Gecancelt wg. "Transfeindlichkeit"
Es hätte eine sehr spannende Diskussion werden können. Die TeilnehmerInnen, die sich für den Workshop von Viktoria K. angemeldet hatten, hatten ihr vorab Fragen geschickt. „Welche Risiken birgt es, wenn man Prostitution als etwas Gutes oder sogar als etwas Feministisches bezeichnet?“ - „Inwiefern kann, wenn wir über Prostitution reden, von einem System die Rede sein? Welche Akteur*innen, welche Beziehungen und Machtverhältnisse gibt es? Und wer hat Macht über wen?“ Oder: „Welche verschiedenen Gesetze und (nationalen) Gegebenheiten begünstigen welche Profiteur*innen?“
Am 27. April um 16 Uhr wollte Viktoria K., die mehrere Jahre lang in der Prostitution tätig war und sich heute als „Überlebende“ bezeichnet, die vielen Fragen beantworten. Gemeinsam mit anderen Frauen, die die Prostitution überlebt haben, engagiert sie sich im Netzwerk „Ella“, um über die Realität der „Sexarbeit“ und ihre zerstörerischen Folgen aufzuklären. Titel des geplanten Workshops: „Prostitution: das System, seine Profiteure und seine sozialen Folgen“.
Ein durchaus passendes Thema also für die „Kritische Woche“, die der Fachschaftsrat Sozialwissenschaften vom 24. bis 29. April an der Ruhr-Universität Bochum veranstaltete, und in deren Rahmen der Workshop stattfinden sollte. Doch er fand nicht statt.
Referentin Viktoria K. ließ sich nicht einschüchtern. Der Fachschaftsrat schon.
Denn eine Woche vor Start der „Kritischen Woche“ sagte der Fachschaftsrat die Veranstaltung wieder ab. Dabei hatte er selbst im Februar die Dortmunder Ortsgruppe von „Sisters – für den Ausstieg aus der Prostitution“ eingeladen. Am 19. April informierte Sisters Viktoria: „Seit gestern gibt es auf Instagram und Twitter Shitstorm/Cancel-Versuche von Trans-Aktivist*innen gegen Sisters e.V. und die Veranstaltung bei der Kritischen Woche. Wir seien ‚transfeindlich‘, ‚sexworkerfeindlich’ und ‚rassistisch‘..."
Viktoria K. ist „beunruhigt“, bestätigt aber ihre Teilnahme gegenüber Sisters Dortmund erneut und kontaktiert „umgehend zwei Firmen in Bochum, die bei Veranstaltungen für Sicherheit und Personen-Schutz sorgen“. Sie erklärt: „Ich war fest entschlossen, mich nicht einschüchtern zu lassen.“
So unerschrocken wie Viktoria K. ist der Fachschaftsrat leider nicht. Er postet: „Aus verschiedenen Gründen sind wir zu der Entscheidung gekommen, die Veranstaltung der Sisters e.V. am kommenden Donnerstag nicht stattfinden zu lassen.“ Die konkrete Begründung lautet: „Wir verurteilen jegliche transfeindlichen, ableistischen, rassistischen und menschenfeindlichen Kommentare.“
Bei den fassungslosen "Sisters" hatte vor der Absage des Workshops keiner nachgefragt.
Die fassungslosen Sisters – bei denen sich niemand auch nur gemeldet, geschweige denn nachgefragt hatte – veröffentlichten eine Stellungnahme zu der „Verurteilung" von Transfeindlichkeit, Behindertenfeindlichkeit und Rassismus: „Das tun wir auch!“ schrieben sie. „Und, Surprise: Das System Prostitution lebt und reproduziert all diese Einstellungen, Handlungen und Strukturen!“ Denn: „In unserer aufsuchenden Arbeit begegnen wir 95 Prozent nicht-deutschen Frauen“. Und: „Die Hälfte aller Transmenschen, die im Jahr 2022 ermordet wurden, waren Prostituierte. Und Ex-Prostituierte haben nach ihrem Ausstieg in der Regel sowohl körperliche als auch psychische Behinderungen.“
Aber es half nichts. Denn: Sisters hat auf seiner Website erklärt, warum der Verein gegen das geplante „Selbstbestimmungsgesetz“ ist. Da steht: „In Deutschland wird zurzeit an einem Gesetz gearbeitet, das die Abschaffung des Geschlechtsals wichtigstem gesellschaftlichen Strukturmerkmal zum Ziel hat. Die Begriffe ‚Frau‘ und ‚Mann‘, die auf der biologischen Zweigeschlechtlichkeit beruhen, würden ohne diese objektivierbare Grundlage bedeutungslos.“
Warum Sisters an der biologischen Kategorie Geschlecht festhält? Weil es Frauen sind, „die von ihren Familien in die Prostitution geschickt wurden; Frauen, die für Loverboys angeschafft haben; Frauen, die von Zuhältern gefangen gehalten und von denen, und sowieso in der Prostitution, wieder und wieder vergewaltigt wurden. Die meisten Frauen hat es schlicht deshalb getroffen, weil sie das Pech hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort in die falsche Familie in einem weiblichen Körper geboren worden zu sein. Nichts davon haben sie gewählt: nicht die Zeit, nicht den Ort, nicht die Familie und nicht ihren weiblichen Körper.“
"Statt demokratisch zu diskutieren, wird gehated, diffamiert und ausgeladen."
Eines der Themen, über das man bei dem Workshop hätte diskutieren können, müssen? Nein, diskutiert wird nicht mehr. Es wird nur noch gecancelt.
Auch die Sisters Ortsgruppe Berlin ist schon Opfer der Cancel Culture geworden: Eine geplante Filmreihe musste nach der Agitation von TransaktivistInnen an einen anderen Ort verlegt werden. In Leipzig knickte das Kulturzentrum Conne Island ein. Auch dort wurde Ende März eine prostitutionskritische Veranstaltung mit Aktivistin und Autorin Manuela Schon, einer Aussteigerin und einer Sozialarbeiterin wegen "Transfeindlichkeit" abgesagt. „Anstatt in eine Diskussion zu gehen, wie es in einer Demokratie üblich sein sollte, wird gehated, diffamiert, ausgeladen“, schreiben die Dortmunder Sisters. „Wie sehen die aktuelle gesellschaftliche antidemokratische Entwicklung sehr kritisch.“ Da sind sie nicht die einzigen.