In der aktuellen EMMA

Cooles Kalifat und hippe Scharia?

Zwei vollverschleierte Frauen auf der Islamisten-Demo in Hamburg. Foto: Blaulicht News/IMAGO
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100 Islamisten marschierten am 27. April durch Hamburg und forderten die Einführung eines Kalifats. Zwei Wochen später, nach heftigen Debatten in den Medien und Auflagen der Politik, waren es bereits 2.300 Personen. Das ist nichts Neues. Bereits im November 2023, kurz nach dem Massaker der Hamas in Israel, fand eine ähnliche Demonstration in Essen statt. Da waren es mehr als 3.000 Personen, die verschleierten Frauen marschierten getrennt von den Männern. Die Teilnehmer schwenkten schwarze Fahnen, auf denen in weißer Schrift das islamische Glaubensbekenntnis geschrieben war, skandierten antiisraelische Parolen und riefen immer wieder „Allahu akbar“.

In Hamburg war die Gruppe „Muslim interaktiv“ Organisator der Veranstaltung, in Essen die in Berlin ansässige Schwesterorganisation „Generation Islam“. Zusammen mit einer dritten Gruppe, die sich „Realität Islam“ nennt, gilt sie nach Angaben des Verfassungsschutzes als gesichert extremistisch und als Nachfolgeorganisation der international agierenden „Hizb ut-Tahrir“. Diese wurde im Jahr 1953 von einer Abspaltung der ägyptischen Muslimbruderschaft gegründet und ist in vielen Ländern aktiv, um Muslime zu agitie ren, sich der Scharia zu unterwerfen und für die Zerstörung Israels zu werben. Ihr Ziel ist außerdem die „Auflösung der postkolonialen Ordnung“ in der muslimischen Welt und damit auch der Nationalstaaten. An ihre Stelle soll ein Kalifat treten, also eine islamistische Gesellschaft, die sich allein an der Scharia orientiert und von einem Führer geleitet wird, der angeblich den Willen Gottes vertritt.

In Deutschland wurde die Truppe im Jahr 2003 verboten, doch ihre Nachfolger setzen das Programm der Mutterorganisation ungehindert fort. Sie haben sich ein modernes Image gegeben, das vor allem bei jungen Muslimen Anklang findet. Bewusst greift man Teile eines linken Sprachduktus auf, spricht von „Narrativen“ und „Diskursen“ und bemüht Fragmente woker Identitätspolitik, in der Muslime als Opfer einer tendenziell rassistisch bzw. islamfeindlichen Mehrheitsgesellschaft gelten. Sie seien nämlich, so die zentrale Botschaft, ausschließlich der islamischen Normenlehre verpflichtet, wie sie aus dem Koran und den Hadithen, d. h. den Quellen über das Leben und die Aussagen Mohammeds, entnommen werden sollten. Integration lehnen sie ebenso ab wie die hierzulande geltenden Werte (wie die Gleichberechtigung der Geschlechter). Die Erwartung, dass auch Muslime die normative Ordnung der Bundesrepublik anerkennen sollten, skandalisieren sie als „Wertediktatur“.

In den Sozialen Medien erreichen sie Zehntausende. Veranstaltungen werden von der eigenen Medienabteilung gefilmt, danach professionell geschnitten, mit islamischen Gesängen unterlegt und auf YouTube eingestellt. Eine besondere Rolle fällt ihren Führungspersonen zu, die als Influencer agieren. Sie ordnen aktuelle Themen vor dem Hintergrund eines islamistischen Denksystems ein, bieten Vortragsreihen zu Fragen des muslimischen Alltags an und agitieren für eine islamistische Geschlechterordnung.

Dabei dreht sich vieles um die Verschleierung. „Meine Tochter will den Hijab tragen“ lautet der Titel eines Videos von „Generation Islam“, „Meine Tochter möchte nicht den Hijab tragen“ ein anderes. Empfohlen wird, dass Eltern ihre Töchter bereits in frühem Alter gemäß der Scharia erziehen und darauf achten, dass sie keine Freundschaft mit Nichtmuslimen schließen.

