Die Löwin vom Nil im Exil

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Nawal El Saadawi wirkt nicht wie jemand, der mit dem Tod bedroht wird. Vor ein paar Monaten hatte die Al-Azhar-Universität in Kairo, die höchste islamische Autorität der Welt, ihr letztes Theaterstück, „Gott quittiert den Dienst während des arabischen Gipfeltreffens“, für gotteslästerlich befunden. Das kann die Todesstrafe bedeuten. El Saadawi verließ Ägypten, und jetzt steht sie vor dem Haus einer Kollegin im amerikanischen Flint. Sie hat ein Tischchen mit Tee und zwei Stühle in den Rasen gestellt und freut sich über den sonnigen Tag. „Fast wie in Ägypten“, sagt die 76-jährige Schriftstellerin lachend. „Fühlen Sie sich hier sicher?“, frage ich.

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„Ich bin Ärztin“, sagt sie, „ich weiß, dass man sich seines Lebens nie sicher sein kann. Wenn man sich jeden Tag vor dem Tod fürchtet, stirbt man jeden Tag. Ich ziehe es vor, ein einziges Mal zu sterben.“

Nawal El Saadawi ist eine der bekanntesten Publizistinnen und Feministinnen im arabischen Raum und eine der couragiertesten. Sie hat mehr als vierzig Bücher verfasst, die in dreißig Sprachen übersetzt wurden: Romane, Sachbücher und Essays, in denen es um die prekäre Situation der Frauen geht, um Macht, Brutalität und Dummheit.

Auf die Welt kam sie 1931 in einem Dorf im Nildelta. Mit sechs wurde sie beschnitten, was sie später zu ihrem Feldzug gegen Genitalverstümmelung motivierte. Sie war erst als Hebamme tätig, dann als Ärztin. 1965 bis 1972 war sie Direktorin des Gesundheitsamtes in Kairo, wurde aber entlassen, als sie eine Studie über die Sexualität der Araberinnen veröffentlichte. Sie erinnert sich: „Gehorsam oder Entlassung!‘', brüllte der Minister. ,,Entlassung", sagte ich.“

Ihr bekanntestes Buch, über Gewalt gegen Frauen, Beschneidung, Prostitution, Doppelmoral und Religion, erschien 1979, auf Deutsch unter dem Titel „Tschador“. Präsident Sadat verbot die Veröffentlichung ihrer Bücher in Ägypten und ließ sie 1981 ins Gefängnis werfen. Der Wärter schrie sie an: „Wenn wir Stift und Papier finden, hat es für dich schlimmere Konsequenzen als wenn wir ein Gewehr finden.“ Noch am selben Tag konnte Nawal El Saadawi den Schminkstift einer Prostituierten und Toilettenpapier organisieren, auf die sie in der Nacht schrieb: „Eine aufrichtige Liebesgeschichte kann gefährlicher sein als ein Koffer voller Sprengkörper oder Zeitbomben, da sie den innersten Kern der Korruption in der Gesellschaft aufdeckt.“

Sie hatte Glück. Sadats Nachfolger Mubarak ließ sie nach drei Monaten Haft frei. Ihr Mann Sherif Hetata hingegen, ebenfalls Arzt und Schriftsteller, verbrachte aus ähnlichen Gründen dreizehn Jahre im Gefängnis.

Aber auch gegen El Saadawi hörte die Repression nicht auf. Die Arab Women’s Solidarity Association, die sie 1982 gründete, wurde 1991 verboten. Bereits damals wurde sie von Islamisten bedroht und musste das Land 1992 verlassen. Sie ging zuerst nach Europa und lehrte dann an der Duke-Universität in North Carolina. 2001 – sie war inzwischen wieder in Kairo – beantragten Fundamentalisten vor Gericht die Zwangsscheidung von ihrem Mann, mit dem sie seit 43 Jahren verheiratet ist, wegen „unislamischer Äußerungen“: Sie hatte sich gegen Polygamie ausgesprochen und die Diskriminierung der Frau im islamischen Erbrecht angeprangert. Schließlich kandidierte sie bei den Wahlen 2005 für das Präsidentenamt. Möglicherweise ist die aktuelle Klage der Al-Azhar-Universität eine späte Strafaktion gegen diese „Unverschämtheit“.

Die Probleme, die sie dieses Mal aus dem Land trieben, begannen harmlos: mit einer Kolumne, die ihre Tochter – ebenfalls Schriftstellerin – zum Muttertag schrieb. Sie unterzeichnete ihren Text sowohl mit dem Familiennamen ihres Vaters wie auch ihrer Mutter, um „sie zu ehren und ihr ein Geschenk zu machen“, wie sie anmerkte. Damit stach sie in ein Wespennest. In Ägypten tragen nur uneheliche Kinder den Familiennamen ihrer Mutter, und er gilt als Stigma. Die Wogen gingen hoch, und am Ende wurden sowohl Mutter wie Tochter des Abfalls vom Glauben angeklagt. Nawal El Saadawi musste Ende Januar vor Gericht erscheinen. Einige Wochen zuvor war sie nach Brüssel und Rotterdam für Vorträge und nach Flint, Michigan, für eine Preisverleihung eingeladen worden, wollte aber nicht gehen, weil sie an einem Roman arbeitete. Angesichts des öffentlichen Drucks sagte sie nun doch zu.

