Zwischen Profit und Sehnsucht
Katja Kullmann begab sich für EMMA auf eine Reise durch die wundersame Welt von Botox: Die Ware, die Verkäufer, die Kundinnen.
Angeblich lassen sich Tausende Frauen fröhlich bei so genannten Botox-Partys behandeln, preisgünstig, einfach, schnell. Doch hinter der Mär von den freiwillig vergifteten Frauen verbirgt sich vor allem eins: eine globale Marketingkampagne von Ärzten, Industrie und Lifestyle-Medien.
Sie ist blond und schlank, Ende 40, hat drei Kinder und einen knüppelharten Job: Gabriele Kraatz-Wadsack arbeitet als Waffen-Inspekteurin für die UNO. Gemeinsam mit Hunderten internationaler Spezialisten und Spezialistinnen fahndet sie nach illegalen Munitionsfabriken. Schon 26 Mal durchkämmte die Mikrobiologin den Irak nach verbotenen Kampfstoffen, acht Mal führte sie als Oberstleutnant selbst Regie. „Angst habe ich nicht“, sagte Kraatz-Wadsack kürzlich in einem ZDF-Interview.
Die Fernsehbilder zeigen die Berlinerin in Schutzkleidung vor einem irakischen Erdloch, unten stapeln sich angerostete, zerbeulte Metallfässer. „Das ist Botulinum Toxin, eines der stärksten Nervengifte überhaupt“, erläutert die Expertin. Der Stoff zählt wie der Milzbrand-Erreger zu den Biowaffen, gegen die das US-Verteidigungsministerium stets einen Vorrat von Gegenmitteln parat hält. Kraatz-Wadsack hat den Kampfstoff entdeckt. Sie hat ihren Job wieder einmal gut gemacht. Gift ist ihr Geschäft.
Er ist ebenfalls um die 50, aber nicht mehr ganz so blond und schlank, lebt als Freiberufler im Münchner Vorort Grünwald und hat einen deutlich bequemeren Job: Harald Kuschnir arbeitet als Hals-Nasen-Ohren-Art und Schönheits-Mediziner. In seiner Praxis behandelt er seine zahlungskräftige und verschönerungswillige Klientel mit allerlei Tinkturen und Kunststoffen. Die jüngste Beauty-Entdeckung heißt Botox, genauer gesagt: Botulinum Toxin, der Stoff, den auch Saddam Hussein produzieren lässt. Wie Hunderte seiner Berufskollegen lagert Kuschnir das Gift ganz legal in seinen Geschäftsräumen; wie zig andere spritzt er es seinen Klientinnen ins Gesicht, um die Falten zu reduzieren. Der Doktor leistet sich eine aufwändige Werbeseite im Internet, ganz in Pastelltönen, geschmückt mit dem Slogan: „Schönheit nach dem Vorbild der Natur". Kuschnir macht seinen Job offenbar gut. Gift ist sein Geschäft.
Hier als Tod bringende Geheimwaffe gefürchtet, dort als Wundermittel gegen Falten geschätzt: Gäbe es einen Gift-Index, so stünde Botulinum Toxin derzeit an der Spitze, kein vergleichbarer Stoff ist derart im Gespräch, hat dermaßen Konjunktur. Während die UNO-Waffen-Inspekteure den Erreger des mitunter tödlichen Botulismus, einer Art Lebensmittelvergiftung, aufspüren und letztlich vernichten sollen, reibt sich die Beauty-Branche angesichts der magischen fünf Buchstaben die Hände.
Botox, so der markenrechtlich geschützte Kurzname, verspricht - in millionenfacher Verdünnung als Kosmetikpräparat angewendet - schwindelerregende Gewinnmargen. Nicht trotz, sondern wegen seiner bekannten „Effizienz“. Binnen Stunden bügelt der Stoff selbst die faltigste Stirn glatt, heißt es. Rund 300 € kostet die Behandlung mit der Giftspritze, und damit nur ein Bruchteil des herkömmlichen Liftings. Das erweitert die Zielgruppe ungemein.
Schon startet in den USA die erste große Werbekampagne für Botox und auch hier zu Lande berichten Frauenmagazine und Fernsehsender atemlos von Botox-Partys, bei denen Mittdreißigerinnen sich angeblich zwischen Lachshäppchen und Prosecco eine Ladung Gift genehmigen. Doch solche Partys gibt es in Wahrheit in Deutschland bisher kaum. Darum werden sie für Trend-Berichte gerne mit Statistinnen nachgestellt.
Die Beauty-Branche und die Lifestyle-Medien sprechen von Anti-Ageing und Harmlosigkeit. Nicht einmal Blut soll spritzen, und wenn doch, dann nur ganz wenig. Geworben wird um die angeknitterte Frau-ab-30. Gespielt wird mit der Angst, den Ansprüchen nicht (mehr) zu genügen, alt zu werden, nicht mehr "schön" zu sein.
