Der § 218 soll verschärft werden!
Die Aktion war auf den Punkt getimed: Am 20. September gingen in Berlin und zwei Wochen später in München je ein paar hundert so genannte "Lebensschützer" auf die Straße und schwenkten ihre "1.000 Kreuze für das Leben". Nicht etwa für das Leben der halben Million Frauen, die Jahr für Jahr an den Folgen illegaler Abtreibungen und unsachgemäßer Geburten sterben – nein, die "Lebensschützer" wollen nur die Föten schützen. Für sie ist und bleibt Abtreibung unter allen Umständen "Mord".
Eigentlich war der Antrag im Bundestag von CDU/CSU auf Verschärfung des § 218 in Sachen "Spätabtreibungen" für Mitte Oktober geplant gewesen. Doch dann meldeten sich überraschend Stimmen aus der SPD: Wir sind vielleicht dabei.
An dieser Stelle sei daran erinnert: Die Abtreibungszahlen in Deutschland gehen allgemein unaufhaltsam zurück (was an der vermehrten Aufklärung, Verhütung und Selbstbestimmung der Frauen liegt). Im Jahr 2007 gab es noch genau 116.871 Abtreibungen in Deutschland – davon 229 Spätabtreibungen (also nach der 23. Woche). Ihre rechtliche Basis: die medizinische Indikation. Sie gilt nur bei (Lebens-)Gefahr für die Mutter. Die "eugenische Indikation" für den Fall der Behinderung des Fötus wurde klammheimlich gestrichen.
80 Prozent der im Jahr 2007 spätabgetriebenen 229 Föten wären übrigens noch nicht einmal lebensfähig gewesen. Bleiben also 46 Spätabtreibungen im Jahr 2007, über die die Anhänger einer Verschärfung des Abtreibungsrechts jetzt rechten.
Wer nun glaubt, die Aufregung von Politik und Lebensrechtlern sei angesichts solcher Zahlen ein Missverständnis, irrt. Denn bei dieser Debatte um das Recht auf Spätabtreibung ist in Wahrheit das gesamte Recht auf Abtreibung im Visier. Genau darum begrüßte die Vorsitzende des "Bundesverbandes Lebensrecht", Claudia Kaminski, auf ihrer Homepage auch die Initiative des familienpolitischen Sprechers der CDU/CSU, Johannes Sing- hammer, mit den Worten: "Unsere Forderungen gehen zwar deutlich weiter, doch ist der Entwurf der Unionsabgeordneten in seiner jetzigen Form ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung."
Die Lebensrechtlerin kann jetzt auch der SPD gratulieren, zumindest einigen SozialdemokratInnen. Sie haben nämlich unter Führung von Ex-Frauenministerin Renate Schmidt und Fraktionschef Peter Struck im September signalisiert, dass sie erwägen, sich dem Antrag der CDU/CSU auf Verschärfung des § 218 anzuschließen.
Zur Erinnerung: Der deutsche § 218 ist schon heute eines der Schlusslichter im europäischen Recht. In den meisten Ländern gilt die Fristenlösung, also das Recht der ungewollt Schwangeren auf Abbruch in den ersten drei Monaten. In Deutschland jedoch haben die Frauen bis heute kein Recht auf Abtreibung, sondern nur die Gnade: Sie müssen darum bitten. Von Anfang an war klar, dass dieses Konstrukt, je nach Zeitgeist, auf sehr schwankenden Füßen steht, und gewisse Konservative bei der ersten guten Gelegenheit versuchen würden, zur guten alten Entmündigung der Frauen zurückzukehren. Diese Gelegenheit scheint jetzt gekommen zu sein. Dass allerdings nun auch Sozialdemokraten aktiv dabei mitwirken würden – das ist eine Überraschung. Sie wollen nun am 11. November ihre Haltung zu den Spätabtrei- bungen entscheiden: entweder die SPD ist geschlossen gegen die Verschärfung – oder einzelne SozialdemokratInnen stimmen mit der CDU/CSU.
Das SPD-Fachgremium zur Frage der Spätabtreibung hatte allerdings ausdrücklich von einer Gesetzesänderung abgeraten. Zu der Arbeitsgruppe gehören die frauenpolitische Sprecherin Caren Marks sowie die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Christel Humme. Und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ist an ihrer Seite. Diese Genossinnen halten eine Gesetzesänderung für "ganz und gar überflüssig" und die ganze Debatte für "stark ideologisiert". Humme hofft, dass "nur einzelne SPD-Abgeordnete für den Singhammer-Entwurf stimmen würden". Denn sie findet das Ganze skandalös: "Die CDU behauptet, die Frauen würden es sich einfach machen. Eine solche Unterstellung ist gerade im Fall der Spätabtreibung furchtbar."
In der Tat hatte die Vorsitzende der CDU-Frauenunion, Maria Böhmer, nichts besseres zu tun, als den marschierenden LebensrechtlerInnen ein herzliches Grußwort zu schicken. Darin heißt es u.a., die Spätabtreibungen seien "seit Jahren eine unhaltbare Situation" und der Schweigemarsch setze "ein wichtiges Zeichen für das Leben".
Denn, so Böhmer: "Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass der Schutz, insbesondere des behinderten ungeborenen Lebens, unzureichend ist." Was will uns die Vorsitzende der CDU-Frauen damit sagen? Dass Schwangere in diesem Stadium leichten Herzens abtreiben? Übrigens: In den USA haben die christlichen Fundamentalisten, die so genannten "Lebens- rechtler", inzwischen erreicht, dass die Abtreibung, dieser weltweit häufigste medizinische Eingriff bei Frauen, nicht mehr gelehrt wird. Nur alte Ärztinnen und Ärzte, die noch die verblutenden Frauen auf dem Tisch hatten, sind weiterhin dazu bereit. Und Hilfsorganisationen in der dritten Welt, die Verhütung propagieren oder Schwangerschaftsabbrüche befürworten, erhalten keine Gelder mehr von Amerika. Auch die EU kürzte die Entwicklungshilfe für Familienplanung in den letzten Jahren um mehr als die Hälfte. Was bedeutet: Noch mehr Elend, noch mehr Tote. Bis jetzt nur in den Entwicklungsländern. Bis jetzt.