Katharina Wackernagel: Die Antwort auf

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Joe, die Boxerin, die sich nicht k.o. schlagen lässt, ist eine Rolle so richtig nach dem aufmüpfigen Herzen von Katharina Wackernagel.

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Wenn Katharina Wackernagel früher ein Exhibitionist über den Weg lief, "was mir komischerweise öfter passiert ist", dann hat sie immer verschämt auf den Boden geguckt und sich unauffällig an dem Mann vorbeigedrückt. Jüngst meinte wieder einer, sich in einer Berliner U-Bahn vor der Brünetten entblößen zu müssen. Diesmal ist Katharina Wackernagel explodiert. "Ich hab den Typen angeschrieen und gebrüllt, er soll sich verpissen. Und das hat der dann auch gemacht."
Den Unterschied zwischen früher und heute macht eine elementare Erfahrung: Katharina Wackernagel hat Boxen gelernt. Seit sie die Rolle der 'Boxerin' in der Tasche hatte, knallte die 27-jährige Schauspielerin viermal die Woche ihre Fäuste gegen Ledersäcke und lernte, ihre klassische weibliche Schlaghemmung zu überwinden. Mit Erfolg.
Bei Johanna, ihrer 19-jährigen Filmfigur, ist das anders. Die hat gar keine Schlaghemmung. Und das nicht nur, weil das Leben in der Eberswalder Einöde zum Reinschlagen ist. Johannas Vater war Preisboxer. Jetzt ist er tot und die Mutter vögelt mit dem Dorfmetzger, der dafür ein paar Euro oder Koteletts rausrückt. Der vermatschte Hof steht kurz vor der Zwangsversteigerung. Jobs gibt es keine und wenn doch, dann ist Johanna, genannt Joe, sie wegen Renitenz postwendend wieder los. Die Dorftussen behaupten, Joe wäre lesbisch. Der einzige Hoffnungsschimmer sind die Boxhandschuhe, die Joe’s Vater hinterlassen hat: "Für Johanna, meinen Sohn". Wie Joe das Erbe des Vaters annimmt, sich gegen alle Widerstände durchkämpft und dabei tausendmal vor die Wand rennt – das spielt Katharina Wackernagel einfühlsam und beeindruckend intensiv. Katharina mag Joe, sehr sogar. "Ein Mädchen, das wegen ihres burschikosen Auftretens nicht als Mädchen akzeptiert ist und sich im wahrsten Sinne des Wortes durchboxt – das fand ich toll!"
Das erste Mädchen, das Katharina Wackernagel spielen durfte, hieß Tanja. Tanja lebte mit ihrer ganz normalen Familie in Warnemünde, sah ganz normal aus und musste sich zwischen 1997 und 1999 in der ARD mit ganz normalen Pubertätsproblemen herumschlagen. Genau dafür liebten sie Millionen normale Mädchen, die es nicht gewohnt waren, sich selbst im Fernsehen zu sehen. Ihre 17-jährige Darstellerin bekam den 'Goldenen Löwen' als beste Serienschauspielerin.
Katharina mag auch Tanja sehr. Heute mehr denn je, denn Tanja durfte etwas, was, wie Katharina findet, junge Mädchen heutzutage nicht mehr dürfen: in Ruhe erwachsen werden.  "Wenn ich sehe, wie die Mädchen zugeballert werden und was sie alles sein müssen: dünn, sexy, erfolgreich. Die haben ja überhaupt keinen Raum mehr, rauszufinden, wie sie wirklich sein wollen!"
 
Die Jungschauspielerin Wackernagel hatte damals noch genügend Raum gehabt, sich in kein festgelegtes Frauenbild zwängen zu lassen. Als ein Regisseur sie für einen Fernsehfilm mehrere Kilo magerer wollte, zeigte ihm die Schauspielerin einen Vogel. "Wenn die Rolle es verlangt, kann ich zehn Kilo abnehmen oder 20 Kilo zunehmen, die Professionalität dazu habe ich. Da ich aber keine Magersüchtige spielen sollte, hab ich das nicht eingesehen." Außerdem: "Es hätte schließlich auch niemandem genützt: Ich hätte ja die ganze Zeit Hunger und schlechte Laune gehabt."
     
Vielleicht wird Wackernagel auch deshalb so gern für historische Rollen besetzt, weil sie diese fast altmodische Bodenständigkeit und Robustheit besitzt. Zum Beispiel als 60er-Jahre-Krankenschwester im 'Wunder von Lengede' oder als 50er-Jahre-Reporterfrau im 'Wunder von Bern'. Oder als Ilse Anger, die 1945 von russischen Soldaten vergewaltigt wurde, im Dokudrama 'Die letzte Schlacht'.
Und vielleicht nimmt sich die heute 27-jährige Katharina Wackernagel auch deshalb so viel branchenunübliche Freiheit, weil sich schon ihre Mutter Ungewöhnliches herausnahm: Die Schauspielerin am Kasseler Staatstheater lebt mit zwei Männern und ihre Tochter folglich "mit zwei Vätern". Während Vater Valentin Jeker, Katharinas leiblicher Vater und Regisseur, beruflich viel unterwegs war, war Erich Grosch, von Beruf Lehrer, der Familienvater. Für Tochter Katharina ist Mutter Sabine "auf alle Fälle ein Vorbild", wenn auch nicht zwingend wegen der zwei Männer. "Aber wie sie das mit Kindern und Beruf alles geschafft hat, das bewundere ich."
Katharina sprang schon als Sechsjährige auf den Brettern der Kasseler Kindertheaterbühnen herum, und mit 14 auf denen des Staatstheaters, das einen 'Jugendclub' zur Nachwuchsförderung hatte. Mit 17 kam dann schon 'Tanja'.
Und jetzt also 'Die Boxerin'. Die klingt ein bisschen nach 'Million Dollar Baby'. "Aber in 'Million Dollar Baby' ist die Frau am Anfang Opfer und am Ende ist sie wieder Opfer. Joe ist das nicht." Sagt ihre Darstellerin, die mittlerweile Exhibitionisten in die Flucht schlägt.
 

 

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