Das ist nicht neu. Frauen sind derlei Appelle und Versprechungen gewohnt. Selten jedoch hatten wir die Gelegenheit, live und in Farbe mitzuerleben, wie so ein Schönheitsideal massenmedial kreiert beziehungsweise massenindustriell umgesetzt wird. Auf den Irak rollen die US-Streitmächte zu, auf Europa das globale US-Botox-Marketing. Wir befinden uns im Anfangsstadium einer neuen (Schönheits-)Terrorwelle.
Die Ware
Man kann sich diesem Botox noch so nüchtern nähern – appetitlicher wird es dadurch nicht. Botulinum Toxin ist ein Bakterieneiweiß, gilt als eines der stärksten bekannten Nervengifte und wird deshalb auch „kleiner Bruder von Milzbrand und Pest“ genannt. Ein Gramm würde ausreichen, die Menschen einer Großstadt umzubringen, ein Kilogramm genügte für ganz Europa
Der im späten 19. Jahrhundert in Belgien entdeckte Botulismus-Erreger kann über offene Wunden, die Atemwege und den Verdauungstrakt in den menschlichen Körper gelangen und führt in ausreichender Dosis zu schweren Lähmungserscheinungen, Schluckbeschwerden, verminderter Sehfähigkeit, teilweise bis zum Tod. Zuletzt kam es 1977 in den USA zu einem gravierenden Botulismus-Ausbruch: 59 Menschen erkrankten teils schwer, weil sie mangelhaft konservierte Pfefferschoten gegessen hatten.
Lange bevor die Falten glättende Wirkung des Botulinum Toxins entdeckt wurde, lernte die Waffenindustrie sein Potenzial schätzen: Wie der Milzbrand-Erreger zählt Botulinum Toxin ins offizielle B-Waffen-Arsenal. Nicht nur der Irak und andere so genannte Schurkenstaaten stehen im Verdacht, den Stoff zu produzieren. Auch die japanische Aum-Sekte hat bereits damit experimentiert: Kurz vor dem Giftgasanschlag mit Sarin auf die Tokioter U-Bahn 1994, bei dem 18 Menschen starben, sollen Aum-Anhänger den Botulismus-Erreger vor japanischen US-Stützpunkten versprüht haben.
Erst seit den 80er Jahren wird das Nervengift in millionenfach verdünnter Dosierung auch medizinisch eingesetzt. Ein Augenarzt in San Francisco erprobte 1980 die Behandlung von Lidticks damit und hatte Erfolg. Ein bestimmter Serotyp des Bakteriengifts, der Typ A, verhindert – einfach ausgedrückt - die Signalübertragung zwischen Nerv und Muskel. Nicht dauerhaft, aber mittelfristig. Damit lassen sich unter anderem auch Schiefhälse und Blasenschwäche behandeln.
Knapp zehn Jahre später, zu Beginn des glamourösen Lifestyle-Jahrzehnts, kam die kanadische Augenärztin Jean Carruthers in Vancouver zufällig dem „Verschönerungseffekt“ auf die Spur: Eine Patientin, deren Lidkrämpfe mit Botulinum Toxin behandelt worden waren, bemerkte im Nebeneffekt eine glattere Stirn. Das erzählte die Ärztin ihrem Ehemann – und der übernahm sogleich das Ruder. Herr Doktor Alastair Carruthers ist nämlich zufällig Dermatologe und witterte sofort das große Geschäft.
Mittlerweile ist das Gift der Renner in Übersee und hat mit 1,6 Millionen Anwendungen jährlich allen anderen Schönheitsbehandlungen den Rang abgelaufen. Der kalifornische Pharmahersteller Allegran Inc. sicherte sich zügig das Patent für die zigfach verdünnte Kosmetikversion und ließ den Kurznamen Botox als Handelsmarke eintragen. Die zuständige Überwachungsbehörde, die Food and Drug Administration (FDA) erteilte dem Präparat am 15. April 2002 nach jahrelangem Hin und Her die Zulassung.
Prompt rollte die Marketingwelle an: Nur zwei Tage später vergab der Hersteller einen 45 Millionen Dollar schweren Etat an die internationale Werbeagentur Grey Global Group, zunächst aus rechtlichen Gründen nur für den US-Markt. „Wir wollen eine Botschaft, die die Kundin auf einem emotionalen Level anspricht“, ließ die Allergan-Geschäftsführung nach Abschluss des Werbedeals verlauten. Nach Angaben aus US-Wirtschaftsmedien rechnet der Konzern nach der Botox-Zulassung mit mehr als einer Gewinnverdopplung von rund 310 Millionen auf etwa 670 Millionen Dollar jährlich. Nicht nur der Merrill-Lynch-Analyst Greg Gilbert stellte Allergan nach dem Zulassungs-Coup die besten Prognosen: „Amerika wird älter. Jetzt herrscht Offenheit gegenüber diesem Verfahren.“ Andere Branchenstimmen hegen die Hoffung, dass Botox ein ähnliches Megageschäft sei wie Viagra oder Aspirin.
In Deutschland ist bislang noch kein Antrag auf die Zulassung von Botox als Kosmetikpräparat gestellt. Das liegt möglicherweise auch daran, dass die Zuständigkeit nicht geklärt ist. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn ist nur für so genannte Fertigarzneimittel zuständig – also auch für das zu medizinischen Zwecken eingesetzte Botox, welches in diesem Fall verschreibungspflichtig ist.
