Honduras: Ein Leben zählt nicht mehr

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Sie hören nicht auf, weder die Morde, noch die Einschüchterungen, noch die Misshandlungen.“ Sie wirkt müde beim Aufzählen der Verbrechen, die in ihrem Land seit dem letzten Sommer stattgefunden haben. Und weiter stattfinden. „Ich bin es satt, ständig aufs Neue zu hören, dass wieder irgendwo eine Leiche gefunden wurde.“ Karla Lara schüttelt den Kopf, die schwarzen Locken wippen mit.

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„Anfang Februar war es Vanessa Zepeda.“ Sie war 29. Mutter von drei kleinen Kindern. Gewerkschafterin und Aktivistin im Widerstand gegen den Putsch. Aus einem fahrenden Auto wurde ihre Leiche am Stadtrand von Tegucigalpa abgeworfen. Vermutlich ein politischer Mord. Sicher weiß man es nicht, die Mörder hat niemand gesehen.

Mord gehört in dem kleinen mittelamerikanischen Land Honduras schon seit Jahren zum Alltagsgeschehen. „La vida no vale nada“ – das Leben zählt nicht viel, das galt schon vor dem Putsch und seither noch viel mehr. Seit im Juni vergangenen Jahres schwer bewaffnete Militärs den gewählten Präsidenten des Landes, Jose Manuel Zelaya, aus seinem Wohnhaus holten und ins Ausland verschleppten, wird die Liste der ­Todes­opfer unter denjenigen, die sich gegen diesen Putsch wehrten, immer länger.

Weit über 4000 Fälle von Menschenrechtsverletzungen notierten internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International in Honduras. Neben den Mor­den, Misshandlungen, Folterungen, Verschleppungen, illegalen Hausdurch­suchungen, Schließung von Radio- und Fernsehstationen auch immer wieder sexuelle Gewalt gegen Frauen.

Unter solch repressiven Bedingungen wurde Ende 2009 gewählt und der konservative Politiker Porfirio Lobo übernahm Anfang des Jahres die Präsidentschaft. Nationale Versöhnung gehört zu seiner Agenda, verkündet er seither. Er braucht dringend internationale Anerkennung für dieses politisch zerrüttete Land.

Doch die Ereignisse im Land sprechen keine versöhnliche Sprache. Putschpräsident Micheletti und die beteiligten Militärs werden verschont. Die Gewalt gegen die GegnerInnen des Putsches, die AktivistInnen des breiten nationalen Widerstandsbündnisses und die MenschenrechtsverteidigerInnen geht ungebrochen weiter. Nach wie vor werden Menschen umgebracht, entführt, gefoltert, verfolgt und mit dem Tode bedroht. Allein von Mitte Februar dieses Jahres bis Mitte August wurden zehn JournalistInnen umgebracht.

„Auch wenn unsere Schreie momentan nicht gehört werden, sind sie wichtig!“ Die 41-jährige Karla Lara ist eine alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Und sie ist eine bekannte Sängerin. Sie hat zwei CDs produziert und unzählige Konzerte im Nationaltheater oder auf allen möglichen Bühnen des Landes gegeben. Seit dem Putsch beteiligte sie sich bei den „KünstlerInnen im Widerstand“. Sie war auf den Demonstrationen gegen den Putsch. Mit ihren älteren Kindern, den Schwestern, den Feministinnen im Wider­stand, den FERs, die sich noch am Tag des Putsches zusammenschlossen.

„Wir waren mit die ersten, die lauthals protestiert haben, gegen den Staatsstreich und gegen Gewalt gegen Frauen,“ erzählt Gilda Rivera, die Leiterin des Frauenrechtshilfebüros CDM. Sie gehört zu den Geburtshelferinnen der feministischen Bewegung in Honduras, die seit Jahrzehnten in diesem stark machistisch ­geprägten Land daran arbeitet, Frauen­themen auf die Tagesordnung zu setzen: häusliche Gewalt, Arbeitsrechte, Sexualität und die damit verbundenen Themen wie Verhütung oder Abtreibung.

Was für Karla selbstverständlich ist, provoziert viele. Auch die Männer im Bündnis. „Warum müssen die Feministinnen jetzt auch Parolen für die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs an die Wand schreiben und brechen damit aus der Hauptlinie aus?“ kritisiert ein Freund. „Warum nicht?“ fragt die Sängerin zurück. „Wen stoßen wir damit vor den Kopf, der es nicht verdient hätte, vor den Kopf ­gestoßen zu werden?“

Als eine der ersten Aktionen verbot die Putschregierung einen Tag nach dem Sturz Zelayas die Nutzung und den Verkauf der „Pille danach“. „Die Übernahme des nationalen Fraueninstituts durch die Putschisten konnten wir leider nicht verhindern. Wir wurden einfach geräumt.“ Gildas Augen funkeln vor Wut. Schließlich waren sie es, die in der Folge der Weltfrauenkonferenz von 1995 dieses Institut erkämpft hatten. Eine Kampfansage gegen die Errungenschaften der Frauenbewegung.

„Wir wussten sehr schnell, was dieser Putsch für uns bedeuten wird“, erinnert sich Gilda an den Beginn der massiven Repres­sion. Der aber auch zum Beginn einer breiten, einer beständig wachsenden sozialen Bewegung wurde. Mit den Frauen als tragende Kraft. Sie organisieren heute Veranstaltungen und benennen die Gewalt bei Verhaftungen oder Verschleppungen. An die OAS – Organisation Amerikanischer Staaten – überreichte die FER im November einen Bericht über die Menschenrechtssituation der Frauen in Honduras seit dem Putsch.

Gilda lädt oft zu Treffen der FER ein. Wenn sie zusammen kommen, dauert es, bis zur Tagesordnung übergegangen werden kann. Da schwirren viele kleine Geschichten aus dem widerständischen Alltag über die Tische, erfüllen den Raum mit sprudelndem Leben. Knapp 20 Frauen sitzen da meist zusammen. Die Älteste mag Mitte 60 sein, die Jüngste grade mal 17 Jahre. Es sind Universitätsprofessorinnen, Studentinnen, Anwältinnen, Mitarbeiterin­nen von NROs oder Frauenprojekten.

Allgegenwärtige Korruption, schamlose Bereicherung und Leichen pflastern ihren Weg – das könnten Titel für Reportagen über Honduras sein. Ein Land in dem rund zwei Drittel der rund 7,6 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben und davon noch mal rund die Hälfte von „Tortilla und Salz“. Ein Land, in dem ein Großteil der Menschen schon seit Generationen seinen Nachkommen nichts weiter vererben kann, als die Unterernährung.

Gleichzeitig ist der unsägliche Reichtum einiger weniger Honduraner unübersehbar, wird er doch schamlos zur Schau gestellt. Dafür ist Lateinamerika bekannt, aber die Kluft, die sich in Honduras zwischen Arm und Reich auftut, ist selbst für Lateinamerika extrem. Und auf dem Land sind noch immer 20 Prozent Analphabeten.

Mit dem Putsch bestrafte die honduranische Oligarchie die Regierung Manuel Zelayas, die es wagte, die Machtstrukturen der nationalen Elite neu mischen zu wollen, den Mindestlohn deutlich erhöhte und auch Honduras ins linke lateinamerikanische Wirtschaftsbündnis ALBA führte. Sie suchte den Kontakt zu den sozialen Bewegungen des Landes. Das brachte die Oligarchen auf den Plan, sie putschten. Karla Lara seufzt tief. „Sich gegen diese Kräfte zu wehren, das ist ein langer, mühsamer Kampf.“

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Dossier Lateinamerika (4/10)

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