Dörte Gatermann: Start gen Himmel
Dass die Wellen der Erregung noch über die Spitzen des Doms hinaus schlugen, hat vor allem mit dieser nicht schönsten, aber doch berühmtesten Kathedrale Europas zu tun – aber auch mit der Architektin, die im Mittelpunkt der Aufregung steht. Nach zehn Jahren Planung und nicht minder langer, zuletzt heißer schwarz-grüner Debatte fiel am 18. Dezember im Kölner Rathaus endgültig die Entscheidung: Dörte Gatermann, 47, wird die erste deutsche Frau sein, die ein Hochhaus baut. Und nicht irgendeines.
Ich kenne sie seit rund zwölf Jahren. Damals rückte sie – auf meine Bitte hin – einem nicht minder legendären Kölner Gebäude zu Leibe: dem mittelalterlichen Bayenturm, der vor der Vollendung des Kölner Doms im Jahre 1880 siebenhundert Jahre lang das Wahrzeichen der Stadt gewesen war. Für das (von mir gegründete) feministische Archiv, den FrauenMediaTurm, baute Gatermann den durch die Bomben des zweiten Weltkrieges halbierten und Anfang der 1990er Jahre originalgetreu rekonstruierten Turm modern aus. In den mittelalterlichen Mantel stellte sie ein modernes Kleid des 21. Jahrhunderts. Seit zehn Jahren arbeiten und forschen Menschen darin – und fühlen sich in den sachlich-sinnlich gestalteten Räumen auch noch wohl. Was gar nicht so einfach zu lösen war in einem Gebäude, das lange Wehrturm und Gefängnis war.
Die Legende sagt, dass bei der Erstürmung des Bayenturms durch die Kölner BürgerInnen, die den Erzbischof zum Teufel jagten, 1262 erstmals der (heute karnevalistische) Schlachtruf erklang: Kölle alaaf! Kölner voran! Und noch heute heißt es in Köln: "Wer den Turm hat, hat die Macht."
Jetzt hat Architektin Gatermann die – nur noch vom Bauherrn, der Rheinischen Zusatzversorgungskasse, einzuschränkende – Macht, das erste Hochhaus im Bannkreis des Doms zu bauen. Sie hat schon begonnen und wird Anfang 2006 fertig sein. Dass die Debatte darüber plötzlich noch heftiger ausfiel, als zu erwarten, hat nicht nur mit dem Standort und dem 11. September zu tun, der uns Hochhäuser als so verletzlich vorführte, sondern wohl auch mit dem Geschlecht des Architekten (O-Ton einer grünen Politikerin: "Die will nur hoch hinaus").
Schließlich ist es noch gar nicht so lange her, da hatten in (Nazi)Deutschland weibliche Architekten schlicht Berufsverbot, ganz wie die Juristinnen. Auch das erklärt, warum Architektinnen gerade hierzulande noch mächtig Nachholbedarf haben und wenn überhaupt, selten allein, sondern auffallend oft im Doppel mit einem Mann reüssieren.
Das ist auch bei Dörte Gatermann der Fall. Die Tochter eines Hamburger Architekten, die früh die Mutter verlor und sich am Vater orientierte, ging auf eine Mädchenschule. Sie machte einen Frühstart ganz aus eigenen Kräften. Zwar hatte ihr Studienvater, der bekannte Architekt Gottfried Böhm, seiner Diplomantin noch vor dem Examen die Projektleitung für einen 50-Millionen-Bau anvertraut. Und das mit Erfolg. Doch schon zur Einweihung des Baus tauchte Dörte Gatermann mit ihrem drei Wochen alten Sohn auf, vier Jahre später folgte die Tochter.
Zur gleichen Zeit gründete sie, zusammen mit Elmar Schossig, dem Vater ihrer zwei Kinder, das Architekturbüro "Gatermann & Schossig", eines der "innovativsten und erfolgreichsten Architekturbüros in Deutschland" (World Architecture). Das alles galt es zu organisieren. Sie und er entwerfen getrennt, diskutieren zusammen und realisieren mit demselben Büro, in dem heute rund 30 Leute arbeiten, ein Drittel davon Frauen.
Das Arbeits- und Lebensmotto von Dörte Gatermann, die als Architektin von der klassischen Moderne geprägt ist, lautet: "Nicht Entweder/oder, sondern Sowohl/als-auch!" Nämlich: Funktionalität und Schönheit, Rationalität und Emotion, Familie und Karriere. Doch sie thematisiert auffallend häufig und offen die Zerrissenheit von Karrierefrauen zwischen Beruf und Kindern. Die Eltern haben eine "Mamawoche" und "Papawoche" eingeführt. Und die klappt auch, zumindest "besser als bei den anderen".
Inzwischen sind die Kinder aus dem Gröbsten raus, Felix ist 18 und Charlotte 14 – und die Architektin erfüllt sich einen alten Traum: nicht nur zu bauen, sondern auch zu lehren. Seit 2002 ist Dörte Gatermann Professorin an der Technischen Universität in Darmstadt – und mal wieder, wie so oft im Leben, die einzige Frau. Seither pendelt sie zwischen dem (selbstgebauten, klar) Haus in Köln, dem Lehrstuhl in Darmstadt und all den Baustellen, die sie angezettelt hat.
Übrigens: Was da so zwei- und dreistellige Millionensummen kostet, in Beton gegossen wird und in den Himmel ragt, beginnt meistens mit einer winzigen Skizze auf einem Stück Papier oder einer Serviette – der Rest ist Handwerk, Geduld und Kampf. Das besondere Problem in diesem Beruf ist nämlich, dass es immer um sehr viel Geld geht – Geld, über das meist Männer zu bestimmen haben: Bauherren und Generalunternehmer. Da geht es also nicht nur um kühne Entwürfe, sondern auch um kleine Kompromisse. Und um Gekungel. Zwischen Männern. Wo jede Frau erstmal ein Fremdkörper ist, selbst eine wie Gatermann, die nicht gerade geballte Weiblichkeit, sondern eher konzentrierte Sachlichkeit verströmt. Nicht zuletzt auch wegen Männerbündelei scheint es in diesem Beruf so angesagt zu sein, einen Mann an seiner Seite zu haben.
Mit ihren StudentInnen in Darmstadt plant Prof. Gatermann gerade ein Museum für Frauen, das Hall of Fame Projekt. Zusammen mit Bettina Flitner, die mit ihren Fotos großer Europäerinnen (EMMA 5/02) den Anstoß gab, sowie den StudentInnen entwirft die chronisch Kühne jetzt eine weibliche Ruhmeshalle – und möchte, dass die nicht Uni-Übung bleibt, sondern auch real gebaut wird. Die Frau will tatsächlich hoch hinaus.
Alice Schwarzer