle Inhalte steigern die Akzeptanz der Mythologie, laut der Frauen Vergewaltigungen nach anfänglichem Sträuben genießen."
Einer Emnid-Umfrage zufolge wollen 48 Prozent "der Zuschauer" (vermutlich fast nur Männer) "härtere Sexfilme" im Fernsehen sehen. Solche Zahlen beflügeln Porno-ProduzentInnen wie Beate Uhse, die im Herbst 97 bei der Medienanstalt in Berlin-Brandenburg die Zulassung von gleich drei Sexkanälen im digitalen Pay-TV beantragt hat.
Auch Premiere will vom pornographischen Multi-Media-Boom profitieren. Quasi im Testlauf für ein künftiges
Porno-Dauer-Bombardement speisten die Hamburger Pay-TV-Anbieter 1997 fünf indizierte Filme chiffriert (nur der Ton ist zu empfangen, aber das Bild nicht) ins Kabelnetz ein. Damit lösten sie einen juristischen Streit aus, der fast dem vom Anfang der 70er Jahre gleicht, als im Zuge der "Sexwelle" die Freigabe der Pornographie für Erwachsene in Deutschland zur Diskussion stand.
Damals ging es um Schmuddelhefte unterm Ladentisch, Sex-Shops in abgelegenen Seitengassen und um spermabefleckte Porno-Kinos, die kein Jugendlicher betreten durfte (zumindest nicht offiziell). Heute geht es nicht mehr um verbotenes Terrain, sondern ums eigene vermeintlich traute Heim, wo ein Decoder auf dem Fernseher steht. Und es geht um sogenannte "Sparten-Programme", die mittels der neuen digitalen Sendetechnik nur gegen Geld zu empfangen sind. Geschäftsreisenden ist das schon lange vertraut: In ihrem Hotelzimmer wählen sie einen Porno-Film aus dem reichhaltigen Angebot des Hotel-Betreibers und werden am anderen Morgen mit 10 Mark oder mehr pro Streifen zur Kasse gebeten.
Anfang der 70er stand die Frage im Mittelpunkt, wie man Kinder und Jugendliche vor den Offerten der Porno-Dealer schützt. Ende der 90er wird darüber debattiert, ob die sogenannten "Anbieter" die Verantwortung an die Eltern delegieren dürfen: Wenn die ein digitales TV-Porno-Sparten-Programm abonnieren, so argumentiert (nicht nur) Premiere, haben sie selbst dafür zu sorgen, daß die Kinder jugendgefährdende Filme nicht mit dem Decoder entschlüsseln.
Im Unterschied zu damals ist heute beim juristischen Streit um das Straf- und Medienrecht nicht länger von "Sitte und Anstand" die Rede, auch der "Jugendschutz" steht nicht mehr allein im Vordergrund. 20 Jahre nach Beginn des feministischen Protestes gegen Pornographie als "Verstoß gegen die Menschenwürde" beginnt die Erkenntnis in manchen Medien- und Politik-Kreisen zu dämmern. Nun geht es auch ihnen plötzlich um die im Grundgesetz garantierte "Menschenwürde". Und dazu heißt es im Rundfunkstaatsvertrag ausdrücklich: "Für die Rundfunkprogramme gilt die verfassungsmäßige Ordnung. Die Rundfunkprogramme haben die Würde des Menschen zu achten."
Zehn Jahre nach dem viel belächelten Vorstoß von EMMA für ein neues Pornographie-Gesetz sind sich alle einig - sogenannt Progressive wie der Ex-Chefredakteur von Premiere, Andreas Wrede, und sogenannt Konservative wie der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber -, daß die Pornographie-Definition im deutschen Strafrecht reformbedürftig sei. Nach dem geltenden Gesetzestext sind Darstellungen pornographisch, "die ihrer Gesamttendenz nach ausschließlich oder überwiegend auf das lüsterne Interesse an sexuellen Dingen beim Betrachter abzielen, dabei sexuelle Handlungen in grob aufdringlicher, anreißerischer Weise anbieten, wobei die betont hervorgehobenen Geschlechtsorgane den wesentlichen Bildinhalt darstellen".
