Christian Lindner: Sexist Man Alive 2020
Er hat es wieder getan. Nicht derselbe. Nein. Aber ein Ähnlicher, auch ein FDP-Spitzenmann. Anno 2012 hatte Rainer Brüderle, damals 66 und FDP-Spitzenkandidat, für einen Skandal gesorgt, indem er am späten Abend an einer Hotelbar der beruflich anwesenden Stern-Reporterin Laura Himmelreich, 28, das gönnerhafte Kompliment gemacht hatte: „Sie können ein Dirndl auch ausfüllen.“
Acht Jahre später tönte es bei dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner nicht minder jovial – aber diesmal nicht zu einer Journalistin, sondern, ärger noch, zu einer Parteikollegin. Und auch noch einer, die er gerade ausgebootet hatte. Der Altherrenwitz in der Version Newboyscherz.
Auf dem Bundesparteitag der FDP am 22. September 2020 verabschiedet Christian Lindner, 41, seine erst jüngst mit 93 Prozent gewählte Generalsekretärin Linda Teuteberg, 39, mit den Worten: „Ich denke daran, Linda, dass wir in den vergangenen 15 Monaten etwa 300 mal den Tag zusammen begonnen haben.“ Leichte Unruhe im Saal, vereinzelte Lacher. „Ich spreche über unser tägliches morgendliches Telefonat zur politischen Lage“, fährt der „im offenen weißen Hemd auf der Bühne herumspazierende Lindner“ (FAZ) fort. „Nicht, was ihr jetzt denkt.“ Hahaha.
Nur verzögert gibt es Proteste und Spott. Von eigenen Parteikolleginnen, aber auch von PolitikerInnen anderer Parteien und JournalistInnen. Denn diese Art von Softsexismus ist zwar nicht mehr der gute alte brachiale eines Brüderle, dafür jedoch der fiese neue subtile eines Lindner. Das kommt letztendlich auf dasselbe raus: Es wirft die mit einer solchen Anzüglichkeit bedachte Frau zurück auf ihr Frausein.
Die Journalistin, über deren Busen man fantasiert. Die Parteikollegin, die neben ihm im Bett liegen könnte – aber noch nicht mal da liegt. Da liegt die neue Lebensgefährtin, die RTL-Journalistin Franca Lehfeldt, 30. Nach der, verriet Lindner in einem Podcast mit Ulrich Wickert, tastet er nach dem Schrillen des Weckers immer gleich als erstes. Wie schön.
Die Biografie von Lindner ist hinlänglich über die Medien verbreitet worden, er hat sogar schon eine Autobiografie verfasst. Alles darin deutet darauf, dass da einer ein Mann sein will, der in Wahrheit kein „richtiger“ ist, zumindest nicht so, wie er sich einen echten Mann vorstellt. Christian war ein dicker kleiner Junge, der allein mit der geschiedenen Mutter aufwuchs und gerne die Puddingschnecken seines Bäcker-Großvaters aß. Wogegen nichts zu sagen ist. Er aber trat an gegen den gemobbten kleinen Jungen und wurde ein schlanker (fast) echter Mann.
Mit 20 Porschefahrer und Unternehmer, mit 21 Landtagsabgeordneter, mit 30 Generalsekretär und mit 34 Parteivorsitzender, Reserveoffizier der Luftwaffe (schicke Uniformen!) und Model auf Wahlplakaten. Hobbys: Sport, Grillen, Autos. Dem Stern hat er erzählt, „an einem typischen Samstag wasche ich am liebsten mein Auto. In Handwäsche.“ Und als die Interviewer hüstelten, insistierte Lindner: „Kennen Sie denn nicht diese Freude, wenn man mit dem Schwamm über das Dekolleté und die Hüften streicht?“ Klarer Fall: Der Mann hat’s nötig.
Doch den dicken kleinen Jungen konnte er dennoch nie ganz austreiben. Immer wieder zog er, pardon, den Schwanz ein. Traute sich angetragene Posten „noch nicht“ zu und verpatzte am 19. November 2017 den Eintritt in die Regierung (geplant mit Union und Grünen). Begründung: „Es ist besser, nicht zu regieren, als schlecht zu regieren.
“Eine Entscheidung, die sein Image als Puddingschnecke verstärkte. Schon FDP-Haudegen Jürgen Möllemann hatte den damals mit 21 jüngsten Landtagsabgeordneten herablassend „Bambi“ genannt. So sind sie, die Jungs. Sie lassen nicht jeden in ihrem Club mitspielen.
In der Männerpartei FDP ist folgerichtig nur jedes fünfte Mitglied und nur knapp jeder vierte Bundestagsabgeordnete weiblich. Lindner persönlich trägt kräftig dazu bei, dass die Liberalen ein Männerverein bleiben. Die Frauenquote lehnt er strikt ab. Das einst vom damaligen Justizminister Maas vorgeschlagene Verbot sexistischer Werbung bezeichnete er als „an Spießigkeit nicht zu überbieten“. Dafür begrüßte der taffe Herr Lindner die antifeministischen, selbsternannten „Männerrechtler“ mit Arne Hoffmann im Wahljahr 2017 mit offenen Armen.
Bemerkenswert ist allerdings, dass niemand mit diesem emanzipationsphoben Möchtegernmann so scharf ins Gericht geht wie Männer seiner Generation. So hämte Spiegel-Reporter Marc Hujer 2018 über ihn: „Christian Lindner macht gern Dinge, die richtige Männer machen: Er besitzt einen Sportbootführerschein, ein Funkzeugnis und eine deutsche Rennfahrerlizenz. Vor wenigen Wochen hat er in Mecklenburg-Vorpommern einen Jagdschein erworben, mit dem er überall jagen kann. Für fast jede Form männlicher Freizeitbeschäftigung hat er inzwischen eine Lizenz.“
Lindner hatte den Fehler gemacht, den Spiegel-Reporter am Steuer seines Porsches zu empfangen und mit demselben „aufgekratzt“ quälend lange zu protzen. Anscheinend geht er davon aus, alle Männer seiner Generation würden vom Grillen und Porschefahren träumen und hörten am liebsten sich selber reden.
In EMMA hatte Fred Grimm dem FDP-Chef ein Jahr zuvor bescheinigt: „Eine Prise Trump steckt auch in dem FDP-Mann, der als modern gilt, weil er sein Smartphone richtig herum halten kann. Und der natürlich auch mitbekommen hat, dass sein Publikum immer dann besonders laut jubelt, wenn er Worte wie ‚Frauenquote‘ ausspricht, als würde er dabei auf ein benutztes Tampon beißen. Gerade dann, wenn den Smarten wie Lindner die Weiber in die Quere kommen.“
Gerade ist ihm ein Weib in die Quere gekommen. Da hat er mal wieder den Sexisten raushängen lassen. Und weil er damit so typisch ist für seine Sorte des Möchtegernmannes – unter dem nur noch die Frauen sind – ernennen wir hiermit Christian Lindner zum SEXIST MAN ALIVE 2020! EMMA gratuliert.