Erste Siege!

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Frau kommt nicht umhin, für diesen Sieg ein vielstrapaziertes, aber in diesem Falle zweifellos zutreffendes Wort zu verwenden: historisch! Denn jetzt ist es amtlich: Das von Frauen seit Jahren geforderte Mammografie-Screening wird endlich eingeführt. Ab dem Jahr 2005 wird jede Frau zwischen 50 und 70 alle zwei Jahre zum kostenlosen Röntgen ihrer Brüste eingeladen werden.

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Wohnen die Frauen ländlich, rollt vermutlich ein mobiler Mammografie-Bus in ihr Dorf. Aber ob auf dem Land oder in der Stadt, jede dieser Mammografien wird an einem Gerät gemacht werden, das dem neuesten Standard entspricht. Und jedes Brustbild wird von zwei unabhängigen RadiologInnen begutachtet werden, die in der Erkennung von Brusttumoren fortgebildet sind und mindestens 3.000 Mammografien im Jahr beurteilen müssen.
Auch die MTAs, die Medizinisch-Technischen AssistentInnen, bekommen eine Spezialausbildung. Ist der Befund positiv, wird ein auf Brustkrebs spezialisiertes ÄrztInnenteam gemeinsam über die beste Behandlung der Patientin beraten. Das alles wird stattfinden in mindestens 80 deutschen Brustkrebs-Zentren, in denen Anamnese, Mammografie, Diagnose, Behandlung und Nachsorge unter einem Dach versammelt sind. So jedenfalls ist der Plan.
Während Ministerin Ulla Schmidt einerseits um Einsparungen im Gesundheitswesen ringt, wird ihr andererseits die Verbesserung der jahrzehntelang vernachlässigten Früherkennung von Brustkrebs den Krankenkassen künftig rund eine halbe Milliarde Euro wert sein. Ein gesundheits- und frauenpolitischer Erfolg erster Rangordnung. Eben ein historischer Erfolg.
Doch bis der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen im März dieses Jahres endlich das Mammografie-Screening beschloss, war viel Druck nötig. Jahrelang hatten deutsche Brustkrebs-Initiativen das Screening-Programm gefordert, mit dem die Nachbarländer die Sterblichkeit der erkrankten Frauen um ein Drittel senken konnten.
Denn von allen Krebsarten ist der Brustkrebs für Frauen die tödlichste: Jede zehnte bekommt ihn in ihrem Leben, und jährlich sterben 18.000 Frauen daran – 50 am Tag. Trotzdem war Deutschland in Sachen Früherkennung lange Entwicklungsland: Unsystematische Mammografien an veralteten Geräten, durchgeführt von schlecht ausgebildeten Radiologen führten massenhaft zu – positiven und negativen – Falschbefunden: unentdeckte Tumore einerseits – rund 100.000 (!) überflüssige Operationen andererseits.
Seit 1997 kämpfen deutsche Anti-Brustkrebs-Initiativen, angeregt vom erfolgreichen Vorbild der Amerikanerinnen – und dem ersten Anti-Brustkrebs-Dossier im September in EMMA 1996 – dafür, dass die Früherkennung in Deutschland auf einen Standard gehoben wird, der in anderen Ländern seit Jahren üblich ist.
Schritt für Schritt holte die engagierte Basis Fachverbände und engagierte Politikerinnen mit ins Boot: „Ihr müsst uns jetzt Gesetze geben, damit wir Brustkrebs überleben!“ skandierten sie bei Demonstrationen, Anti-Brustkrebs-Läufen und zahllosen Protest-Aktionen im „Rosa Oktober“. Der grünen Gesundheitsministerin Andrea Fischer kippten sie gar 32.000 Protestbriefe auf den Schreibtisch.
Unter der Ägide ihrer Nachfolgerin Ulla Schmidt kam dann tatsächlich das Gesetz. Im Sommer 2002 drohten alle Bundestagsfraktionen gemeinsam dem widerspenstigen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, der schon seit sechs Jahren die Möglichkeit eines systematischen Früherkennungsprogramms „prüfte“: Entweder das selbstverwaltete Gesundheitswesen organisiert das Mammografie-Programm selbst – oder es wird qua Gesetz dazu gezwungen. Der Ausschuss beugte sich dem „eindeutigen politischen Willen“.
„Wenn das alles tatsächlich so umgesetzt wird, ist das ein Riesenfortschritt!“ freut sich Dorle Krohn von den Patientinnen Initiativen Nationale Koalition Brustkrebs, kurz PINK. Ob es so umgesetzt wird, ist allerdings noch nicht so sicher, wie es sein sollte. Schon plant Bayern den notorischen Sonderweg: Die Mammografien sollen nicht in den gesetzlich vorgeschriebenen Brustkrebs-Zentren durchgeführt werden, sondern bei den (daran sehr gut verdienenden) niedergelassenen Radiologen verbleiben. Und der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen verkündet: Die Frage, ob das Programm tatsächlich flächendeckend bis 2005 eingeführt sei, müsse man „ein Stück weit offen lassen“. Schließlich habe man es, zum Beispiel in Sachen Datenschutz, mit einer „teutonischen Bürokratie“ zu tun und müssten Tausende von ÄrztInnen und MTAs fortgebildet werden.
Deshalb wird es auch in diesem Oktober wieder im ganzen Land Protestaktionen geben. Zum Beispiel einen von PINK organisierten Anti-Brustkrebslauf von Bremen nach Berlin: „Lauf zur Venus“.
EMMA September/Oktober 2003
Adressen: www.brustkrebs24.info + koalition brustkrebs, Sömmeringstr. 8, 60322 Frankfurt, T 069/95520961 + Brustkrebs-Initiative, Holsteinische Str. 30, 12161 Berlin, T 030/85995131,

www.brustkrebs.net

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