Die Porno-Jägerin im Chat

Beate Krafft-Schöning - im Netz als Jägerin unterwegs.
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Gert, 45: „hi – bin 45. zu alt. und du?“ – Laura, 13: „boh. biste gruftie. bin 13. grins.“ – Gert, 45: „oops. da bin ich wohl zu alt.“ – Laura, 13: „nö, wenn de nett bist."

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Beate Krafft-Schöning ist Laura. Die 42-jährige Journalistin aus der Nähe von Bremen hat sich in einen Chatroom eingeloggt, der täglich von Kindern und Teenagern besucht wird – ein ganz gewöhnlicher Chat-room bei einem großen Anbieter. Keine Verschlüsselung, keine Codes, keine Aufpasser. Chatten ist in. Es gibt praktisch kaum noch Kinder und Jugendliche, die nicht online sind und auf die Suche gehen – nach einem Gesprächspartner, einer Chat-Freundin, nach jemandem zum Träumen oder Kennenlernen – oder auch zum Cybersex-Machen.

Einen „echten“ Menschen ansprechen, eine Freundschaft entwickeln – das ist Arbeit, sagt Beate Krafft-Schöning. Online ist es ganz leicht. Klick, klick – einmal kurz nicht aufgepasst und der Mensch verkommt zur Ware. Auf Laura, 13, 154, dünn, lange braune Haare warten schon die nächsten Neugierigen:

Geile Jenny: „ich bin Jenny. und geil.“ – Arzthelferin: „habe langeweile. sitze in der arztpraxis.“ – Laura, 13: „was is’n das fürn arzt? – Arzthelferin: „urologe. ich sitze vorne.“ – Laura, 13: „aha, das ist ja doll. Kriegt man da viel Geld?“

Seit sieben Jahren geht Beate Krafft-Schöning online. Sie hat bestimmte Techniken entwickelt, ihr Gegenüber auszufragen, ohne dass er oder sie etwas davon merkt. „Am Ende weiß ich oft mehr über die als sie selber“, sagt sie. Wo sie wohnen, familiärer Hintergrund, etc. Dabei war es purer Zufall, dass Krafft-Schöning auf das Thema aufmerksam wurde. Sie hatte sich in einem Chatroom auf die Suche nach Interview-Kontakten gemacht – und gleich ihre Visitenkarte mit Telefonnummer und Adresse dazugestellt. Wie gefährlich das war, darauf hat sie jemand im Netz aufmerksam gemacht. Und ihr gleich noch erzählt, wie die Welt hinter der virtuellen Gardine wirklich aussieht: eine Welt voller Gewalt und Sex. Pädophile, die sich vollkommen unbeobachtet an Kinder und Jugendliche heranmachen – und sich mit ihnen verabreden, um sie zu missbrauchen. Die Journalistin hat sofort gewusst, dass sie etwas dagegen tun muss.

Laura ist jetzt zehn Minuten online, die Liste der Wartenden wächst. Dabei ist Mittagszeit, abends ist es noch viel voller, erzählt Krafft-Schöning. Die harmlosen Anfragen sind in der Unterzahl, die anderen kommen schnell zur Sache: „hi Laura. bin 25 und suche junges mädchen. haste lust“, heißt es da. Oder „hallo. tauschst du pic?“ (picture, Foto) „habe viele schöne von frauen, aber auch von paaren und von mir.“ „hi laura. lust auf ältere männer? lust auf ein spiel?“

Ein einziger Teilnehmer steigt aus, als er Lauras Alter erfährt. Gert, 45 dagegen hat sein Ziel fest vor Augen. Er hat schon gefragt, ob Laura noch Jungfrau ist, was diese bestätigt hat. Es geht weiter: Gert, 45: „willst du ….“ – Laura, 13: „was?“ – Laura, 13: „ach so. du meinst …“ – Gert, 45: „sex.“ – Laura, 13: „naja, ich weiß nich – hab da angst vor.“

Auch ein gewisser Rambo fragt an, der eine Begleitung gegen Geld sucht und ein Robbie, 36. Vielleicht ja einer wie Robbie Williams, könnte Laura jetzt denken. Und was will der Chatroom-Robbie? Das gleiche, wie die anderen auch:
Robbie, 36: „bin 36. schlimm?“ – Laura, 13: „nee, wenn de nett bist.“ – Robbie, 36: „noch sehr jung und unerfahren, oder?“ – Laura, 13: „naja. kenn mich mehr so aus, was man inner bravo so liest.“ – Robbie, 36: „bistn schon neugierig? – Laura, 13: „naja. weiß nicht so.“ Und auch Robbie will schnell mehr: Robbie, 36: „hast’n schon brüste?“ – Laura, 13: „bisschen.“ – Robbie, 36: „darf ich die streicheln, wenn wir uns gut verstehn?“ – Laura, 13: „wie jetzt?“ –

