Ihr Kreuzzug gegen Emanzipation

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Nur wenige Tage nach den Selbstmordattentaten in New York und Washington predigte Billy Graham, auch "das Gewehr Gottes" genannt, live in der Kathedrale der US-Hauptstadt für sein Millionen-TV-Publikum. Seine einpeitschende Rede gipfelte in folgender Behauptung: Wenn man die amerikanischen Opfer der Attentate vor die Wahl stellen könnte, auf die Erde zurückzukehren oder im Paradies zu bleiben - dann würden sie sich gewiss für Letzteres entscheiden. "Niemandem fiel auf, dass die Terroristen das auch gedacht haben müssen", wunderte sich Irene Dische in der "Zeit".

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Nicht nur Billy Graham zeigt Verständnis für die Selbstmordattentäter – auch sein Glaubensbruder Jerry Falwell predigt einfühlsam im eigenen Fernsehsender, der täglich von 15 Millionen ZuschauerInnen eingeschaltet wird: Die Zerstörung des World Trade Centers sei "eine Strafe Gottes, weil Amerika Homosexualität und Abtreibung" duldet. "Er gab "den Heiden und den Abtreibungsbefürwortern und den Feministinnen und den Schwulen und Lesben" die Schuld, "die versucht haben, Amerika zu verweltlichen".

"Ich stimme Ihnen völlig zu", antwortete sein Bruder im Geister, der populäre TV-Evangelist Pat Robertson. Mit seiner "Christian Coalition" zog der fundamentalistische Christ – ganz wie die fundamentalistischen Moslems – Anfang der 90er in einen heiligen Krieg gegen Frauen, "die ihre Männer verlassen und ihre ungeborenen Kinder töten". Denn wie bei den Koranschülern ist auch bei den Evangeliumstreuen die emanzipierte Frau Feindbild Nummer 1. Und nicht selten gleichen sich die Werte und Ziele der schriftgläubigen Glaubenskrieger beider Religionen wie Zwillinge.

Der mit Präsident Bush befreundete Jerry Falwell gründete 1979 die christliche Fundamentalistenbewegung "Moral Majority". Diese moralische Mehrheit unterwanderte seither die Republikaner, die heute mit Präsident Bush an der Macht sind. Doch diese "von Gott gesandten" LebensschützerInnen begnügen sich in den USA schon lange nicht mehr mit dem legalen Marsch durch die Institutionen. Wie die islamischen Fundamentalisten schritten auch die christlichen längst zur Tat: Morddrohungen, Brandanschläge auf Abtreibungskliniken, ja sogar gezielte Exekutionen.

Im März 1993 wurde der Abtreibungsarzt David Gunn in Pensacola (Florida) erschossen. Ein Jahr später, wiederum in Pensacola, starben der Gynäkologe John Brittin und sein Bodyguard durch die Hand eines christlichen Terroristen. Der Täter Paul Hill, ein ehemaliger katholischer Priester und führender Kopf der "Defensive Action", hatte kurz vor der Tat in einem Brief an den Kongress gedroht: "Mitglieder der nationalen Frauenorganisation und anderer Pro-Abtreibungs-Organisationen werden aufgespürt und ausgelöscht wie Ungeziefer."

Die tödliche Kugel eines Heckenschützen traf Dr. Barnett Slepian am 23. Oktober 1998 in seinem Haus in Amherst, einem Vorort von Buffalo im Norden des Staates New York. Der durch das Küchenfenster gefeuerte Schuss tötete den Abtreibungsarzt vor den Augen seiner Frau und seiner vier Kinder. Slepian ist seit 1993 das bislang letzte von sieben Mordopfern militanter Anhänger der selbst ernannten "Lebensschützer" in den USA.

Inzwischen werden die lebenden Zielscheiben knapp, da in Amerika kaum noch ÄrztInnen bereit sind, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Jetzt fängt der blutige Terror in Australien an. Im Juli 2001 starb in einer Melbourner Abtreibungsklinik der Wachmann Steve Rogers im Kugelhagel eines fanatischen Amokschützen. Zwei andere Wachmänner verhinderten ein Massaker, weil sie den wild um sich schießenden "Lebensschützer" rechtzeitig überwältigen konnten.

In Europa wird (noch) nicht scharf geschossen. Dennoch stehen Arztpraxen und Kliniken, in denen ungewollt schwangeren Frauen geholfen wird, unter fundamentalistischem Dauerbeschuss. In Deutschland kam der christliche Fundi-Terror mit der üblichen leichten Verzögerung der US-Trends über den Ozean geschwappt.

Seit 1993, als Friedrich Stapf in München seine Abtreibungspraxis eröffnete, demonstrieren dort an jedem 25. Tag eines Monats bis zu 100 LebensschützerInnen. Nicht nur den Arzt belästigen die Männer und Frauen vor seinem Fenster, die ihre Gebete murmeln und mit den Rosenkränzen rasseln. Auch seine Patientinnen müssen sich einen Weg bahnen durch die FanatikerInnen und das Gezischel anhören: "Wir warnen Sie: Gehen Sie nicht zu Dr. Stapf!" oder gleich: "Mörderin!"

Im Jahr 2000 haben die selbst ernannten "Lebensschützer", die treffender "Frauenquäler" hießen, gleich um die Ecke ein Büro bezogen. Im Schaufenster des "Lebensschutzhauses" stellen sie Bilder von blutigen Föten aus, die in ihrem Jargon "8-Wochen-Babies" heißen.

