„Das ist gegen die Verfassung!"

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In der Debatte wird oft der Eindruck erweckt, das Bundesverfassungsgericht hätte das gesamte Transsexuellengesetz für verfassungswidrig erklärt.
Das stimmt so nicht. Das Transsexuellengesetz wurde von Karlsruhe in mehreren Prozessen nur teilweise für verfassungswidrig erklärt. So hat das Gericht 2011 entschieden, dass eine Operation nicht länger Voraussetzung ist für den Eintrag eines neuen Personenstandes. Das gilt auch für die damit verbundene Zeugungsunfähigkeit und den Scheidungszwang. Was das Bundesverfassungsgericht aber eben nicht für verfassungswidrig erklärt hat, sind die Sachverständigen-Gutachten als Voraussetzung für den Geschlechtswechsel. Im Gegenteil: Das Gericht hat betont, dass es ein berechtigtes Interesse des Gesetzgebers gibt, dem Personenstand „Eindeutigkeit und Dauerhaftigkeit zu verleihen“, um „beliebige Personenstandwechsel auszuschließen“. Deshalb hat Karlsruhe zweimal eine Klage abgewiesen, bei der der Kläger durchsetzen wollte, sich nicht begutachten lassen zu müssen.

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Aber wenn sich jeder und jede mit einem einfachen Gang zum Standesamt einmal im Jahr zu Mann, Frau oder als „divers“ erklären kann, wie es das „Selbstbestimmungsgesetz“ vorsieht, ist das ja äußerst beliebig. Auch der Bundesrat hat gerade beklagt,dass der Gesetzentwurf „auf jeglichen Nachweis der Ernsthaftigkeit, Wahrhaftigkeit und Beständigkeit“ des Wunsches nach Änderung des Geschlechtseintrags verzichtet.
In der Tat. Der vorliegende Gesetzentwurf setzt dieses von Karlsruhe formulierte berechtigte staatliche Interesse an einer Beständigkeit der personenstandrechtlichen Zuordnung einer Person nicht um. Man muss noch einmal ganz klar sagen: Das Transsexuellengesetz richtete sich an Transsexuelle und hat diese Gruppe auch klar definiert, nämlich: als Menschen, die unter dem Zwang stehen, im anderen Geschlecht leben zu wollen. Das Selbstbestimmungsgesetz richtet sich aber an alle Menschen. Jeder und jede könnte sich künftig einen der vier möglichen Personenstandseinträge aussuchen: männlich, weiblich, divers oder gar kein Eintrag.

Was folgt daraus?
Als der Artikel „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ in die Verfassung geschrieben wurde, gingen die Verfasser ganz selbstverständlich von einem biologischen Geschlechtsbegriff aus. Wenn der Gesetzgeber den Geschlechtsbegriff nun derart fundamental neu definieren will – indem er sagt: „Eine Frau ist, wer sich zu Frau erklärt“ – dann müsste dazu die Verfassung geändert werden. Dazu bedürfte es aber einer Zweidrittel-Mehrheit im Parlament. Das wäre auch deshalb richtig, weil es bei einer solchen Änderung des Geschlechtsbegriffs wichtig wäre, dass es einen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt. Den sehe ich aber überhaupt nicht.

Von den Befürwortern des sogenannten „Selbstbestimmungsgesetzes“ wird auch gern die Karlsruher Entscheidung zum sogenannten „Dritten Geschlecht“ herangezogen.
Auch dieses Urteil knüpft an das biologische Geschlecht an. Hier hatte eine körperlich intersexuelle Person darauf geklagt, sich nicht für den Personenstand „männlich“ oder „weiblich“ entscheiden zu müssen. Das Gericht gab dem statt und erklärte: Eine Person, die nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden kann, hat das Recht auf den Geschlechtseintrag „divers“. Da geht es aber ganz klar nicht darum, wie die Person sich selbst zuordnet, sondern um einen Menschen mit Turner-Syndrom, also eine Person mit körperlichen „Varianten der Geschlechtsentwicklung“, wie es korrekt heißt. Das hat der Bundesgerichtshof auch bestätigt. Dieser Fall kann also gerade nicht herangezogen werden, um zu rechtfertigen, dass jeder seinen Geschlechtseintrag definieren kann, wie er oder sie das gerade möchte.

Abgesehen davon, dass Sie die Definition des Geschlechtsbegriffs im vorliegenden Gesetzentwurf für unzulässig halten, kritisieren Sie auch einzelne Teile des Gesetzes als verfassungswidrig. Welche sind das?
Zunächst ist es mit diesem Geschlechtsbegriff kaum möglich, den Artikel 3 der Verfassung umzusetzen. Denn um den staatlichen Gleichstellungsauftrag zu erfüllen, brauchen wir valide Untersuchungen darüber, wie und wo Frauen und Männer ungleich behandelt werden. Wenn man nun einen Geschlechtsbegriff hat, der einen beliebigen Geschlechtswechsel durch Sprechakt vorsieht, kann man diese Bestandsaufnahmen nicht mehr seriös erstellen, weil jeder als Frau gilt, der sich als solche definiert.