Kosmetische Präparate - wie das zu Verschönerungszwecken verwendete Botox - müssen der Kosmetikverordnung entsprechen, einem Teil des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes. Letztlich entscheidet darüber die Kosmetikkommission des Bundes in Berlin – bislang gibt es von dort jedoch noch keine klare Richtlinie.
Wer sich Botox oder das artverwandte Präparat Dysport des deutschen Herstellers Ipsen-Pharma in Ettlingen zu kosmetischen Zwecken spritzen lässt, tut dies also in einer rechtlichen Grauzone. Und er oder sie tut es auf eigenes Risiko, egal ob beim Facharzt oder beim Friseur: Unterschrieben wird zuvor eine Vereinbarung, in der die Kundin ihre Kenntnis über Risiken und Nebenwirkungen dokumentiert. Im Schadensfall muss die Haftpflichtversicherung des Spritzers einspringen.
Apropos Risiken und Nebenwirkungen: Außer zeitweiligen Rötungen und gelegentlichen Schwellungen sind bisher tatsächlich keine nennenswerten Nebeneffekte bekannt. Es kommt vor, dass der Spritzer sich verpiekst, dass er einen falschen Muskelstrang erwischt und später das Augenlid sperrig in der Gegend herumbaumelt. Aber auch das legt sich, spätestens nach drei Monaten, wenn die Wirkung des Nervengifts nachlässt. Da sind sich weltweit alle Experten bemerkenswert einig.
Bleibende Schäden also ausgeschlossen? Nicht unbedingt. Erst seit 20 Jahren ist Botulinum Toxin im medizinischen Einsatz, erst seit rund zehn Jahren wird es auch kosmetisch angewandt. Das Gift wandert ins Rückenmark. Was es dort langfristig anstellt, das ist wegen der verhältnismäßig kurzen Anwendungsphase an bislang relativ kleinen Personengruppen noch nicht einzuschätzen. Auch Silikon und Sojaöl wurden Jahre lang bedenkenlos eingesetzt – bis sich die ersten Kapselfibrosen und andere schwer gesundheitsschädliche bis tödliche Nebenwirkungen der Kunstbusen zeigten.
Mitte der 80er Jahre schlossen betroffene Frauen in den USA sich zu den ersten Prozessen zusammen, in den 90ern folgten ihnen die Europäerinnen.
Dieser Eindruck der Harmlosigkeit verflüchtigt sich umso schneller, wenn man die Internetseite des österreichischen "Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen" aufruft: Dort werden Medizinern spezielle Regeln für den Umgang mit dem Nervengift empfohlen.
Über die „NeuroBloc 5000 E/ml-Injektionslösung“ des Botulinum-Seroytps B heißt es wörtlich: „Verschüttetes Arzneimittel mit 10% Lauge oder Natriumhypochlorit-Lösung (Haushaltschlorbleiche 2 ml, 0,5%): 1 Liter Wasser) dekontaminieren. Wasserfeste Handschuhe tragen und Flüssigkeit mit einem angemessenen Absorptionsmittel aufnehmen. Absorbiertes Toxin in einen Autoklavierbeutel geben, fest verschließen und als medizinisches Gefahrengut entsprechend den örtlichen Vorschriften entsorgen.“ Noch Fragen?
Die Verkäufer
Der Halbgott in Weiß – es gibt ihn wirklich. Er bildet es sich zumindest ein. Mediziner, die Botox verabreichen, sehen sich gern als Vermittler zwischen unglücklichen Frauen und glückbringendem Handwerk, in dem die Männer dominieren. Dr. Ulrich Bolatzky aus Gelsenkirchen ist so einer. „Auch meine eigene Frau lässt sich Botox spritzen“, berichtet der Ästhetische Chirurg. Und er selbst? „Nein“, sagt der Doktor und lacht. Kann ja nur ein Scherz sein, diese Frage. Er helfe „Frauen, die leiden“, beteuert Bolatzky in seiner Praxis. Falten ließen sie müde und schlapp erscheinen, das schwäche das Selbstbewusstsein und könne krank machen.
„Wir wollen den unzufriedenen Frauen helfen, das darf man nicht verteufeln“, erklärt auch Dr. Michael Krüger von der Potsdamer Privatklinik Sanssouci, der als Pionier auf dem Botox-Sektor gilt. Als einer der ersten einheimischen Mediziner lud er im Frühjahr dieses Jahres zu einer öffentlichen Botox-Party. Im hippen Berliner Restaurant „Sushi-Express“, wo normalerweise tote Fische behandelt werden, führte er mit einigem Medienrummel vor, wie einfach das neue Wundermittel funktioniert: Die Klientin bekommt eine Spritze, manchmal sind es auch mehrere Einstiche. Das dauert nur einige Minuten – hält aber drei Monate an. So easy, so ungefährlich, so appetitlich ist das alles, dass selbst im Designer-Lokal nichts schief gehen kann.