Im Zug von Rotterdam nach Brüssel wurde ihre Handtasche gestohlen. Darin lag ein Teil ihres Ersparten, ihr Pass mit dem Visum für die USA sowie ihr handgeschriebenes Romanmanuskript, von dem es keine Kopie gab. Der Pass wurde wiedergefunden, der Roman nicht. Noch in Brüssel erfuhr sie aus der Presse, dass die Azhar sie wegen ihres Theaterstücks und vier anderer Bücher der Blasphemie angeklagt hatte. Die Werke wurden verboten, und man forderte eine „strenge Bestrafung“ der Autorin. „Das heißt: Beine und Arme abhacken und dann hingerichtet werden“, sagt sie. „Dieses Mal war es ernst, denn es waren nicht bloß, wie bei der Debatte um den Familiennamen, einpaar Spinner, die Anklage erhoben, sondern die höchste religiöse Instanz, die eng mit der Regierung verbunden ist. Es war klar, dass ich nicht zur Einvernahme erscheinen würde.“

Sie reiste nach Flint zur Entgegennahme des Preises, wo man ihr eine Universitätsstelle anbot. „Aber Flint ist so kalt“, sagt sie. Deshalb geht sie jetzt nach Atlanta, wo sie eine Zweijahresstelle als „distinguished professor“ erwartet. Dort will sie auch ihr Buch neu schreiben. Arbeitstitel „Der geraubte Roman“.

Ihre Familie ist in Ägypten geblieben. „Meine Tochter zieht es vor, ihren Kampfgegen die Autoritäten in Kairo weiterzuführen. Sie ist wie ich“, sagt sie. „Aber sie ist jung. Ich habe keine Zeit mehr zu verschwenden.“ „Fühlen Sie sich nicht einsam?“ „Noch nicht. Es würde nichts bringen,wenn sie hier wären und ihre Zeit vertrödelten. Das Wichtigste ist jetzt mein Romanprojekt. Und dann gibt es ja Telefon und E-Mail.“

Bei diesem Stichwort zeigt sie auf das Tonband und ruft: „All die technischen Dinge haben wir den Rebellen zu verdanken, die sich den Vorurteilen widersetzt haben. Galilei, Bruno, Sokrates, Kopernikus. Es ist der Dummheit abgetrotzt. Man kriegt nichts gratis. Ich habe den Preis gezahlt. Ich könnte Millionärin sein, doch ich lebe mit 76 immer noch als Untermieterin in einem fremden Land.“

Ich spreche sie auf einen frappierenden Satz aus ihrem letzten Buch an: „Ich kann niemandem gegenüber misstrauisch sein, da meiner Weltsicht nach die Menschen unschuldig und die Götter schuldig sind.

Sie ruft lachend: „Das ist eben die Essenz meines neuen Theaterstücks, das mir all das eingebrockt hat. Dort tritt Gott ab, nachdem ihm die Menschen anhand der Heiligen Bücher in einem Tribunal nachgewiesen haben, wie viel Dummheit er verbreitet und wie viele Probleme er verursacht hat. Ja, die Götter sind schuldig, die Welt wäre besser ohne Religion. Und ohne Regierungen.“

El Saadawi wirkt weder unglücklich noch besonders angespannt. „Ich versuche immer, aus dem Negativen etwas Positives zu machen. Hätten Sie nicht in der Zeitung gelesen, dass ich Ägypten verlasse,wären Sie mich nicht besuchen gekommen.“ Und nach einer Pause fügt sie hinzu: „Man kann meinen Körper töten, aber meine Gedanken, meine Bücher nicht. Wenn jeweils wieder einer der Oberen gestorben ist, der mir mein Leben versauert hat, habe ich gelacht. Ich werde euch alle überleben, sagte ich mir.“

Das Wort „Angst“ kommt diesen Nachmittag nie über ihre Lippen.

Nawal El Saadawi erzählt von ihrer Vorlesung über „Kreativität und Dissidenz“ und von ihrer „Sandwichposition“, weil sie sowohl den islamischen Fundamentalismus wie auch den westlichen Lebensstil kritisiert. Sie vergleicht Make-up mit dem Schleier. In beiden Fällen würden die Frauen zu Sexobjekten gemacht, im ersten Fall, indem man sie ausstellt, im zweiten Fall, indem man sie wegen ihrer „Gefährlichkeit“ versteckt. Dann meint sie plötzlich: „Genug von mir geredet. Erzählen Sie etwas von sich, dann wird das Gespräch kreativer. Und dann koche ich etwas.“

Was kann man sich Besseres wünschen, als im hohen Alter unter widrigsten Umständen so optimistisch, kampflustig und neugierig zu bleiben?

Der Text erschien zuerst in der Schweizer Weltwoche. Von Nawal El Saadawi: "Fundamentalismus gegen Frauen" (Bvt, 8.90 €).

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