Adieu, Woody Allen
Ich konnte Mia Farrow noch nie leiden. Diese kattun-röckige Mütterlichkeit. Diese zwanghafte Gebär- und Adoptierfreudigkeit. Dieses demonstrative Familienglück. Und ausgerechnet auf die fiel Woody Allen rein, mein so komischer Anti-Held. Mit gemischten Gefühlen sah ich ihn seither als Teil dieser alternativen Trapp-Familie durch die Straßen und Studios von Manhattan ziehen. Seine immer sentimentaler werdenden Filme dokumentierten das späte Glück dieses alternden Heimatlosen, der doch noch ein Heim gefunden zu haben schien.
Und jetzt das. Eines der aufschlussreichsten Lehrstücke im Geschlechterclinch zwingt mich zum Umdenken. Diese Parabel vom großen Regisseur mit dem kleinen Mädchen erzählt uns vom Bankrott des neuen Vaters und der freien Beziehungen. Wie haben wir dafür gekämpft, dass Gefühle nicht nur zählen, wenn sie staatlich besiegelt sind; und als Familie nicht nur gilt, was durch Blutsbande verknüpft ist!
Heute heiraten immer weniger Paare, und die Mehrheit aller Kinder muss damit rechnen, über weite Teile ihrer Kindheit mit mindestens einem nicht-biologischen, also einem sozialen Elternteil aufzuwachsen; seltener nach Adoption und meist nach Scheidung oder Trennung. Woody Allen war so ein sozialer Vater. Er hat elf Jahre lang öffentlich den alternativen Vater für alle Kinder dieser Familie gemimt, hat selbst ein Kind von Farrow bekommen und die zwei einzigen noch "vaterfreien" Kinder adoptiert.
Soon Yi ist wohl nur zufällig nicht auch auf dem Papier seine Tochter, denn sie war schon von seinem Vorgänger adoptiert worden. Im Leben aber war auch sie zehn Jahre lang Allens Tochter. Farrow entdeckte das Verhältnis im Januar, machte es aber erst im August öffentlich - sie reagierte damit auf Allens Sorgerechtsklage für den gemeinsamen Sohn Satchel und die beiden gemeinsamen Adoptivkinder (darunter auch Dylan).
Erst nach dieser Enthüllung gestanden die beiden ihr Verhältnis. Allen sieht "überhaupt kein moralisches Problem", und Soon Yi zeigt sich an seiner Seite triumphierend der Presse. Da ist kein Zögern, kein Wort des Bedauerns, kein Mitleid und auch keine Scham. Wie skrupellos ist der 56-jährige Allen? Und wie kaputt ist die 20-jährige Soon Yi?
Als Mia Farrow das Kind auf der Straße auflas (in einem Land, das amerikanische GIs zum ersten der internationalen Bordelle in Nahost machten), da hatte Soon Yi bereits sechs, sieben Jahre auf der Straße vegetiert. Niemand weiß, was die Kleine schon alles über sich ergehen lassen musste. Bald darauf schrieb ihre neue Mutter über das Mädchen: "...sie lernt, dass man Menschen vertrauen kann." Leider scheint sie nicht gelernt zu haben, dass Menschen auch ihr vertrauen können müssen...
Der berühmte alternde Regisseur und die unbekannte blutjunge Studentin begannen ihr Verhältnis wohl nicht zufällig mit einem Bündnis gegen Mia Farrow. Er selbst erzählt in einem seiner zahllosen Interviews, sie habe sich beim ersten gemeinsamen Ausgehen über die Mutter beschwert. Die Aggression gegen Farrow scheint also der Beginn der Komplizität zwischen den beiden gewesen zu sein.
Allerdings: Das Mädchen ist von Mia gewählt worden, der Mann aber hat sich frei für Mia entschieden. Und es scheint gerade ihr Lebensmodell, diese große unkonventionelle, kinderreiche Familie gewesen zu sein, die ihn anzog. Doch das war einmal. Jetzt ist er's leid. Er geht - nicht ohne noch eine Bombe zu werfen. Sie bleibt zurück: tief gedemütigt, um eine Tochter ärmer und verantwortlich für die verbleibenden acht schwer verunsicherten Geschwister von Soon Yi. Allen und Farrow konnten es sich moralisch wie materiell leisten, unverheiratet zu sein und in zwei Wohnungen zu leben, diesseits und jenseits des Central Parks.