Wer allerdings bei Krüger anruft, um sich nach weiteren Party-Terminen zu erkundigen, wird enttäuscht sein: Denn tatsächlich gibt es solche unkomplizierten Gift-Veranstaltungen hier zu Lande (noch?) gar nicht – es sei denn, als Werbetrick. Die Dame am Potsdamer Klinik-Telefon tut sich mit der Party-Anfrage schwer, ebenso wie die Frau am Apparat der artverwandten Bonner Nofretete-Klinik: „Ich kann Sie höchstens als Interessentin für eine Sammelbehandlung eintragen, dann melden wir uns, wenn wir genügend Frauen zusammen haben“, heißt es dort. Krüger selbst erklärt: „Die Sache im ‚Sushi-Express’ war eine einmalige Marketingmaßnahme, das gebe ich gerne zu.“ Gespritzt werde eigentlich nur in der Praxis, nach Voranmeldung, auf Privatrechnung.
Auch der Gelsenkirchener Chirurg Bolatzky räumt ein, dass ein Vorgespräch bei ihm Pflicht sei und dass „Botox-Partys beim Friseur“ eher die Ausnahme seien. Er selbst hatte sich im September von RTL zu einer Spritz-Party vor Kameras überreden lassen. „Im Schönheitssektor ist halt vieles Marketing“, sagt er. Der Markt muss augenscheinlich noch erschlossen werden, und der Grat zwischen froher Botschaft und Schmuddelangebot ist schmal.
Längst wird nicht mehr nur in privaten Luxusinstituten auf dem Land geschnippelt und gespritzt, zunehmend bieten auch städtische Kliniken und frei praktizierende Mediziner Beauty-Behandlungen an. Die Gesundheitsreform und der Sparzwang der Krankenkassen haben vielen Ärzten herbe Einnahmeverluste beschert, da kommt die neue Zielgruppe gerade recht. Chefärzte an öffentlichen Häusern stecken bei privat bezahlten Schönheits-OPs bis zu 80 Prozent des Honorars in die eigene Tasche, berichtete unlängst der Spiegel. Wer Mitglied in der umstrittenen Deutschen Gesellschaft für Ästhetische Chrirugie (DGÄC) ist, besitze mit hoher Wahrscheinlichkeit „eine Yacht, fährt Porsche oder kleckert zumindest mit Kaviar“.
Allen voran preschen derzeit die Gynäkologen, Dermatologen, Endokrinologen und Hals-Nasen-Ohren-Ärzte: Zwei Drittel ihrer Zunft haben bereits eine schönheitsrelevante Zusatzausbildung absolviert und verdienen sich damit ein Zubrot, wie die "Deutsche Gesellschaft für Kosmetische Medizin" berichtet. Alltagserfahrungen belegen dies: Wer etwa in Köln einen Hautarzt in Innenstadtnähe sucht, kommt an nebenberuflichen Beauty-ExpertInnen kaum vorbei. Sechs von neun für diesen Artikel kontaktierten Hautarztpraxen bieten Behandlungen wie Lasertherapie oder Faltenunterspritzung an, teilweise wird in den Wartezimmern mit großflächigen Plakaten und Preislisten geworben.
Frau Dr. B. zum Beispiel, die eine modern eingerichtete Dermatologie-Praxis in der Nähe des Kölner Neumarkts unterhält, empfahl der Autorin dieses Artikels ein chemisches Peeling gegen großflächige Sommersprossen. „Wir bräuchten drei Behandlungen à 100 € im Abstand von jeweils zwei Monaten, dann hätten sie eine Haut wie ein Babypopo“, so die Ärztin. Und das beim ersten Kennenlern-Besuch der 32-jährigen Patientin, die doch eigentlich nur ihre Leberflecke auf Hautkrebsanzeichen kontrollieren lassen wollte, wie nach jedem Sommer.
Das Angebot solcher Leistungen allein macht den Arzt vielleicht noch nicht zu einem schlechten Arzt. Die Zeit will allerdings herausgefunden haben, dass gelegentlich „in Wochenendkursen mit Übungen an Schweineköpfen“ fortgebildet wird, es also um die Qualität der Zusatzqualifikationen nicht immer bestens bestellt ist. Von den geschätzten 5.000 plastischen Chirurgen, die sich mit Schönheit befassen, haben nach Angaben des Berufsverbands VDPC (Vereinigung der Deutschen Plastischen Chirurgen) nur rund 800 eine entsprechende mehrjährige Fachausbildung absolviert, also nur knapp jedeR sechste.
Dr. Jürgen Tacke, gelernter Unfallchirurg, arbeitet inzwischen in Hamburg für die private Klinik-Kette Medical One und erklärte unlängst im Gespräch mit dem Lifestyle-Magazin Max warum: „Die Entscheidung, plastischer Chirurg zu werden, war auch eine ökonomische.“ Ärzte an öffentlichen Kliniken steigen dem Bericht zufolge mit einem Jahresgehalt von rund 36.000 € ein. Privat praktizierende Kollegen im Schönheitssektor streichen hingegen bis zu 500.000 € jährlich ein.