Bereits im Jahr 2016 trat „Realität Islam“ mit dem Hashtag #BurkaUnsereIdentität an die mediale Öffentlichkeit. Das dreifache Bekenntnis (Ja zum Islam. Ja zu unserer Identität. Ja zur Burka.) wurde durch die stilisierte Darstellung einer vollverschleierten Frau unterstrichen. Nach Angaben des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz war die Aktion zunächst nicht sonderlich erfolgreich, bis die Frauenrechtsorganisation Terre des femmes zwei Jahre später eine Kampagne gegen das Kinderkopftuch initiierte und die Landesregierung Nordrhein-Westfalen erwog, die islamische Verschleierung für Mädchen unter 14 Jahre zu verbieten. „Realität Islam“ organisierte prompt eine Unterschriftensammlung mit dem Slogan „Nein zum Kopftuchverbot“ und dem Hashtag #KopftuchunserePflicht. Ein Plakat mit einem kleinen kopftuchtragendenden Mädchen demonstrierte, worauf die Botschaft „Nicht ohne mein Kopftuch“ hinauslaufen sollte. 170.000 Personen unterzeichneten die Petition für das Kinderkopftuch innerhalb kurzer Zeit.

Obwohl die Kampagne maßgeblich im Internet geführt wurde, spielten auch Offline-Aktivitäten in Fußgängerzonen und Moscheen eine Rolle. Diese doppelte Strategie wird bis heute praktiziert.

Im Jahr 2019 wurde unter dem Hashtag #meetRealitätIslam explizit für Offline-Veranstaltungen geworben, die Hunderte von Interessenten vor allem aus dem Umfeld muslimischer Schüler und Studenten anzogen. Der Verfassungsschutz sah sich genötigt, explizit vor der Gruppe zu warnen.

Seit 2020 reklamiert „Muslim interaktiv“ mit spektakulären Auftritten den öffentlichen Raum in Hamburg. Ihr Auftreten setzt auf Einschüchterung. Gewöhnlich marschieren schwarz gekleidete Personen in paramilitärischer Formation durch die Straßen. Wenn Frauen dabei sind, laufen sie streng verschleiert hinter den Männern. Es sind unverhohlene Machtdemonstrationen, die bisher weder von der Politik noch von den Behörden verhindert werden.

Auch für „Generation Islam“ war Essen nicht die erste Offline-Aktivität. Ihr Frontmann Ahmed Tamim hatte kurz zuvor bereits in Berlin ein öffentliches Gebet seiner männlichen Anhänger am Alexanderplatz organisiert, in dem die göttliche Unterstützung für den Kampf gegen Israel erbeten wurde.

Schon vor mehr als zehn Jahren setzten dschihadistische Gruppen wie al-Qaida oder der Islamische Staat soziale Netzwerke für die Mobilisierung ihrer Anhängerschaft ein. Heroische Inszenierungen muslimischer Kämpfer, die sich unter religiösen Parolen einem vermeintlich gottlosen Westen entgegenstellen, gehörten ebenso zum Standardrepertoire wie Darstellungen muslimischer Massen, die unter Anleitung ihrer wortgewaltigen Führer die Einheit der Ummah, der islamischen Weltgemeinschaft, beschwören. Slogan: „Allah hat uns auserwählt!“.

Symptomatisch ist die unverhohlene Frauenverachtung. Der salafistische Konvertit Pierre Vogel postete vor einigen Jahren eine Rede, in der er zum Besten gab, dass muslimische Männer im Paradies von Heerscharen wunderschöner beischlafbereiter Jungfrauen erwartet würden, während muslimische Frauen sich mit ihrem Gatten abzufinden hätten. Der palästinensisch-stämmige Abul Baraa, der mit seiner Familie während des libanesischen Bürgerkriegs in Deutschland aufgenommen wurde, versteht sich explizit als Anwalt muslimischer Männer, die ihre patriarchalische Autorität gerne etwas handfester durchsetzen würden. Er hält Häusliche Gewalt für islamisch geboten, wenn eine Frau es an Gehorsam gegenüber ihrem Gatten fehlen lässt.

Immer fallen islamistische Influencer dadurch auf, dass sie gegen Kritiker des Islamismus mobil machen und diese unter Verwendung von persönlichen Angaben als Feinde des Islam brandmarken. Spätestens seit dem Mord an dem französischen Lehrer Samuel Paty wissen wir, dass solche Kampagnen alles andere als harmlos sind. Gegen Paty wurde von Islamisten in den Sozialen Medien gehetzt, nachdem er im Unterricht den islamistischen Anschlag auf Charlie Hebdo besprechen wollte. Der Terrorakt hatte die Meinungsfreiheit in Frankreich nachhaltig beschädigt, denn Themen, die mit dem Islam zusammenhängen, werden seitdem häufig vermieden. Islamistische Hetze im Internet kann also tödlich sein. Deshalb ist es umso unverständlicher, dass man sie in Deutschland gewähren lässt.

Wer es mit der „wehrhaften Demokratie“ ernst meint, sollte die bisherige Islampolitik grundsätzlich überdenken und neu ausrichten.

SUSANNE SCHRÖTER

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