Iran: Ein Jahr Kampf der Frauen
Frauenrechte werden auf verschiedensten Ebenen unterdrückt. Ich arbeitete in einem dieser Bereiche, befasste mich mit Fällen von Ehrenmorden, Kinderehen und ähnlichem. Wenn etwa eine Familie, um ihre Ehre zu bewahren, die eigene Tochter umbringt, weil sie argwöhnt, diese habe eine illegale Beziehung zu einem Mann, kann es keine Hoffnung geben, dass Frauen aus dieser Familie jemals ihre Rechte zugestanden werden.
Tatsächlich aber hat die so lange andauernde Gewalt die Frauen derart in die Enge getrieben, dass das nötige Quantum an Mut und Tapferkeit in ihnen entstehen konnten, um sich aufzulehnen. Nun fordern sie Gleichheit und Gerechtigkeit, und verlangen, dass ihre Rechte beachtet und respektiert werden. Sie haben nichts mehr zu verlieren. Mit ihren Forderungen spielen sie endlich eine würdige und im Rahmen der iranischen Kultur angemessene Rolle.
Frauen kämpfen um das Recht über die Kontrolle über ihren eigenen Körper
Neu bei dieser Bewegung oder, besser gesagt, diesem revolutionären Aufstand, ist die gegenseitige Unterstützung.
Immer wieder haben Frauen, und auch Männer, in den letzten drei Jahrzehnten Bürgerproteste organisiert. Die vielleicht wichtigste Kampagne mit einer Million Unterschriften widmete sich der Abschaffung der Steinigung von Frauen. (Diese Strafe existiert in der Islamischen Republik Iran bis heute, Anm. d. Red.) Das war nur eine von vielen Kampagnen, nach denen Dutzende Menschen festgenommen und ins Gefängnis gesperrt wurden.
Als Mahsa Amini im September 2022 getötet wurde, weil sie angeblich ihren Hijab nicht korrekt getragen hatte, stellten sich Frauen und Männer im Iran eine entscheidende Frage: Was sollen wir wirklich tun? Als erstes, fanden sie, sollten Frauen die Macht über ihren eigenen Körper erhalten. Denn sobald ihnen die Kontrolle über ihren eigenen Körper zugesprochen wird, können wir auch das Problem von Kinderehen und Ehrenmorden lösen. Und wir können die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Familie und Gesellschaft erreichen.
Der jetzige revolutionäre Aufstand begann als Protest gegen die schlimmste Form der Kontrolle über den Körper der Frau in den letzten vier Jahrzehnten: den obligatorischen Hijab. Nach und nach aber entwickelte sich aus der Ablehnung des Hijab eine Grundfrage: Sollte dem Staat, neben der Macht über den weiblichen Körper, nicht auch die Kontrolle über Gedanken, Ideen und religiöse Überzeugungen entzogen werden, über die Redefreiheit und alle anderen Aspekte des Lebens von Bürgern und Bürgerinnen? So entstand aus dem ersten Protest eine sehr viel umfassendere Forderung.
Ich habe keinen Zweifel, dass dies ein revolutionärer Aufstand ist. Wir sprechen dann von einer Revolution, wenn die Mehrheit oder zumindest eine bedeutende Anzahl von Menschen in einer Gesellschaft einen Regierungswechsel fordert. Ob uns das bald gelingen wird, kann niemand genau sagen, aber im gleichen Maße verliert eine Regierung ihre Legitimation, wenn sie den Willen des Volkes nicht respektiert. Wenn vier Monate lang jede Nacht Menschen aus ihren Häusern herausschreien, dass sie diese Regierung nicht wollen, dann hat diese ihre Legitimation verloren.
Auch in den letzten Jahren gab es hin und wieder einen Funken, der sich in eine Revolution hätte verwandeln können, etwa im November 2019, als die Benzinpreiserhöhung zu Protesten führte. Aber jetzt, im Fall Mahsa Amini, denke ich, dass die Gefühle der Menschen aufgrund der extremen Gewalt gegen Frauen verletzt wurden. Jahrelang sind Männer Zeugen gewesen, wie junge Mädchen misshandelt, verschleppt und brutal geschlagen wurden. Wenige Wochen vor dem Tod Mahsa Aminis hatten wir die Verhaftung der 28-jährigen Schriftstellerin und Lektorin Sepideh Rashnu erlebt, die in einem Linienbus mit einer verschleierten Frau in Streit geriet, weil sie deren Aufforderung, ihr Kopftuch aufzusetzen, nicht nachkam. Jetzt steht Rashnu unter anderem wegen Propagandaaktivitäten gegen die Islamische Republik, die Ermutigung zur Verdorbenheit und Unzucht vor Gericht. Mein Mann wurde ebenfalls zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, weil er gegen den obligatorischen Hijab protestierte. Als Mahsa Amini starb, gingen diese Wunden in der Gesellschaft plötzlich auf.
