Corona & Männergewalt

Foto: imago images / Arnulf Hettrich
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Es wird eng. Im wahrsten Sinne des Wortes. Viele Familien werden in den kommenden Wochen durch die Corona-Schutzmaßnahmen auf engem Raum zusammenleben müssen. Konflikte sind vorprogrammiert. Die Statistiken der Polizei zu Männergewalt an Weihnachten oder anderen Familienfeiertagen belegen den Anstieg von Gewalt in diesen Situationen. Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen schlagen Alarm. Sie befürchten in den nächsten Wochen noch deutlich mehr Männergewalt bis hin zu Femiziden. 46 Morde an Frauen gab es bereits in diesem Jahr. Jeden dritten Tag stirbt eine Frau allein wegen ihres Geschlechts durch einen Mann. 2019 waren es 135.

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2020 gab es bereits 46 Femizide

„Es wird dramatisch. Je früher wir uns das bewusst machen, desto schneller können wir handeln“, sagt Sylvia Haller von der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF), die rund 100 der mehr als 350 bundesweiten Häuser vertritt. Corona verschärft damit die ohnehin schon dramatische Situation der Frauenhäuser in Deutschland (EMMA berichtete), Plätze (14.000 Frauenhausplätze fehlen) wie Finanzierung sind dauerhaft knapp. Neben dem Bedarf steigt nun das Risiko, Mitarbeiterinnen und andere im Haus wohnende Frauen anzustecken und damit den Betrieb vollständig lahmzulegen.

Ein Unterkommen in Frauenhäusern sei in der Corona-Krise „fast aussichtslos“, befürchtet auch die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Cornelia Möhring. Sie fordert die schnelle Bereitstellung von Notunterkünften, in denen Frauen Unterstützung erhalten und der Gefahrenzone entkommen können. „Das ist für Frauen überlebenswichtig“, sagt sie. Obwohl Frauenministerin Franziska Giffey (SPD) erklärt hatte, Gewaltschutz zum Schwerpunkt machen zu wollen, war Männergewalt in Corona-Zeiten bislang kein Thema.

Schutz in Frauenhäusern aussichtslos

In Deutschland kämpfen bislang nur AktivistInnen intensiv gegen Femizide. Zum Beispiel Kristina Wolff, Professorin für Event- und Internationales Kongressmanagement. Zuletzt mit einer Aktion auf dem Reichstag (EMMA berichtete). Im Januar 2019 startete sie auf change.org ihre Online-Petition „Stoppt das Töten von Frauen #saveXX“. Darin fordert sie Bundesjustizministerin Christine Lambrecht und Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD) auf, verschärft gegen tödliche Gewalt gegen Frauen vorzugehen. Mehr als 79.000 Menschen haben die Petition unterzeichnet. Viel ist seitdem nicht passiert.

Wie schnell die Situation eskalieren kann, zeigte sich in China. Während der Quarantänemaßnahmen in Wuhan verdreifachte sich die Zahl von Männergewalt gegen Frauen und Kinder.

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„Wir weisen täglich eine Frau ab!“

Foto: tg24
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Wer hat 16 türkisfarbene Liegestühle auf den Weimarer Marktplatz gestellt? Und warum? Denn draufsetzen kann man sich nicht, weil auf jedem Stuhl ein Schild liegt: „(Voll) belegt“. Wer näher kommt, erkennt schnell: Nein, hier entsteht keine neue Cocktail-Lounge. Urheberin der ungewöhnlichen Szenerie ist vielmehr die „Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser“, kurz ZIF.

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Jede Frau, die keinen Platz findet, kann am nächsten Tag schon tot sein

Denn im schicken Hotel Elephant am Marktplatz tagen gerade die Frauenministerinnen der 16 Bundesländer. Und die sollen, so fordert der Dachverband von rund 130 Frauenhäusern, endlich ihr Versprechen umsetzen: genügend Frauenhaus-Plätze! Denn: „Die Suche nach einem freien Frauenhausplatz ist gerade in Ballungsgebieten ein fast aussichtsloses Unterfangen.“ Die Frauenhäuser sind, wie die Liegestühle, oft „voll belegt“.

Rund 4.300 Plätze für Frauen und Kinder, die vor gewalttätigen Ehemännern und Lebensgefährten flüchten, fehlen in Deutschland, rechnet die ZIF vor. Laut Europarat soll es pro 7.500 EinwohnerInnen einen Platz im Frauenhaus geben. Aber nur zwei Bundesländer, nämlich Bremen und Sachsen-Anhalt, halten diese Quote ein. Bei den Schlusslichtern Saarland, Bayern und Sachsen kommt ein Frauenhaus-Platz auf 17.000 EinwohnerInnen.

Was das heißt, weiß ZIF-Sprecherin Eva Risse aus ihrem Alltag im Bonner Frauenhaus: „Wir mussten im Jahr 2016 471 Frauen abweisen. Eine Katastrophe!“ Das bedeutet: Jeden Tag muss mindestens eine misshandelte Frau im Zweifel wieder zurück zu ihrem Misshandler. Und das kann Leben kosten. „Machen wir uns nichts vor: Jede Frau, die zu diesem Moment keinen Platz findet, kann am nächsten Tag tot sein“, weiß Brigitte Altenkirch vom Berliner Frauenhaus.

In Thüringen, dem Gastland der Frauenministerinnen-Konferenz, wurden in den letzten Jahren zehn Frauenhäuser geschlossen, statt vormals 22 sind es jetzt nur noch zwölf. 150 Plätze fehlen. Aber auch in anderen Bundesländern stehen immer wieder geschlagene Frauen vor verschlossenen Türen. Das Problem: Die Finanzierung der Frauenhäuser ist Ländersache – und keine Pflichtaufgabe, sondern freiwillige Leistung. Das heißt zum Beispiel: Für Frauen, die keinen Anspruch auf Hartz IV haben – wie zum Beispiel geflüchtete Frauen – wird nichts gezahlt. Das Frauenhaus muss sie entweder abweisen oder die Kosten selbst übernehmen.

Wir brauchen ein Gesetz, dass die Finanzierung bundesweit regelt

Die ZIF-Frauen wollen, dass sich das ändert. „Dazu braucht es ein Gesetz, dass die Finanzierung der Frauenhäuser bundesweit einheitlich und verbindlich regelt“, sagt Eva Risse. Und was sagen die Frauenministerinnen dazu? „Etliche sind aus dem Hotel zu uns auf den Platz gekommen“, berichtet die ZIF-Sprecherin, „und haben mal mehr, mal weniger versprochen.“

Dabei bräuchten die Ministerinnen eigentlich nur ihren eigenen Beschluss von 2016 umzusetzen: „Alle von Gewalt und Zwang betroffenen und bedrohten – einheimischen und ortsfremden - Frauen und deren Kinder sollen zeitnah, zu jeder Tages- und Nachtzeit, unbürokratisch und unabhängig von ihrer finanziellen und leistungsrechtlichen Situation Schutz in einem Frauenhaus finden."

Um sie daran zu erinnern, haben die ZIF-Frauen am Mittwoch die 16 Liegestühle – für jedes Bundesland einen – auf den Weimarer Marktplatz gestellt. Und den Frauenministerinnen ihr Transparent vor die Nase gehalten: „Die Schließung eines Frauenhauses ist Gewalt!"

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