Ohne Magazine wie Max, Stern oder Spiegel, die regelmäßig vom angeblichen Massentrend zur Ästhetischen Medizin berichten, liefe das Geschäft schleppender. Die Schlüsselposition in der Vermittlung zwischen Klinik und Klientin haben jedoch die so genannten Frauenmagazine inne: Froh, wieder einen neuen Trend ausrufen zu können, schwärmen die Damen Frauenredakteurinnen derzeit unbekümmert von „Anti-Faltenspritzen und Antipasti“, wie in der August-Ausgabe von Petra.
Ein bisschen seltsam sei es ja schon, dass die Gesichtsmuskeln für einige Monate niedergestreckt seien, heißt es in einem der Berichte über eine Botox-Sammelbehandlung, hier bei einem Dr. Peters, der seinen Namen ändern ließ. Aber was soll’s, so das Fazit der Petra-Autorin. Da man „Dr. Peters’ Botox-Mädels“ keine Gefühlregung mehr ansehe, könnten sich die Mädels ja „prima zum Pokern treffen.“
Zynischer geht es kaum – und möglicherweise war das nicht einmal beabsichtigt.
Die freundin geht noch weiter. Sie liefert ihren Leserinnen nicht nur Kontaktadressen im Internet wie Petra, sondern rät sogar 20-Jährigen zur Giftspritze: „Liebe freundin-Redaktion, den Artikel über die Botox-Behandlung fand ich ziemlich interessant“, schreibt Katharina May aus Stuttgart im Sommer 2000. „Dass bereits ganz junge Mädchen so was machen, habt Ihr ja im Artikel geschrieben. Mich interessiert nun, wie alt ich sein muss, um mir diese Beauty-Spritze geben lassen zu können.“ Die Antwort der freundin-Redaktion folgte prompt im September 2000: „Das wird Sie sicher verblüffen, Frau May, aber bereits 20-Jährige können sich nach dieser Methode behandeln lassen.“ Na sowas.
Und wenn das nicht hilft, kann die Leserin ja eine freundin- oder Brigitte-Diät machen. Dank so existenzieller Lebenshilfen leiden Frauenzeitschriften weniger unter der viel beklagten Anzeigenkrise als viele andere Medienerzeugnisse, ihre Auflagen blieben weitgehend stabil. Denn Frauenzeitschriften sind das beliebteste Werbeumfeld für die Kosmetikbranche. Und trotz allgemein grassierender Werbeflaute steigen die Marketingaufwendungen im Kosmetiksegment kontinuierlich an: Allein 2001 gaben die Beauty-Produzenten nach Angaben des Hamburger "Nielsen Media Research Instituts" allein von Januar bis August bundesweit 708 Millionen € für Plakate, Fernsehspots und Anzeigen aus. In diesem Jahr waren es im selben Zeitraum schon 755 Millionen, also 6,6 Prozent mehr.
So genannte Anti-Ageing-Mittel, Präparate, die das Altern optisch eine Zeit lang aufhalten oder angeblich gar revidieren, sind derzeit der größte Renner auf dem Markt. „Die Grenzen zwischen Medizin und Kosmetik sind dabei oft fließend, deswegen werden wir mit dieser Thematik konfrontiert, obwohl wir für Kosmetika gar nicht zuständig sind“, klagt Dr. Johannes Lütz, Leiter der Abteilung Zulassungsverfahren im Bundesinstitut für Arzneitmittel und Medizinprodukte (BFArM). Er rechne damit, dass die neue „Lifestyle-Welle“ aus den USA schon bald Europa überschwappe. Wie einschlägige Medien das Klima entsprechend mitvorbereiten, beobachtet auch der Experte. „Jetzt geht es für die Hersteller von entsprechenden Mitteln offenbar darum, die Produkte möglichst schnell auf dem Markt verfügbar zu machen“, erklärt Lütz.
Konkretes darf oder will er nicht verraten, doch lässt er durchblicken, dass die Zulassungsanträge für teils dubiose Anti-Ageing- Mittel seit einigen Jahren deutlich zunehmen. Behaglich sei ihm bei dem US-Import nicht: „In den USA bekommen Sie Aspirin in jeder Drogerie, hier zu Lande ist es apothekenpflichtig. Was dort rezeptfrei in der Apotheke ausgegeben wird, kriegen Sie bei uns nur mit Rezept. Die Zugangsschwelle zu allen möglichen Präparaten liegt hier zu Lande einfach höher – und ich meine, dass ist richtig.“
Sein Institutskollege, der Arzneimittelexperte Ulrich Hagemann, wird noch deutlicher: „Eine Botox-Spritze zur kosmetischen Faltenglättung ist - wie jede Injektion - ein Eingriff in den Körper des Menschen.“ Und der sei eben nicht ganz so ungefährlich wie gern behauptet: „Selbst für die Blutabnahme zum Alkoholtest gibt es strengere Vorschriften.“ Wäre Hagemann nicht von Amts wegen zur Objektivität verpflichtet, dann würde er augenscheinlich gern noch viel deutlicher werden. Für ihn steht fest: „Da werden vor allem die Träume und Ängste der Menschen ausgenutzt.“
Die Kundin
Träume und Ängste – an vielen Frauengesichtern im Showbusiness lassen sie sich bereits mehr als deutlich ablesen. Modeschöpferin Donna Karan ist Botox-behandelt, Prinzessin Caroline von Monaco angeblich auch, genau wie die Schauspielerinnen Meg Ryan, Michelle Pfeiffer oder Uma Thurman. Allesamt sind sie Meisterinnen ihres Fachs, allesamt haben sie eine glattgebügelte Stirn. Hier zu Lande hecheln die weiblichen Stars und Starlets dem US-Trend noch leicht hinterher und vertrauten bislang noch auf das Vorjahres-Beauty-Wunder, den Füllstoff Collagen: Die Schauspielerinnen Anuschka Renzi und Alexandra Kamp und der Society-Teenager Chiara Ohoven (16) kriegen den Mund gar nicht mehr zu, so prall sind ihre Lippen: dümmlich aufgeblasene „Knutsch’ mich“-Kissen, von denen nicht immer nur Champagner ins gestopfte Dekolletée tropft.