„Wie jetzt?“ fragt auch Beate Krafft-Schöning und guckt auf die Uhr. Um 13.01 Uhr hat Robbie sich uns vorgestellt, sagt sie. Um 13.08 Uhr will er schon Brüste streicheln. Sie lacht. „Der ist richtig schnell.“ Beate Krafft-Schöning lacht viel an diesem Tag. „Das ist wie bei den Pathologen, die irgendwann neben den Leichen essen.“ Sie hat zuviel gesehen, zuviel gelesen, zuviel ­erlebt. Abgestumpft ist sie nicht. Aber sar­kastisch.

Es gibt Bilder und Begegnungen, die sie bis heute verfolgen. Porno-Bilder mit Säuglingen, mit toten Kindern, es gibt nichts, was man nicht irgendwann zugeschickt bekommt, berichtet sie. Und dann die Begegnung mit einem zweifachen Familienvater, der sich die angeblich 13-jährige Laura über Nacht zur Vergewaltigung einbestellen wollte. „Das war der schlimmste Dreh in all den Jahren“, sagt sie. Denn die Netz-Fighterin geht wirklich hin und trifft sich. Mit den Tätern. 21 hat sie schon konfrontiert – jedes Mal mit einem Kamera-Team, die Kassetten hat sie alle aufgehoben.

Nachdem die Journalistin vor sieben Jahren das erste Mal getarnt in einem Chat­room pädophilen „Tätern über die Schulter geguckt hatte“, hat sie 2001 die Initiative NetKids – „Kinder sind tabu“ gegründet. Sie hat Vorträge gehalten, ist in Schulen gegangen, hat Polizisten geschult, hat zwei Lehrfilme aus eigenen Mitteln produziert, hat ein Buch geschrieben. Ein Kampf David gegen Goliath, sagt sie. Denn die Internet-Industrie ist zu mächtig, Eltern und Lehrer sind bis heute zu unwissend, und die Täter – sind einfach zu viele. Die Polizei und die Gerichte – meistens machtlos.

Paragraph 176 stellt zwar das Anbahnen sexueller Kontakte mit Kindern über Schriften – also auch über das Internet – unter Strafe, und auch das Vorzeigen pornografischer Bilder kann mit einer Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren belegt werden. Aber: den Tätern ist es meist ein leichtes, sich rauszureden. Er oder sie – denn es gibt auch Frauen, die im Internet an Sex mit Kindern interessiert sind – kann immer sagen: Ich habe gedacht, die ist zwanzig. Das Internet ist ein quasi rechtsfreier Raum, kritisiert Krafft-Schöning. Erst wenn die Täter im realen Leben übergriffig werden und es zur Anzeige kommt, kann die Justiz handeln, so sich die Opfer überhaupt trauen, etwas zu sagen. Denn: Anders als bei Opfern sexuellen Missbrauchs, bei dem der Täter meist aus dem direkten Umfeld der Familie kommt, sind die Kinder und Jugendlichen an einem verhängnisvollen Internet-Chat aktiv beteiligt. Sie haben sich ihr Gegenüber sozusagen selbst ausgesucht. Krafft-Schöning hält sie inzwischen für die problematischeren Opfer. Und auch sie ist machtlos: Obwohl sie die sexuellen Übergriffe in Wort und Bild protokollieren kann, konnte sie nur ein paar der Täter anzeigen – nur in den Fällen, in denen sie sicher war, dass kinderpornografisches Material auf dem Rechner zu Hause gespeichert war. Alles andere ist zwecklos, sagt sie.

Im Laufe der letzten sieben Jahre seien die Opfer immer jünger geworden. Kein Wunder, wenn die Kinder schon in der dritten Klasse den Umgang mit dem Internet lernen. Und so manch wohlmeinender Lehrer gleich die ganze Klasse fotografiert und die Bilder der Schüler und Schülerinnen samt Namen ins Netz stellt – reine „Warenkataloge“ für Pädophile.

Die Netz-Fighterin redet nicht drum rum. Das war schon immer so – schon als Kind. Sie war Schulsprecherin: Sie fühlte sich schon früh verpflichtet, sich zu kümmern. In Göttingen geboren, bei Bonn zur Schule gegangen, hat sie lange in Brüssel gelebt und in einer Männerwelt gearbeitet. Sie war Assistentin im Vorstand einer großen Bremer Firma und ging mit Ende zwanzig für ein Volontariat zu einer Lokalzeitung.