Der geltende § 184 des Strafgesetzes, der zwischen harter Pornographie (Gewalt-, Kinder- und Sodomie-Pornos) und einfacher Pornographie unterscheidet und "die Verbreitung pornographischer Schriften" unter Strafe stellt, dient also eher dem Schutz eines allgemeinen "Anstandsgefühls" als dem der Menschenwürde.
Emma forderte schon 1988 eine andere Pornographie-Definition und eine zivilrechtliche Handhabe für Frauen, die nach dem Verursacherprinzip Schadensersatzklagen gegen Porno-Produzenten und -Händler erlaubt (siehe Seite 81). Für Feministinnen ist Pornographie keine Sprache der Lust, sondern der Macht und Gewalt. "Pornographie ist die Theorie, Vergewaltigung die Praxis" (Susan Brownmiller); "Pornographie macht Gewalt sexy" (Diana Russell); "Pornographie verletzt die Menschenrechte von Frauen" (Catharine A. Mac-Kinnon); "Pornographie ist Kriegspropaganda gegen Frauen" (Alice Schwarzer).
Schon Ende der 70er Jahre wurden die auf der Straße protestierenden amerikanischen PorNO-Kämpferinnen von den US-Pornographen als "Zensorinnen" diffamiert. Und über Emma, in Deutschland seit dem "Stern-Prozeß" 1978 im Anti-Porno-Kampf führend, wird deswegen seit 20 Jahren Hohn und Spott gegossen. Ganz rasch reihten sich sogenannte "Post"-Feministinnen in die Anti-Zensur-Front ein und beschuldigen die "Pro-Zensur-Feministinnen", sie wollten gemeinsame Sache mit christlichen Fundamentalisten machen und die "weibliche Lust domestizieren".
Auslöser der neuesten Debatte ist Catharine MacKinnons Buch Nur Worte. Darin stellt die amerikanische Juraprofessorin die Frage, ob Pornographie als "sexuelle Meinungsäußerung" unter die in den USA heilige "Redefreiheit" fällt und ein "schützenswertes Rechtsgut" ist - was MacKinnon bestreitet. Prompt hat sie die gesamte "Anti-Zensur-Bewegung" am Hals. Nicht nur in den Staaten, auch in Europa.
"Es ist das scheußlichste Buch, das ich je gelesen habe", verkündet die amerikanische Filmwissenschaftlerin Linda Williams (Autorin von Hard Core) in der linken Schweizer WoZ. "MacKinnons Feminismus ist radikal-konservativ, ein Feminismus puritanischer Herkunft", behauptet die deutsche Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken in dem Sammelband Die nackte Wahrheit. "Pornophobische Feministinnen haben beängstigend effektive Allianzen mit traditionellen politischen und religiösen Konservativen geschlossen und das sexuelle Material, das sie gern beschneiden würden, mit dem Schmäh-Etikett 'Pornographie' belegt", verbreitet die amerikanische Juraprofessorin Nadine Strossen (Autorin von Zur Verteidigung der Pornographie) via Spiegel Spezial. Und der "feministische Hardcore-Fan" Sallie Tisdale (Autorin von Talk Dirty To Me) wettert im Stern gegen die "Freudlosigkeit der Anti-Porno-Liga": "Ich will sexuell hungrige und willige Frauen sehen."
8. Juni 1994. In seiner Nacht-Show, berichtet die Münchener Abendzeitung, hat Thomas Koschwitz eine Szene aus dem Ratespiel Dingsda gezeigt. Im Original umschreiben zwei kleine Mädchen mit naiven Worten den eingeblendeten Begriff "Küssen", ohne ihn zu nennen. Koschwitz ersetzte ihn auf breiter Banderole durch "Bumsen". Daß der Moderator aus dem Kinder-Spaß einen Kinder-Porno machte, ließ sich eine Mutter nicht gefallen. "Sie verklagt RTL auf Schadensersatz", freut sich die AZ.
