Der Runde Tisch: Wird es endlich ernst

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Die insgesamt 61 Frauen und Männer haben sich in der runden Stunde, in der sie getagt haben, einiges vorgenommen. Der „Runde Tisch Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ will Opfern rückwirkend Genugtuung erfahren lassen, aktuellen Missbrauch aufspüren und zukünftigen verhindern.
Gleich zu Beginn wurde darauf aufmerksam gemacht, dass 90 Prozent aller Missbrauchsfälle im familiären Umfeld passieren – es sind bezeichnenderweise die restlichen 10 Prozent, der Missbrauch in kirchlichen und weltlichen Schulen und Heimen, die den nicht länger zu vertuschenden Skandal losgetreten haben. Die Familie scheint das letzte Tabu zu sein. Die Besetzung dieses Runden Tisches signalisiert: Es muss nicht bei den guten Absichten bleiben – wir haben die Macht, es auch durchzusetzen.

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So bringt Justizministerin Sabine Leutheusser jahrzehntelange Erfahrungen in der Problematik mit (auch wenn die parteitreue Liberale die Sperrung der Kinderpornos im Internet abblockt). Auch Forschungsministerin Annette Schavan ist ein authentisches Interesse am Kampf gegen sexuellen Missbrauch zuzutrauen. Und die neue Frauen-und Familienministerin Kristina Schröder hätte hier Gelegenheit, aus einem reichen Erfahrungspotenzial zu schöpfen.
Denn mit von der Partie ist Ex-Frauenministerin Christine Bergmann (SPD), die in ihrer Amtszeit (1998-2002) den Kampf gegen die Gewalt gegen Frauen und Kinder zu einem ihrer Schwerpunkte gemacht hatte. Als frisch ernannte „Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung“ und bundesweite Obfrau für die Opfer kann sie auf ihren schon 2003 verabschiedeten, fünfzigseitigen (!) „Aktionsplan gegen Missbrauch“ zurückgreifen – der liegt nämlich seit sieben Jahren in der Schublade.

Es ist zu  hoffen, dass der starke öffentliche Druck die Politik diesmal daran hindern wird, nur wieder zu reden und nicht zu handeln. Denn gehandelt werden muss, und zwar so rasch wie möglich. Als erstes müssen die Opfer endlich ernst genommen und gehört werden. Als zweites müssen die Beratungs- und Hilfsorganisationen ausreichend bestückt und finanziert sein (zur Zeit läuft das Gegenteil: Mittel werden gestrichen). Als drittes müssen Aufklärung und Weiterbildung von PädagogInnen, ÄrztInnen und JuristInnen her – zur Früherkennung und Verhinderung von (weiteren) Missbrauchsfällen.
Nicht nur Ursula Enders von der Kölner Beratungsstelle „Zartbitter“ kritisierte, dass diejenigen, die sich Tag für Tag um die Opfer kümmern, nicht an den Runden Tisch gebeten wurden (zu feministisch?). Gabriele Beyler, die Leiterin der Gedenkstätte „Geschlossener Jugendwerkhof Torgau“ macht darauf aufmerksam, dass auch die Opfer aus den DDR-Heimen nicht vertreten sind. Es ist also auch an der Zusammensetzung des Runden Tisches noch einiges zu tun.
EMMA wird in ihrer nächsten Print-Ausgabe ausführlich über die Problematik berichten.
Weiterlesen:
Eine Auswahl bisheriger Veröffentlichungen unter EMMA-Kampagne gegen sexuellen Missbrauch  
Ganz schön gestaunt im Westen (Interview mit Frauenministerin Bergmann, 6/98)
Die feministische Senatorin (2/98)
Ich bin gegen den §218 auf die Straße gegangen (Interview mit der Justizministerin Schnarrenberger, 2/93)
EMMAonline, 23.4.2010

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