Krafft-Schöning begleitete unter anderem Soldaten nach Bosnien. Nein, Angst hat sie nicht. Auch dann nicht, wenn nachts Gestalten um ihr Haus schleichen. Eine Zeit lang brauchte sie Personenschutz bei Veranstaltungen. Die Attacken kommen meist in Schüben, schildert sie beinah gleichgültig. Besonders mutig findet sie sich nicht. Warum trifft sie sich mit den Tätern? „Weil ich das Bild, was ich mir via Netz von meinem Gegenüber gemacht habe, überprüfen will.“ Bei einem wie Gert zum Beispiel: Gert, 45: „haste meine frage noch nicht beantwortet.“ – Laura, 13: „ja, weiß ich. kann ich dir heute abend schicken.“ – Gert, 45: „nein, habe gefragt, ob de sex machen willst.“ – Laura, 13: „weiß nich so. Habe da was angst vor. ist das schlimm?“

Wenn Beate Krafft-Schöning als Laura im Netz chattet, dann spricht sie die Sätze, die sie schreibt, mit weicher, mädchenhafter Stimme nach, gibt sich naiv, neugierig, unschuldig. „Man muss seine Geschichte auch ein Stück weit leben – ich muss mittags von der Schule kommen, muss von meinen Hobbys erzählen und so weiter.“ Zwei, drei Wochen lang muss eine Geschichte „gelebt“ werden, bis es zum Kontakt kommt. Krafft-Schöning verabredet sich zum Beispiel in Bremen an einem beliebten Touristen-Treffpunkt – und überrumpelt die Täter mit einem Kamera-Team. „Es ist schon erstaunlich, was die einem alles erzählen, wenn man sie konfrontiert.“ Warum werden solche Informationen nicht mehr von Fachleuten genutzt?, fragt Krafft-Schöning mehr als einmal. Als Psychologe sei man früher auf die Aktenlage angewiesen gewesen, darauf, was einem die Täter im nachhinein erzählten. Im Internet kann man zusehen, wie Täter agieren, man kann ihre Strategien studieren – live: „Kenne ich zehn Gerts, dann kenne ich auch den elften.“

Gert, 45: „was hättest du denn gerne, wenn ich bei dir wäre?“ – Laura, 13: „ich will mal wieder ins kino. Und zu mcdoof.“ – Gert, 45: „wird es dich reizen, wenn man dich an der muschi lecken würde?“ – Laura, 13: „weiß nich so weil ich das ja noch nicht gemacht hab. ist das normal so? – Gert, 45: „ja.“ – Laura, 13: „ach so. na dann.“ – Laura, 13: „ist das auch normal so für mädchen wie mich?“

Gert bestätigt: vollkommen normal. Und geht weiter. Verbal. Auch Fotos verschickt er jetzt. Erst nur mit rosa String bekleidet, dann ohne. Beate Krafft-Schöning lacht, als sie die Bilder sieht. Auch viele Eltern lachen in ihren Aufklärungs-Veranstaltungen. „Bis ich sage, o.k.: stellen wir uns doch mal vor, wir wären zwölf.“ Wumms. Krafft-Schöning spioniert die Täter aus, ohne dass die etwas merken und kümmert sich um die Opfer. Geht mit ihnen zur Polizei, hilft ihnen. Sie ist verständnisvoll – und im nächsten Moment knallhart.

Einer wie Gert würde schnell übergriffig werden, prognostiziert Krafft-Schöning. Ein „Bungee-Pädo“. Sie hat den Begriff erfunden, um die Täter besser zu kategorisieren, sie besser identifizieren zu können. Der „Bungee“ sei hochgefährlich, vollkommen empathiefrei, wie ein Kunde auf dem Straßenstrich. Der wird alles dafür tun, dass sein Ziel erfüllt wird. Oft handelt dieser Typ ohne eine pädophile „Karriere“ bzw. Entwicklung durchlebt zu haben.

Der Pädosexuelle dagegen – meist jahrelang zumindest in seinen sexuellen Phantasien mit Kindern befasst – gibt sich meist einfühlsam, als Freund und Tröster, um eine langfristige „Liebes“-Beziehung zu einem Kind aufzubauen. „Ich komme zu ganz anderen Schlüssen als der Großteil der Fachwelt“, wundert sich Krafft-Schöning. Täter-Therapie? „Nee. Kümmert euch lieber um die Opfer“, so ihr Credo.

