DJ Marusha contra Girlies
EMMA März/April 1995
Harte Arbeit und Begabung haben sie zum Techno-Star gemacht. Und zur Feministin.
Die Bassdrum stellt sie immer besonders sorgfältig ein. Das dunkle, hämmernde Geräusch, das jedes Techno-Stück vorwärts treibt, soll dreckig klingen, lange nachhallen und ein wenig gezerrt sein. Am Mischpunlt Marusha, die als bislang einzige Frau im oberen Drittel der deutschen Techno-Großverdiener mitmischt. Seit sich die Verbindung von Beats, Bytes und Samples als elektronische Tanzmusik Mitte der 80er Jahre zu einem Massen- phänomen entwickelte, avancierten Diskjockeys (sprich: Di-Dschäis) wie sie zu lokalen, ja sogar nationalen Berühmtheiten.
In ihren bunten Klamotten sieht Marusha aus wie die Inkarnation des Funs, herausfordernd, mit sich überschlagender Stimme und über jede Norm erhaben. Sowas mögen die Tänzer und Tänzerinnen. Bei Techno-Raves schwenken sie vor Marushas Mischpult die Arme, 500.000-fach erstanden sie die Single „Somewhere over the rainbow", auf der Marusha Gleiss über nervösen Beats absichtsvoll naiv Judy Garlands Klassiker aus dem Film „The Wizard of Oz" trällert.
Es ist ziemlich genau ein Jahr her, da wurde irgendwo über dem Regenbogen ein Star geboren. Und weil er eine Frau war, mußte er im Zuge seines Erfolges jene Artikel über sich ergehen lassen, die für einen weiblichen Popstar anscheinend obligatorisch sind. Erst wurden die äußerlichen Qualitäten durchgecheckt, dann Ahnungslosigkeit in Sachen Technik attestiert, schließlich der Zeitpunkt des ersten Geschlechtsverkehrs bekanntgegeben.
Am Beispiel Marusha zeigte sich einmal mehr, daß die vermeintlich progressive Popjournaille konservativ bis in die Knochen ist und bestens geübt in der Trivialisierung des weiblichen Geschlechts. So ist es zur Zeit bei den Trendsimulanten nachzulesen, die ein girlie"-Syndrom kreierten, in dem Glauben, jetzt endlich einmal eine Frauenbewegung be- und gegriffen zu haben. „Noch so ein Medienhype", stöhnt Marusha, die sich in der Zeitschrift „Bunte" unter der Headline „Kultmädchen" wiederfand. Marusha sauer: „Ich bin kein Mädchen, sondern eine Frau." Die aktuelle „girlie"-Berichterstattung ist für sie typisch dafür, wie erfolgreiche Frauen ein weiteres Mal auf ihre Sexualität reduziert werden. „Frauen in Führungspositionen", sagt sie spöttisch, „das wäre eine neue Frauenbewegung."
Von den selbstbewußt feministischen Statements der Wahl- berlinerin blieb in den Medien allerdings nicht viel übrig - nur im Klischee erkennt der Journalist anscheinend die Wirklichkeit noch wieder. Aus der gelernten Industriekauffrau wurde eine, „die früher Schuhe verkaufte" (Der Spiegel). Auch der Berliner „Tagesspiegel" bemühte anhand der Biographie der geborenen Nürnbergerin nochmal die alte Kamelle „vom Tellerwäscher zum Millionär". „Ich beschäftige mich seit Jahren mit Musik und Techno, mein Erfolg ist auch ein Ergebnis meiner Arbeit", kommentiert Marusha heute nur noch müde.
Als sie beim Mayday, Europas größter Techno-Party in der Dortmunder Westfalenhalle, als DJ abräumte, galt Marusha flugs als diejenige, die ihren Erfolg nur dem Techno-Label „Low Spirit" und den Brüdern Maximilian und Fabian Lenz zu verdanken habe, besser bekannt als Westbam und DJ Dick. Und auch für ihre Sendung „Feuerreiter", ein TV-Musikmagazin, das sie gemeinsam mit ihrer Freundin Ulrike Licht als Firma „Vis-ä-Vision" herstellt, wurde sie in der üblichen Mädchen-Manier abgefummelt. Nicht als die verantwortliche
Produzentin oder Konzeptionistin, versteht sich, sondern nur als Moderatorin. „Die meisten Männer haben in den letzten Jahren einfach nichts dazugelernt", klagt Marusha. Musik ist ihr Leben, und Techno bleibt ihr Zuhause. Die faszinierendberuhigende Einheit von bis zu 20.000 Tänzern und Tänzerinnen bei einem Rave geben ihr Bestätigung, es ist ihre Art, nach Harmonie zu streben. Aber DJ Marusha weiß, daß es vermessen wäre zu sagen, bei einem Rave seien alle gut drauf.
Wann muß der Break kommen? Wann der Tempowechsel? Fragen, die andere Klangtüftler der Technoszene zum Tanztest in die Discotheken und anschließend wieder zum Remixen ins Studio treibt, beantwortet sie mit ihrem musikalischen Empfinden direkt am Plattenteller. Das ist das Geheimnis der Stimmungskanone Marusha, als DJ und als Plattenstar. Da sei ihr auch das Video zu „Somewhere over the rainbow" vergeben, in dem sie inmitten von doofen Stoffhasen herumirrt, die den naiven Charme der Melodie visualisieren sollen. Marusha:
„Mit dem Video war ich nicht glücklich, aus Zeitgründen habe ich schließlich die dritte Fassung freigegeben." Marusha ist Idealistin geblieben. Als Karrierefrau träumt sie von mehr Gleichberech- tigung und als überzeugte Radfahrerin von mehr Umweltbewußtsein. Sie weiß nur zu gut, daß es mit ihrem Erfolg bei den Massen irgendwann einmal vorbei ist und daß sie dann immer noch arbeiten wird. Das gibt ihr eine gewisse Gelassenheit. Mittlerweile fühlt sie sich selbst in dem Tratsch um ihre Person sicher. Marusha weiß, wer sie ist.