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Sie sagen auch, dass das SBGG gegen Kinderrechte verstößt.
Ja, denn das Gesetz erlaubt Eltern, den Geschlechtseintrag ihres Kindes ohne jede Hürde zu ändern, also auch ohne eine psychologische Beratung oder ähnliches. Möglich soll das von Geburt an sein, also schon bei einem Säugling. Eltern sind zwar grundsätzlich für das Kind verantwortlich, aber laut Artikel 6 des Grundgesetzes ist der Staat „Wächter über das Kindeswohl“. Der Staat wird seiner Wächterfunktion aber nicht gerecht, wenn er den Eltern beliebige Geschlechtszuweisungen für einen Säugling überlässt. Man stelle sich vor, dass Eltern, die lieber einen Sohn statt einer Tochter gehabt hätten, das Mädchen als Jungen eintragen lassen. Oder einen Sohn, den sie zu feminin finden, als Mädchen eintragen lassen. Zwar steht in der Gesetzesbegründung: „Freilich kann es nicht sein, dass die Eltern frei in der Bestimmung des Geschlechts ihres Kindes sind.“ Aber in der Praxis interessiert den Standesbeamten natürlich erstmal das Gesetz.

Und wie steht es mit den Elternrechten?
Ein Jugendlicher oder eine Jugendliche ab 14 Jahren soll auch gegen den Willen der Eltern den Geschlechtseintrag ändern können. Die Eltern haben aber laut Verfassung das Erziehungsrecht, das hier sehr deutlich beschnitten wird.

Im Gesetzentwurf heißt es: „Stimmen die Eltern nicht zu, ersetzt das Familiengericht die Zustimmung, sofern das dem Kindeswohl nicht entgegensteht.“
Das „Kindeswohl“ ist ein ganz offener Rechtsbegriff, der sich immer erst im Einzelfall mit Leben füllt. Diese Einzelfallentscheidung trifft dann ein Familienrichter: Entspricht der Wunsch einer 14-Jährigen, als Junge leben zu wollen, dem Kindeswohl? Das ist eine Entscheidung, die er ohne Gutachter gar nicht treffen kann. Das heißt, da wären wir wieder bei dem gutachterlichen Verfahren, das durch das Gesetz eigentlich abgeschafft werden soll. Ganz abgesehen davon, was so ein Gerichtsverfahren mit einer Familie macht.

Wie sehen Sie das „Offenbarungsverbot“? Demnach ist jeder, der den alten Geschlechtseintrag einer Person offenbart – in der Absicht, dieser Person zu schaden – mit einer Geldstrafe von bis zu 10.000 Euro bedroht.
Hier würden zwei Grundrechte aufeinanderprallen: Einmal das Recht auf Ausdruck einer selbstempfundenen Geschlechtsidentität sowie das der Meinungsfreiheit. Da müsste man also eine Abwägung vornehmen. Die Meinungsfreiheit gilt nicht uneingeschränkt, sondern findet ihre Grenzen in anderen Gesetzen wie zum Beispiel den Beleidigungsdelikten. Wenn man also eine Person, die sich als Frau empfindet, als Mann bezeichnet, käme es auf den Kontext an: Wenn man zu dieser Person mit abfälliger Geste sagen würde: „Guck dich doch mal an, du bist doch ein Mann!“ dann könnte das als Beleidigung gewertet werden.

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Was aber, wenn eine Frau im Schwimmbad unter der Damendusche steht, in die ein biologisch männlicher Mensch kommt. Die Frau bittet jemanden vom Personal, die Person der Dusche zu verweisen, weil es sich um einen Mann handle.
Das ist juristisch gar nicht so leicht zu entscheiden. Nehmen wir an, die Person würde der Dusche verwiesen, dann könnte sie ein Verfahren nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) anstrengen und erklären, sie sei aufgrund ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert worden. Dann müsste das Gericht schauen, ob es einen sachlichen Grund dafür gab, die Person nicht in der Frauendusche zu belassen. Das ist kein leicht zu bewertender Fall, der von dem geplanten Gesetz aber ganz bewusst an das jeweilige Schwimmbad oder Fitnessstudio delegiert wird. Und dieses Auslagern als Einzelfallentscheidung würde die Gerichte noch sehr beschäftigen. Denn das Gesetz ist ja in sich überhaupt nicht kohärent: Einerseits sagt es, der Geschlechtseintrag beruhe auf der eigenen Entscheidung. Gleichzeitig sagt es: An der und der Stelle kann man aber doch an biologische Voraussetzungen anknüpfen. Und da stellt sich natürlich ganz praktisch die Frage, wie das dann jeweils überprüft werden soll … Da wird es ja dann doch wieder sehr äußerlich und geht womöglich zu Lasten all derer, die etwas androgyn aussehen. Da kann dann jeder Mann, der feminin aussieht, und jede Frau, die maskulin aussieht, betroffen sein.

Was würden Sie als Jurist denn dem Gesetzgeber vorschlagen?
Man sollte die Sachverständigen-Gutachten, die das Verfassungsgericht ja nie beanstandet hat, weiterhin zur Voraussetzung für einen Wechsel des Personenstandes machen. Wenn die Gutachten kritisiert werden, weil die Gutachter teilweise entwürdigende Fragen stellen, dann wäre es doch ein guter Weg, die Gutachten neu und verbindlich zu gestalten.

Das Gespräch führte Chantal Louis.

Hier geht es zum Rechtsgutachten "Das Selbstbestimmungsgesetz und seine Folgen".

 

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