Doch langsam, aber sicher sind jetzt auch die ersten Botox-Babes in der hiesigen Promi-Kaste zu identifizieren: In der Bunten oder der Gala sind sie zu bewundern, die semi- oder viertelberühmten Damen, Unternehmergattinnen, Schlagersängerinnen und Fernsehansagerinnen, die im VIP-Oktoberfestzelt, beim Golf-Empfang oder bei der Filmpremiere straff in die Kamera grienen. Das Lächeln wirkt falsch, irgendwie neben der Spur, denn die Mund- und Augenwinkel mögen zwar lachen, das obere Drittel des Gesichts jedoch bleibt starr. Über den Brauen nur noch Mimik-Wüste.
Es ist der Traum von der ewigen Jugend, der sich dort im glatten Nichts spiegelt. Und die Angst vor der eigenen Geschichte: Diese Frauen haben gelebt, gelacht, geliebt, geweint, getobt, genossen und gelitten– aber all das soll man ihnen nicht mehr ansehen. Auch, weil sie ihre eigene Geschichte und Erfahrung leugnen wollen? "Pour toi, je repars à zero." Für dich fange ich wieder bei Null an, wie Edith Piaf einst Mylord anbot.
Der Fazialmuskel im Gesicht ist in rund 80 Untereinheiten verzweigt und damit der leistungsfähigste Signalapparat des Menschen. Die so genannten Primäremotionen wie Freude oder Trauer schlagen sich in feinsten Nuancen im mimischen Muskelspiel nieder und sind nach Ansicht von Verhaltensforschern Teil einer universellen Sprache – wer sich ihrer beraubt, macht sich also quasi sprachlos, lässt sein wichtigstes soziales Organ verkümmern. Und wird unglücklich.
Denn längst ist erwiesen, dass die Mimik nicht nur ein Signal nach außen ist, sondern auch eines nach innen. Ähnlich wie die Gänsehaut uns frösteln lässt und zur Erwärmung des Körpers führt, wirken Grimassen auf die Psyche zurück: Bei einem Angst- oder Wutgesicht beschleunigt sich der Puls, bei einer vor Ekel gerunzelten Stirn sinkt die Herzfrequenz, bei wütend hochgezogenen Augenbrauen steigt die Körpertemperatur.
All das ist nach einer Botox-Behandlung nicht mehr möglich. Selbst wenn man die fehlende Mimik übersehen oder anderweitig ausgleichen wollte – es würde nicht funktionieren. Der Mensch reagiert instinktiv auf das menschliche Minenspiel, Blindstellen oder Tricks in diesem komplexen Zeichensystem sind nicht zu überspielen.
Es ist wie bei jedem neuen Beauty-Trend: Die Künstlichkeit ist nach einer Weile kaum noch zu verhehlen. Man sieht es einfach, man kann sie erkennen, die getuneten Frauen. Man tuschelt über die gestopften, gesaugten und gespritzten Wesen. Aber das scheint sie nicht zu stören.
Die getuneten Frauen der VIP-Klasse wissen aus Erfahrung, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ihre Trends in die Niederungen der Normalos sedimentieren; dass es nicht lange dauert, bis die Bewunderinnen genau so sein wollen wie ihre Stars. Sie wissen, dass sie als VIP-Frauen Vorreiterinnenfunktion haben. Dass sie mit dem Schönheitsdruck auf Leinwand und Modefoto das Schicksal eines gepäppelten Versuchskaninchens erleiden: Lange bevor die Standardfrau sich dem neu kreierten Standard anpasst, tippeln glamouröse VIP-Frauen dauerlächelnd voran, als Werbeträger der Beauty-Industrie.
Eine der Pionierinnen in Sachen Chrirurgie war in den 70er Jahren die Operettensängerin Anneliese Rothenberger, die dank Kälberzellenkuren und Liftings auch mit über 70 noch so unwissend und schüchtern lächeln konnte wie eine 14-Jährige, das immer wieder neu überarbeitete Gesicht ließ keine anderen Regungen mehr zu. Hildegard Knef bekannte sich öffentlich zu ihrem Lifting – und sagte deutlich, dass es eine große Dummheit war ("Du brauchst Jahre, um so ein Gesicht wieder einzuleben").