Auch vor einer Gemeinschaftspraxis im Kölner Stadtteil Niehl – ein Steinwurf entfernt von Moscheen, in denen ebenfalls der Frauenhass gepredigt wird – beteten Anfang September etwa 50 Männer und Frauen für das "Lebensrecht ungeborener Kinder". Das sei nur der "Auftakt einer Kampagne", berichtete Bild, die auf ganz Nordrhein-Westfalen ausgedehnt werden soll.

Und dabei handelt es sich keinesfalls um verrückte Einzeltäter. "Der gefährlichste Ort für ein Kind ist der Mutterleib", hetzt die deutsche Stiftung "Ja zum Leben". Stiftungspräsidentin Johanna Gräfin von Westphalen ist gleichzeitig Bundesvorsitzende der "Christdemokraten für das Leben" (CDL). Die Ja zum Leben-Stiftung residiert in Haus Laer im sauerländischen Meschede. Das liegt in Nordrhein-Westfalen, aber "genehmigt und als gemeinnützig anerkannt" wurde die Stiftung vom Bayerischen Innenministerium.

In Haus Laer ist auch die Arbeitsgemeinschaft Lebensrecht untergebracht. Der AGL gehören insgesamt 13 deutsche Lebensschützer-Vereinigungen an: konfessions- und parteiübergreifend. Dieses Verwirrspiel verschleiert, dass hinter den vielen Organisationen, die eine Massenbewegung vortäuschen sollen, nur wenige Personen stecken. Aber die gehören zu der christlichen Elite, die in Deutschland einen quantitativ ganz und gar unangemessen großen Einfluss auf Politik und Medien hat.

Wer wohl hat erreicht, dass heute in Deutschland auch fortschrittliche Menschen kaum mehr von "Föten" oder "Embryonen" sprechen, sondern von "Kindern" – inzwischen sogar ohne den Zusatz "ungeboren"? Wer zwang den deutschen Chemiekonzern Hoechst, die teuer erkaufte Lizenz für die Abtreibungspille RU 486 an die französischen Lizenzgeber zurückzuschicken? Und wer war es wohl, der die katholische Lebensschützer-Organisation Human Life International (HLI) am 14. März 1998 in das Kölner Nobelhotel Holiday Inn einlud: zur hochkarätig besetzten Konferenz "Leben & Familie" – der ersten dieser Art in Deutschland?

"Abtreibung ist ein Verbrechen, dass Unschuldige auf die scheußlichste Art hinrichtet!", verkündete der Hauptredner in Köln ins Mikrophon – seine Eminenz Alfonso Kardinal López Trujillo: seines Zeichens Präsident des Päpstlichen Rates für die Familie im Vatikan. Von "industriell organisierten Abschlachtungen" war da die Rede. Von "Wesen im Bauch einer Frau", die "wissenschaftlich nachgewiesen Kinder sind". Von den "Wurzeln des moralischen Verfalls", der in der "Akzeptanz der Verhütung" liege.

Der Kurien-Kardinal Trujillo ist einer der mächtigsten Männer am Heiligen Stuhl. Er war schon Intimus von Johannes Paul II., als der noch kein Papst war. Und er ist ein Sympathisant des Opus Dei (Werk Gottes), wenn nicht gar ein Mitglied dieser "einflussreichsten und gefürchtetsten Organisation" (Newsweek) innerhalb der katholischen Kirche. Und eben dieses Opus Dei kontrolliert unter anderem den Päpstlichen Rat für die Familie.

"Wenn der Streit um Verhütung, Abtreibung und die Rolle der Frau eine Militäraktion wäre", mutmaßt der britische Kirchenkenner Gordon Urquhart, dann "wäre der päpstliche Rat für die Familie die Kommandozentrale."

Unter der Befehlsgewalt dieser Kommandozentrale steht auch der zwangspensionierte Geografie-Professor Dietmar Fischer, der von Wien aus den "Baby-Holocaust" in ganz Österreich sühnen will. Der selbst ernannte Rächer ist Vorstandsmitglied von Human Life International (HLI) und verfügt über "einen schlagkräftigen, straff organisierten Apparat": "Mehr als 6.000 Mitglieder und Gönner bescheren dem Verein jährlich rund elf Millionen Schilling Spende." (News).

Bei dem heiligen Krieg, den fundamentalistische  ChristInnen gegen die "Ungläubigen" in ihren eigenen Reihen führen, sind islamistische Gotteskämpfer selbstverständlich als Kombattanten willkommen. "Muslime gegen die Beleidigung Jesu!", jubelte jüngst das HLI-Magazin "Für Leben und Familie". Anlass: "In England haben Muslime eine Todesstrafe (Fatwa) gegen Terence McNally ausgesprochen. Er ist Autor des Theaterstücks ‚Corpus Christi’, in dem Jesus als Homosexueller dargestellt wird." Ayatollahs  aller Länder, vereinigt euch.

Cornelia Filter, EMMA 6/2001

Zum Weiterlesen:

Kippt Merkel die § 218-Reform? (2/09)

Der § 218 soll verschärft werden (6/08)

Dossier: Recht auf Abtreibung in akuter Gefahr! (6/06)

Das Ende der Aufklärung (1/05)

Die "Army of God" auf dem Vormarsch (2/03)

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