Ihr Lebensmodell war zum Vorbild für das fortschrittliche Amerika geworden. Ihr Scheitern muss eine Warnung für alle sein. Müssen Mütter aus dem Fall Allen den Schluss ziehen, dass soziale Väter gefährlich sind? In der Tat zeigen neue Statistiken: der sexuelle Missbrauch kommt in Pflegefamilien noch häufiger vor als in "Bluts"familien. Sicher, auch biologische und verheiratete Väter vergreifen sich an ihren Kindern, aber sie tun es wenigstens nicht triumphierend und im Licht der Öffentlichkeit. Und sie können weniger auf die offene Sympathie der new boys und ihrer girls rechnen.
Federführend waren hierzulande mal wieder taz und Spiegel. In dem Berliner Alternativ-Blatt durfte ein Ulf Erdmann Ziegler schwärmen: "Allen ist für die gesamte Linke Europas ein unumstrittener, bewunderter Star, ein phantastischer, erfolgreicher Autorenfilmer, der Strindberg und Ibsen begriffen und transportiert hat." Und Genies dürfen bekanntlich alles. Jenseits von Schuld und Sühne.
"Der Mann hat meine Sympathie", jubelte einige Tage später Christel Dormagen (auch konkret, ehemals Courage) in einem Interview mit Katharina Rutschky, der Vilar des alternativen Mannes und Spezialistin zum vielstrapazierten Schlagwort vom "Missbrauch des Missbrauchs". Da kann auch der große Bruder mitreden. Die Spiegel-"Expertin", eine Psychologin namens Marie Luise Kluck, rapportiert: "Auch bei uns tauchen immer häufiger Missbrauchsvorwürfe auf, wenn erbittert um das Sorge- und Besuchsrecht gestritten wird." Und das geht, laut Kluck, dann so: "Wenn eine Mutter die Missbrauchskarte zieht, kann sie ihre Interessen sehr viel leichter durchsetzen, weil die Beweislage äußerst schwierig ist." Die Missbrauchskarte. Dabei "fällt auf, dass es nur in relativ wenigen Fällen auch zur strafrechtlichen Anzeige (gegen den Vater) kommt." - Warum wohl, Frau Psychologin?
Die armen Väter. Auch "Woody Allen liebte nichts mehr als seinen privaten Frieden", weiß Hellmuth Karaseck (der sich zuletzt als Befürworter der "Babyficker" profilierte). Der Spiegel-Autor bedauert, dass Allen von der "Öffentlichkeit auf das grässlichste eingeholt und an den Pranger gestellt" wurde. Bei einer so privaten Lappalie. Schuld daran ist natürlich diese Farrow (schuld sind immer die Ex-Frauen, nur scheinen die Noch-Frauen nicht zu begreifen dass sie die Ex von morgen sind). Farrow "soll" nach der Entdeckung der Aktfotos "ihre Stieftochter monatelang terrorisiert haben", kolportiert Karasek und seufzt: "Der Kinogänger mag (nachträglich) ahnen, wie schwer dieser Liebes- und Vertrauensbruch Allen zugesetzt hat."
Die Kinogängerin ahnt. Sie ahnt, wie unzumutbar die Belastung für den Regisseur gewesen sein muss während der Dreharbeiten zu seinem letzten Film mit Farrow (mit dem sinnigen Titel 'Ehemänner und Ehefrauen') vor seiner Frau das Verhältnis mit der gemeinsamen Tochter verbergen zu müssen - vor allem da Soon Yi fast permanent mit im Studio war. Und die Kinogängerin freut sich, dass Produzent Allen und sein Verleih sich kurzfristig entschlossen haben, diesen Film zwei Wochen früher als geplant zu startenten. Bei der PR. Dürfen wir hoffen, dass im nächsten Geniestreich von Allen Soon Yi eine tragende Rolle spielt?
Nein, in Wahrheit überrascht mich das alles nicht sonderlich. Aber weh tut es dennoch. Denn Woody Allen ist nicht irgendeiner. In seinem letzten, in Europa ganz unverstandenen Film ('Schatten und Nebel') ging es dem 1935 geborenen Juden um die Kälte des Holocaust. Die Frauen schnitten, wie meist kläglich ab; die Bordellszene war grob und reaktionär. Ich machte die Augen zu. Ich hatte keine Lust, mir auch noch den Film verderben zu lassen.
Jetzt aber kann ich die Augen nicht länger schließen. Adieu, Woody Allen.
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