Es ist kein Mut, Anwältin für Frauen zu sein, es ist meine Pflicht
Zudem sollten die Ressourcen unseres Landes nicht für die Ambitionen der Regierung im Jemen, im Libanon, in Palästina oder an anderen Orten verbraucht werden. Darunter leiden wir seit über 40 Jahren. Wir wünschen uns ein einfaches, normales Leben – ein Leben, in dem wir uns keine Sorgen darüber machen müssen, ob einem selbst oder jemandem aus der Familie die Verhaftung droht, und in dem wir nicht über Besuche in Gefängnissen, Hungerstreiks und Hinrichtungen nachdenken.
Mein Traum wäre, morgens entspannt aufzustehen, einen normalen und natürlichen Tagesablauf vor mir zu haben mit ausreichend Zeit zum Essen und für persönliche Hygiene, später in eine Bibliothek oder in einen Park zu gehen oder die Möglichkeit zu haben, ohne Hijab Sport zu treiben. Und wir würden mit anderen Menschen in Kontakt stehen können, ohne zu grübeln, ob sie vielleicht vom Geheimdienstapparat auf dich angesetzt wurden. Dieser permanente Verdacht vergiftet die Beziehungen zwischen den Menschen, denn es ist eine große Anzahl einfacher Bürgerinnen und Bürger, die im Dienst der Sicherheits- und Nachrichtendienste standen und stehen.
Die Frage, woher mein Mut kommt, haben mir schon viele Menschen gestellt. Zuerst war ich sehr überrascht, weil ich dachte, ich tue doch nur das Normalste, das, was auf der Hand liegt. Als Anwältin bestand meine Aufgabe darin, andere zu verteidigen, bis ich selbst Probleme bekam. Deshalb nenne ich mein Tun und Handeln nicht Mut. Es ist durch das Leid entstanden, dem ich begegnet bin, als Frauen verhaftet wurden, die nur Unterschriften sammelten, um Gesetze zu ändern. Diese Frauen wollten, dass ich sie vertrete. Oder jene, die sich in der Enghelabstraße (eine nach der Islamischen Revolution von 1979 benannte Hauptstraße „Straße der Revolution“ in Teheran, Anm. d. Red.) auf einen Stromkasten stellten, ihr Kopftuch abnahmen und es an einem Stock durch die Luft schwenkten, um zu protestieren: Auch sie baten mich, ihre Anwältin zu werden. Das war kein Mut, sondern meine Pflicht.
Ich dachte mir, wenn diese jungen Mädchen auf die Straße gehen, sich in Gefahr bringen, um Unterschriften für mein Recht und das Recht der anderen zu sammeln, dann haben sie monatelang über diesen Weg nachgedacht. Auch diejenigen, die sich auf den Stromkasten stellten, haben darüber monatelang nachgedacht. Deshalb vertrat ich diese Frauen vor Gericht.
Im Moment drohen für jedes Aufbegehren drakonische Strafen. Auf der Frauenstation im Evin-Gefängnis (dem für seine Haftbedingungen und Folterpraktiken berüchtigten Gefängnis am Stadtrand Teherans, Anm. d. Red.) bekommen politische Gefangene nur in großen Zeitabständen kurzfristige Hafturlaube. Meist lehnen die Verantwortlichen die Anträge ab, egal, ob Frauen ihre Kinder sehen wollen, oder ein Familienmitglied verstorben ist. Während ich zwischen 2010 und 2013 inhaftiert war, habe ich meinen Vater und meine Mutter verloren. Zur Trauerfeier meines Vaters ließen sie mich nicht gehen. Für meine Mutter haben sie mir die Erlaubnis erteilt, aber viele haben nicht einmal in diesem Fall eine Genehmigung bekommen. Wir waren damals mehrere Mütter, die kleine Kinder hatten, und wir haben immer wieder einen Antrag gestellt, um zum Geburtstag unseres Kindes nach Hause gehen zu dürfen. Sie erlaubten es nicht – wohl auch, weil die Entscheidungsträger Männer waren.
