Also doch Süssmuth?

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Am 16. September ging der von Alice Schwarzer initiierte Appell an die Medien. Noch am selben Tag gab der Stern eine bei forsa in Auftrag gegebene Umfrage bekannt, nach der mit 20 Prozent ebenfalls Rita Süssmuth auf Platz 1 als potentielle Herrin von Schloss Bellevue landete. Bis zu den Gerüchten um den bevorstehenden Appell in den Tagen zuvor war der Name Süssmuth im Reigen der Spekulationen um das Amt des Bundespräsidenten nicht ein einziges Mal aufgetaucht. Aber jetzt machte er Schlagzeilen. Zumindest für einige Tage. Bis zu dem überragenden Stoiber-Sieg am 21. September. Seither ist nur noch Parteiräson angesagt. Alle kämpfen ums Überleben - bis auf die CSU.
So kommt es, dass die Favoritin der Frauen und des Volkes wieder in der Versenkung verschwand. Die ganze Rau-Nachfolge scheint nach der ersten Aufregung im Spätsommer im Herbst kein Thema mehr zu sein - und wird es wohl erst wieder nach den Weihnachtsferien. Dann beginnt der Run auf das Bundespräsidentenamt. Dann wird es ernst. Und dafür müssen wir Frauen gewappnet sein - wollen wir, dass wirklich endlich etwas passiert und nicht nur so genannte "Zählkandidatinnen" in die Arena gestoßen werden; also Frauen, die keine reale Chance haben.
Entscheidend schien zunächst zu sein: Was will die FDP? Die aber ist inzwischen arg angeschlagen. Nicht unwichtig auch: Was will Merkel? Selbst Bundespräsidentin werden, das will sie verständlicherweise nicht. Denn schließlich ist sie noch potenzielle Kanzlerkandidatin. Eine Zeit lang hieß es hinter den Kulissen, Merkel halte einen weiblichen Bundespräsidenten für ein Hindernis für einen weiblichen Kanzler. Weshalb sich auch die CDU-Frauen in Sachen Süssmuth geschlossen zurückhielten.
Inzwischen scheint der Vorsitzenden dieser Zahn gezogen zu sein. Als würden die Boygroups eine Kanzlerkandidatin küren, nur weil wir kampflos auf die Präsidentenkandidatin verzichtet haben... Und als hätten zwei Männer an der Spitze im vergangenen halben Jahrhundert jemals auch nur einen Mann gestört. Und als wären nicht auch zwei Frauen an der Spitze durchaus denkbar. Theoretisch.
Offensichtlich ist nur, was die Koalition will: der Opposition Ärger machen. Einen Tag, bevor die Gerüchte um den geplanten Frauenappell für Süssmuth öffentlich wurden, meldete sich der Kanzler zu Wort und verkündete: "Es ist Zeit für eine Frau." Sein Wunsch sei es, "jemanden zu finden, der für alle akzeptabel ist". Hörthört. Der Kanzler hat da diesmal besonders gut reden, weil der Posten 2004 nicht auf SPD-Ticket läuft, sondern von der CDU/CSU besetzt wird.
Für alle akzeptabel, gerade auch für Rot-Grün, wäre in der Tat Rita Süssmuth - und genau darum hat der Frauenappell sie ja auch vorgeschlagen. Süssmuth wird zu dem (agonierenden) linken Flügel ihrer Partei gezählt und beeindruckte auch Menschen aus anderen politischen Lagern immer wieder: mit ihrem Einsatz für eine echte 218-Reform zum Beispiel, ihrem Engagement im Kampf gegen Aids oder als Vorsitzende der Zuwanderungs-Kommission. Aber genau das ärgert wiederum die Mannen in ihren eigenen Reihen. Ironie der Geschichte: Die CDU-Kandidatin Süssmuth schien bisher vor allem den anderen Parteien wählbar - nur nicht der eigenen.
Andererseits: Die CDU/CSU hat, außer Merkel, keine andere auch nur halbwegs populäre Kandidatin. Bei einer weiteren forsa-Umfrage landeten, nach Favoritin Merkel, als "geeignet für das Amt" Heide Simonis und Renate Schmidt auf den Plätzen zwei und drei. Und unter den ersten zehn tauchten neben acht Politikerinnen zwei Journalistinnen auf: Sabine Christiansen auf Platz vier und Alice Schwarzer auf Platz acht.
Die Frauen in allen Parteien halten sich zur Zeit frauenpolitisch sehr bedeckt - aber ohne ihren Druck wird kein Politiker ein echtes Interesse an einer Bundespräsidentin haben. Die Herren sind es einfach zu lange gewohnt, selbst auf all diesen Posten zu sitzen. Also wird auch das eine entscheidende Rolle spielen Anfang 2004, wenn der/die KandidatIn gekürt wird: Was wollen die Politkerinnen?
Und eigentlich ist nicht so recht einzusehen, warum die Christdemokratinnen sich nicht stark machen sollten für ihre engagierte, langjährige ehemalige Frauenvorsitzende. Also doch Süssmuth? Zeit wäre es nach 55 Jahren Bundespräsidentschaft für die erste Bundespräsidentin!
EMMA November/Dezember 2003
In EMMA zuletzt zum Thema: EMMA März/April 1999.

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