Heutzutage führt Rapperin Sabrina Setlur jungen Migrantinnen vor, wie sich ein orientalischer Höcker auf der Nase gerade hämmern lässt; Sängerin Britney Spears zeigt Schülerinnen, wie man mit einer Portion Silikon aus einer überaus gewöhnlich aussehenden Postadoleszenten eine ungewöhnlich melkbare Milchkuh macht, und Madonna, die Pop-Ikone schlechthin, dementiert nicht, dass Botox ganz wesentlich zu ihrer jugendlichen Aura beiträgt: Die inzwischen 44-Jährige soll ein regelrechtes Botox-Abonnement in einer Londoner Klinik haben. Das einstige Obergirlie, das zeitlebens als Inkarnation des postmodernden weiblichen Selbstbewusstseins galt, schafft es nicht mehr ohne Gift. Das ist bitter.
Schon folgen Chefeinkäuferinnen, Sekretärinnen, Sachbearbeiterinnen und Pharmareferentinnen dem Beispiel der berühmten Schönen. „Im Fitnessstudio kann man sie leicht erkennen“, sagt ein Kölner Hautarzt, der nicht genannt werden möchte. Wer Botox intus habe, der schwitze an den betroffenen Stellen nicht mehr, erklärt er. Und das könne man sehen. „Diesen Leuten läuft auf dem Trimmrad der Schweiß, das Gesicht wird rot, alles nass – nur die Stirn bleibt blass und eben. Damit sind sie enttarnt“, plaudert der Doktor amüsiert. Er setzt übrigens selbst ab und an die Botox-Spritze, auf Anfrage, diskret und schnell. Die Klientel sei „zwischen 28 und 60“.
Dass die schönheitssüchtige Kundschaft immer jünger wird, ist logisch. Die Töchter der Emanzipation haben es in dieser Hinsicht leichter als ihre Mütter – und damit doppelt schwer. Einerseits steigt unablässig das Angebot an Schönheitsbehandlungen, die Methoden werden vermeintlich einfacher, die Preise sinken – so dass selbst normal verdienende Frauen sich einen Eingriff leichter leisten können als noch vor 20 Jahren. Andererseits führt genau das zu einem gesteigerten Druck: Gerade weil das Beauty-Tuning so leicht zu haben ist, scheint die Entscheidung dafür so nah zu liegen. „Gut möglich, dass eine runzlige Stirn eines Tages als Nachlässigkeit gilt, so wie heute fettige Haare“, prognostiziert Dr. Bolatzky aus Gelsenkirchen.
In der Ära der Ich-AG und des Ego-TaktikerINnentums ist die Selbst-Optimierung beinahe schon Pflicht - Botox, das preiswerte, scheinbar harmlose Präparat für die Instant-Verjüngung, ist wie geschaffen für diesen Fit-for-Fun-Zeitgeist, in dem alles möglich ist. Es treibt die Schein-Demokratisierung in der Beauty-Branche voran. Die Schwelle wird niedriger, nicht nur finanziell, sondern auch moralisch. Wenn selbst der eigene Haut- oder Frauenarzt das Zeug verwendet – was sollte dann daran verkehrt sein?
Im Focus steht die Frau, die ein bisschen Geld hat, aber wenig Geduld, weil sie sich selbige nicht leisten kann. Die Frau, die täglich im Büro erfährt, dass sie doppelt ranklotzen muss, um mitspielen zu dürfen. Die Frau, die vielleicht schon mehrere Coaching-Kurse gebucht hat, um ihren Auftritt in der Männerwelt zu verbessern. Die Frau, die genau weiß, dass Frauenjobs in Krisenzeiten besonders bedroht sind. Die Frau, deren Heiratswahrscheinlichkeit mit jedem weiteren Karrierejahr sinkt. Einer aktuellen Studie der US-Ökonomin Sylvia Ann Hewlett zufolge sind 57 Prozent der Spitzenverdienerinnen verheiratet, aber 83 Prozent der Männer in dieser Gehaltsklasse.
„Wenn Frauen Krisen in ihrem Leben erfahren, dann sind sie oft auch mit ihrem Äußeren unzufrieden; diese Unzufriedenheit hat dann Stellvertreterfunktion“, sagt die Frauen-Coaching-Expertin Lilli Cremer-Altgeld. Die so beschriebene Frau ahnt vermutlich, dass Männer und jüngere Frauen sie vielleicht für eine „frigide Fregatte“ halten, weil sie alleinstehend ist und der Stress im Job ihr eine steile Falte über der Nasenwurzel beschert hat. Sie will vermeiden, dass man ihr den Weg ansieht, den sie bis hierher gegangen ist. Er soll sie auch mit 35 noch für eine 25-Jährige halten, denn 25-Jährige stellen weniger und andere Fragen als 35-Jährige, das findet so mancher Mann attraktiver, weil bequemer.
„Die 40-Jährigen kommen, um sich zu verjüngen, die 30-Jährigen, um sich zu verändern“, sagt Dr. Boris Sommer von der Darmstädter Rosenparkklinik. Die typisch weibliche Sehnsucht, eine andere zu sein – in Botox hat sie ein neues Ventil gefunden.
