„Babycaust“ - Keine Volksverhetzung?

Kristina Hänel und UnterstützerInnen vor dem Weinheimer Gericht. - Foto: SWR
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Die gute Nachricht zuerst: Klaus Günter Annen ist – mal wieder - verurteilt worden. Weil er die Gießener Ärztin Kristina Hänel als „Auftragsmörderin“ verunglimpft hat, die „Massenmord im Mutterleib“ begehe. Hänels „verabscheuungswürdiges Verbrechen“: Die Medizinerin führt in ihrer Praxis Abtreibungen durch.

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Das Amtsgericht Weinheim, wo Klaus Günter Annen lebt, hat den 71-jährigen ehemaligen Industriekaufmann und fanatischen Abtreibungsgegner jetzt wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 1.200 Euro verurteilt. Die Äußerungen des Angeklagten seien „ehrverletzend“ und „nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt“.Die schlechte Nachricht: Die Staatsanwaltschaft  Mannheim, die das Verfahren führte, hatte zwar den Straftatbestand der Beleidigung für erfüllt gehalten, nicht aber den der Volksverhetzung. Dabei war das der zweite und viel weitreichendere Teil der Strafanzeige gewesen.

Das „Institut für Weltanschauungsrecht“ hatte den christlichen Fundamentalisten Annen angezeigt, unterstützt von über 100 Personen und Organisationen, darunter über die Hälfte GynäkologInnen, die „Doctors for Choice Germany“, das „Auschwitz-Komitee in der BRD“ und die Giordano Bruno Stiftung.    

Annen zeigt das Tor von Auschwitz neben einem gynäkologischen Stuhl

Denn Klaus Günter Annen belagert nicht nur Arztpraxen und zeigte immer wieder ÄrztInnen wegen des Verstoßes gegen den §219a an, darunter auch Kristina Hänel. Annen betreibt auch seit vielen Jahren die Website www.babykaust.de. Dort schreibt er: „Der Holocaust der Nazis ist der Inbegriff des Grauens im Dritten Reich. Gibt es eine Steigerungsform der grausamen Verbrechen? Ja, es gibt sie!“ Und weiter: „Seit vielen Jahrzehnten erleben wir in Deutschland den Massenmord an unseren ungeborenen Kindern. Früher KZs, heute OPs." Dazu stellt er Bilder zerstückelter Embryonen.

Schon mehrfach war der christliche Fundamentalist deshalb von ÄrztInnen angezeigt worden, die namentlich auf der „Babykaust“-Website genannt wurden. Denn unter dem Link „Abtreiber“ listet Annen über tausend MedizinerInnen inclusive Adressen auf, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Doch die Verurteilungen, die die ÄrztInnen erreichten, galten stets nur für sie persönlich. Auch Kristina Hänel gewann im August 2020 vor dem Hamburger Landgericht eine Unterlassungsklage gegen Klaus Günter Annen, sie daraufhin nicht mehr als „Kindermörderin“ und „entartet“ bezeichnen durfte.

Die Staatsanwaltschaft sieht auf der Website keine Verharmlosung des Holocaust

Doch der Fanatiker macht immer weiter. Er zahlt die Geldbußen, löscht die beanstandete Beleidigung, doch „Babykaust“ bleibt. Deshalb nun die Anzeige wegen Volksverhetzung, die dem widerwärtigen KZ-Vergleich grundsätzlich Einhalt geboten hätte. Und das wäre nicht nur im Sinne der Holocaust-Opfer und ihrer Nachfahren ein Muss. Sondern auch im Sinne der betroffenen ÄrztInnen, die nicht nur beleidigt werden, sondern auch bedroht. 

"Indem Klaus Günter Annen die Verbrechen des Holocaust in einen direkten Vergleich mit Schwangerschaftsabbrüchen stellt, stachelt er zu Hass und Gewalt gegen die betroffenen Ärztinnen und Ärzte auf“, erklärt Kristina Hänel. „Er suggeriert damit, dass ein gewaltsamer Widerstand, der damals moralisch integer und geboten war, womöglich heute gegen uns Ärztinnen und Ärzte auch integer und geboten sein könnte. Letztlich legitimiert er damit etwaige gewalttätige Angriffe gegen uns.“

Hänel weiß, wovon sie redet. Seit die Ärztin 2017 wegen Verstoßes gegen den §219a verurteilt worden war und zur Galionsfigur für den Kampf gegen das schändliche Gesetz geworden war, hatte Hänel massenhaft Morddrohungen erhalten. Vor ihrer Praxis hatten sogenannte „Lebensschützer“ demonstriert und ihre Patientinnen eingeschüchtert. Es ist auch dieser massiven Bedrohung von ÄrztInnen geschuldet, dass die Zahl der MedizinerInnen, die Abbrüche vornehmen, immer weiter schrumpft. Besonders in ländlichen Gegenden müssen ungewollt schwangere Frauen bis zu 100 Kilometer fahren, um eine Abtreibung vornehmen zu lassen.

Der "Lebensschützer" wurde schon mehrfach verurteilt, macht aber immer weiter

Dennoch: Die Staatsanwaltschaft Mannheim lehnte eine Strafverfolgung von Klaus Günter Annen wegen Volksverhetzung, hier speziell der Verharmlosung des Holocaust, von vornherein ab. Was Annen betreibe, sei „keine Verharmlosung des Holocausts, sondern eine maßlose Übertreibung bezüglich der Schwangerschaftsabbrüche“. Nicht nur Kristina Hänel findet das unverständlich: "Auf seiner Webseite findet sich das Tor von Auschwitz neben einem gynäkologischen Stuhl, auf dem eine Frau liegt. Wenn das nicht eine Verharmlosung des Holocaust darstellt, was dann?" fragt die Ärztin.

 

 

Michael Schmidt-Salomon, Sprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, kommentiert empört: „Das ist Volksverhetzung in Reinkultur!“ Denn: „Es handelt sich dabei nicht bloß um eine geschmacklose, abwegige Meinung und auch nicht bloß um eine Form der Beleidigung, sondern um einen Aufruf zur Gewalt. Denn wenn das Stauffenberg-Attentat gerechtfertigt war, warum dann nicht auch Anschläge auf Ärztinnen und Ärzte?" Diese Frage ist sehr ernst zu nehmen: In den USA haben sogenannte „Lebensschützer“ seit den 1980er Jahren elf Ärzte und MitarbeiterInnen von Abtreibungskliniken ermordet.    

Die Regierung kündigte an, den § 219a streichen zu wollen. Es eilt!

Die UnterstützerInnen der Strafanzeige des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw)
 

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