1. Dezember 1997. Telekom und Deutsche Postgewerkschaft unterzeichnen eine Betriebsvereinbarung, in der es heißt: "Arbeitsplatzcomputer dürfen nicht für rassistische und frauenfeindliche Aktivitäten genutzt werden." Die bundesweit erste Regelung dieser Art wurde von Gewerkschaftsfrauen erstritten.
4. März 1998. Die Süddeutsche Zeitung meldet, daß ausgerechnet in Schweden, das als erstes Land in Europa 1971 die Pornographie freigab, die Sexualverbrechen an Frauen innerhalb der letzten zehn Jahre um 80 Prozent gestiegen sind. "Ursache ist eine tiefverwurzelte Frauenverachtung", haben schwedische Kriminologen herausgefunden. Deshalb soll nun der Tatbestand des "Frauenfriedensbruchs" ins Strafgesetzbuch eingeführt werden: Nicht nur wer Frauen physisch mißhandelt, kann für sechs Jahre hinter Gitter kommen, auch "psychische Mißhandlungen" werden mit Gefängnisstrafen geahndet. Das Gesetz ist Teil einer Kampagne, mit der die Gleichberechtigungsministerin Ulrica Messing Männergewalt bekämpft.
Während der Porno-Markt boomt, formiert sich die Gegenwehr: 270.000 Unterschriften "gegen Gewalt und Pornographie im Fernsehen" lud die Landfrauengruppe des bayerischen Bauernverbandes vor der Bayerischen Staatsregierung in München ab. - 45.000 Unterschriften "gegen Gewalt und Pornographie im Fernsehen und auf Videos" haben SchülerInnen der Wegscheider Adalbert-Stifter-Volksschule gesammelt, die der 14jährige Axt-Attentäter Christian E. besuchte.
Der Detmolder Psychologe Kurt A. Richter gründete die Initiative Gewaltverzicht im Fernsehen. - Die Initiative gegen Gewalt und sexuellen Mißbrauch an Kindern und Jugendlichen bekämpft Produktion und Vertrieb von Kinderpornographie. - Die Münchner Frauen-Computer-Schule protestiert gegen die Verbreitung von pornographischer Software auf CD-Rom und empfiehlt die Installation von "laut tönenden Anti-Porno-Programmen" für Büro-PCs. "Die Menschenwürde ist anschaltbar", verkündeten 60 Medienfrauen auf einer Tagung über Programmqualität in Frankfurt.
Besonders unermüdlich streitet die Verbrauchervereinigung Medien (VVM). Sie beschwert sich bei Intendanten, sie informiert Aufsichtsbehörden, und sie alarmiert große Firmen, wenn ihre TV-Werbung in Porno- und Brutalo-Streifen läuft. Die VVM fordert ein generelles Ausstrahlungsverbot für pornographische und gewaltverherrlichende Sendungen sowie eine Sondersteuer für Sex- and Crime-Anbieter ("zur Durchsetzung des Verursacherprinzips").
VVM-Vorsitzender Edgar Weiler ist erbost über die "Verfechter des Medienliberalismus", die behaupten, dass Darstellung von Gewalt nicht zur Nachahmung anregt: "Wenn es so wäre, dass Bilder keine Auswirkung haben, könnte man die Werbung sofort einstellen." "Die Gedanken sind frei", sagt Rechtsanwalt Weiler, "aber die Medien sind dem Bereich des ausgesprochenen Wortes zuzuordnen." Nicht nur für ihn ist klar: Es ist fünf vor zwölf. "Wir müssen verhindern, dass das Wort zur Tat wird."
Cornelia Filter, EMMA Juli/August 1998