Der Spiegel betete in einem Schönheitsdossier (47/02) jüngst die Beauty-Methoden der Vergangenheit nach: Von der Rußschminke in der Steinzeit über die Salben der alten Ägypter und die Entknorpelung von Marilyn Monroes Nase – bis hin zu Botox. Alles nicht neu, so das abwiegelnde Fazit des Spiegel-Redakteurs. Aber sie ist eben doch neu, diese besondere Qualität, die die Giftspritze ins Spiel bringt: Sie suggeriert spontanes Glück, lockt mit Dumpingpreisen und Harmlosigkeit, profitiert von dem pseudo-medizinischen Image und schadet vermutlich nicht nur der Seele, sondern auch dem Körper. Das macht sie so besonders gefährlich.
Die Giftspritze hat das Zeug zum Massenpräparat, das haben nicht nur gewinngierige Wirtschaftsanalysten erkannt. Und sie hat das Zeug, Massenschäden anzurichten. Frauen werden zu Zombies, weil sie nicht mehr nicht nur richtig essen, sondern nicht mal mehr richtig fröhlich, wütend oder ulkig sein können.
Norbert Bolz, Professor für Kommunikationswissenschaften an der Uni Essen, spricht von einem Trend zur „Ausmerzung des Besonderen“. Das kennen Frauen in der Tat seit Jahrhunderten: statt um Millionen weiblicher Individuen, geht es um den Prototyp der Frau an sich. „Ich bin ein Kind der heutigen Welt und kann in meinem kurzen Leben das Schönheitsideal nicht umstülpen“, sagte die 38-fach operierte Amerikanerin Cindy Jackson unlängst in einem Zeit-Interview. Die 47-Jährige sieht aus wie eine lebendige Barbie-Puppe, hat nach Angaben der Mensa-Vereinigung für Hochbegabte einen IQ von 164 und unterhält einen Werbevertrag mit der Londoner Highgate-Klinik für Schönheits-Medizin. Sie halte sich für eine „Self-Made-Woman“, im wahrsten Sinne des Wortes, sagt Jackson. Mit Beauty-Ratgebern und Videobändern verdient die künstlich hergestellte Frau eine Menge Geld. Das ist erfolgreiches Selbst-Design auf allen Ebenen.
Warum nicht mal etwas „für sich selber“ tun, wird sich vielleicht auch die Ehefrau und Mutter fragen, wo doch der Rest der Familie Unmengen Geld für ihre Interessen verschleudert, der Mann fürs Auto, der Sohn für den Computer, die Tochter für Klamotten. Da kann Mutter sich ja wohl locker auch mal eine Botox-Spritze leisten. Und dann wird sie zuhause darauf warten, dass ihr Mann was merkt. Doch der merkt nix, so wie immer, wenn sie vom Friseur kommt oder einen neuen Hosenanzug trägt. Er guckt sowieso schon lange nicht mehr hin.
Doch: „Kaum eine Frau lässt sich für ihren Mann verschönern“, behauptet Doktor Bolatzky aus Gelsenkirchen. „Die meisten tun es nur für sich.“ Er schildert Szenen aus dem Wartezimmer: Männer, die auf ihre Frauen einreden, sie sollen die Brustvergrößerung bleiben lassen. Streits vor der OP-Tür, Ehegatten, die mit Scheidung drohen. „Die eine Männerfraktion lehnt einfach die Methoden ab; die andere Fraktion ist schon im voraus eifersüchtig und will nicht, dass dann andere Männer nach ihren Frauen schauen“, sagt Bolatzky. Manni würde seine getunete Mandy also am liebsten einsperren, so wie er den getuneten Manta in der Garage überwintern lässt. Aber die „moderne Frauen“ sei schließlich „selbstbewusst“ und setze sich meistens durch, behauptet der Doktor.
Vielleicht gibt es die moderne, selbstbewusste Frau tatsächlich. Doch die wird vermutlich einen großen Bogen um Ärzte dieser Gattung machen. Sie wird stattdessen über die bis zum Scheitel festgezurrten Schießbudenfiguren mitleidige Grimassen schneiden. Und falls der gespritzte Zombie sich wehren will, kann er beziehungsweise sie das nicht. Der Zombie wird mit geschürzten Lippen und starrem Blick zurück starren.
Falls die wirklich moderne, selbstbewusste Frau ein Vorbild will: Das gibt es längst, und wieder kommt es aus den USA. Jamie Lee Curtis heißt es. Die 44-jährige Schauspielerin („Ein Fisch namens Wanda“) gab vor wenigen Wochen im Interview mit dem US-Magazin More zu, selbst vor einigen Jahren auf dem OP-Tisch gelegen zu haben – und es zu bereuen. Jetzt ließ sie sich fotografieren, nackt, ungeschminkt und unretuschiert in Alltagslicht. „Ich wollte einfach mal meinen kleinen fetten Bauch, meine sehr großen Brüste und meine Oberschenkel zeigen, die nicht besonders toll sind.“
Das ist es wohl, was man cool nennt. Madonna muss sich warm anziehen.
Von der Autorin erschien zuletzt: „Fortschreitende Herzschmerzen bei milden 18 Grad“ (Kiepenheuer & Witsch).