Einer von vier Tätern, die es im Internet auf Kinder und Jugendliche abgesehen haben, sind Frauen, schätzt sie. Eine erstaunlich hohe Zahl – ist doch laut Polizeilicher Kriminalstatistik in den 12.756 aktenkundigen Missbrauchsfällen nur jder 25. Täter eine Frau. Die Vermutung liegt nahe, dass sich hinter so manchem weiblichen Usernamen in Wahrheit ein männlicher Belästiger verbirgt, der sich erhofft, als Userin leichter an die Kinder ranzukommen. Beate Krafft-Schöning schließt diese Möglichkeit nicht aus, allerdings: Alle ihre telefonischen Stichproben ergaben bisher tatsächlich eine Täterin. „Das war ein richtiger Schock, denn fast alle waren Mütter.“ Die, und das ist ein interessanter Unterschied zu den männlichen Tätern, „oft sich selbst anbieten und ihr Kind als Sahnebonbon dazu“.

52.000 Opfer sexueller Gewalt gibt es laut Statistik jedes Jahr in Deutschland, die Dunkelziffer liegt um ein vielfaches höher – die meisten sind Mädchen. „Wenn ein bestimmter Prozentsatz der Opfer später zum Täter wird, dann ist es klar, dass auch Frauen Täterinnen sind. Wir haben sie nur nicht gesehen in der Vergangenheit“, meint Krafft-Schöning.

Gert, 45: „würdest du dich lecken und … machen lassen?“ – Laura, 13: „was machen lassen?“ – Gert, 45: „würdest du dich lecken und ficken lassen?“ – Laura, 13: „tut das weh?“ – Gert, 45: „nein.“

Immer wieder rufen Opfer bei Krafft-Schöning an. Sind verzweifelt, suchen Rat. Mädchen, denen genau so etwas wie Laura, 13 passiert ist. Die statt eines Porträts Bilder von erigierten Penissen zugesandt bekamen und die die Bilder nicht verarbeiten konnten. Die sich sogar mit den Männern aus dem Internet getroffen haben, und die völlig schockiert waren, was dann passiert ist. „Die können sich das Ausmaß gar nicht vorstellen. Die wissen genau, was die Täter von ihnen wollen, die haben gelesen, was die wollen, können es aber gar nicht in die Realität umsetzen. Die wissen ja gar nicht, was das heißt, wenn der sagt: blas mir einen, haben aber im Internet schon halb ja gesagt.“

Was Mädchen und auch Jungen, die zu ­Opfern werden, oft monatelang vor ihren ­Eltern und Lehrern verheimlichen, bei Beate Krafft-Schöning bricht es aus ihnen heraus. Weil sie die Sprache der Kinder und Jugendlichen spricht. Sich in ihre Geistes- und Gefühlswelt einfühlen kann. Heute ist es ganz normal, über BH-Größen und das erste Mal mit der halben Welt zu kommunizieren, sagt sie. Auch einen 45-Jährigen wie Gert, den nehmen manche Mädchen vielleicht gern hoch. „Aber die Grenze, wann es umschlägt, wann es zurückkommt im Traum oder wenn doch plötzlich einer vor der Tür steht, weil sie vielleicht eine Adresse verraten haben, die kennen die Kinder und Jugendlichen nicht.“ Krafft-Schönings Stimme ist voller Mitgefühl. „Die Elf-, Zwölf-, Dreizehn-Jährigen sehen heute aus wie zwanzig, haben aber einen Reifestand von zehn. Wir vergessen, dass wir es mit Kindern zu tun haben.“

Krafft-Schöning will diese Kinder beschützen. Dabei sprüht sie vor Lebensfreude und Energie. Keine Spur von Frust oder Verzweiflung. Aber irgendwann werden andere ihren Job übernehmen müssen. Sie habe zu tief gegraben und zu viel gemacht. Nach sieben Jahren sei sie ein bisschen müde geworden. Sagt es. Und ist in der nächsten Sekunde zurück beim Thema. Im Chatroom wartet Paulemann, 28. „Moment. Ich glaub, den kenn ich“, meint Krafft-Schöning und versucht, ihn in der Leitung zu behalten, um mehr über ihn heraus­zufinden:

Paulemann, 28: „lässt du schon mal jemanden in deinen ausschnitt oder unter deinen rock schauen, nur um ihn oder sie richtig anzumachen?“ – Laura, 13: „na ja. nee.“ – Paulemann, 28: würdest du mir verraten, was du anhast? – Laura, 13: „alles.“ – Paulemann, 28: „was ist alles?“ – Laura, 13: „na ja. hose, sweat, schuhe.“ – Laura, 13: „wo wohnst’n du?“ – Paulemann, 28: „und drunter?“   

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