Die Angst, die die Menschen haben, wird die Bewegung nicht stoppen
Neben dem Evin-Gefängnis gibt es noch ein anderes Gefängnis für Frauen. Im Qarchak-Gefängnis sind sowohl politisch aktive als auch politisch nicht aktive Frauen inhaftiert. Dort gibt es buchstäblich weder Wasser noch Luft: Einen Kilometer von dort entfernt liegt eine Kamelfarm, rundherum ist Wüste; es stinkt. Das Wasser ist salzig und schlecht; zu Trinkwasser hatten wir nur begrenzten Zugang. Mal konnten wir Wasser in Flaschen in einem speziellen Laden kaufen, mal bekamen wir Wasser aus gesonderten Wasserhähnen als angeblich frisches Wasser. Aber auch dieses Wasser konnte man nur bedingt verwenden. Wenn man baden wollte, musste man ein Bad in Salzwasser nehmen. All das macht die Haftbedingungen dort unerträglich.
Der Hintergrund dieses menschenverachtenden Vorgehens gegenüber Häftlingen ist eine Kombination aus der sehr gezielten Absicht, die Inhaftierten zu erniedrigen, einem generell verachtenden Blick auf die Menschen und der Tatsache, dass diejenigen, die für die Haftbedingungen verantwortlich sind, aus einer sozialen Schicht kommen, die selbst nie respektiert wurde. Dies führt dazu, dass sie andere ebenfalls mit Respektlosigkeit behandeln.
Die Todesstrafe wird von Regierungen wie der des Iran als Mittel zur Abschreckung eingesetzt, um Gegner einzuschüchtern und eigenes Missmanagement zu vertuschen. Vor etwa neun Jahren haben wir die „‚Legam‘-Kampagne zur schrittweisen Abschaffung der Hinrichtungen“ ins Leben gerufen. Einige derer, die diese Initiative grundlegend vorangebracht haben, sind inzwischen gestorben oder sitzen im Gefängnis; viele Unterstützer sind heute nicht mehr aktiv.
Ich denke, dass wir uns der Möglichkeit, hingerichtet zu werden, bewusst stellen müssen. Dann bin ich zuversichtlich, dass wir die Angst davor überwinden werden. Viele von denen, die einen politischen Standpunkt vertreten und über den Sieg dieses Aufstands nachdenken, möchten, dass ich mit Nachdruck sage, die Menschen hätten keine Angst. Aber als jemand, der selbst menschliche Emotionen in sich trägt, muss ich ihnen sagen, dass diese Hinrichtungen selbstverständlich Angst erzeugen. Menschen, die auf die Straße gehen, haben Angst, verhaftet oder niedergeschossen zu werden, ihr Augenlicht zu verlieren oder bei den Demonstrationen getötet zu werden. Trotzdem gehen sie auf die Straße. Die Angst gibt es, aber sie wird diese Bewegung nicht stoppen.
Die Durchsetzung der Menschenrechte hätte für die ganze Welt Bedeutung
Ich selbst bin glücklich darüber, dass ich in den letzten anderthalb Jahren, in denen ich nicht mehr im Gefängnis bin, diesen Aufstand miterleben und auch selbst einige Maßnahmen ergreifen konnte. Aber natürlich bedeutet die Rückkehr ins Gefängnis für einen Menschen eine sehr starke Verengung der Perspektive. Die Aussicht, dass einem selbst die relative Freiheit, die ein Leben im Iran bedeutet, entzogen wird, ist hart. Trotzdem: Wenn wir alle beweisen müssen, dass Gerechtigkeit unser zentrales Anliegen ist, werden wir wieder ins Gefängnis gehen, damit unsere Leiden vielleicht helfen, Gerechtigkeit herzustellen.
Auch Regimegegner, die im Ausland sind, leben nicht im Paradies und sind Risiken ausgesetzt. Und egal, an welchem Ort jemand etwas leistet – alles ist wertvoll.
Die Durchsetzung der Menschenrechte im Iran hätte nicht nur für uns, sondern für die ganze Welt große Bedeutung. In der Charta der Vereinten Nationen und in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die beide aufgrund der Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg verfasst wurden, ist zu lesen, dass Frieden und Sicherheit die Achtung der Menschenrechte voraussetzen. Wenn die Länder der Welt also denken, sie könnten innerhalb ihrer geografischen Grenzen Frieden und Sicherheit herstellen, aber gleichzeitig die Augen vor Menschenrechtsverletzungen in anderen Teilen der Erde verschließen, werden sie scheitern.
Internationalen Frieden und Sicherheit werden wir nur schaffen können, wenn wir weltweit die Achtung der Menschenrechte etablieren und dies auch aufrechterhalten.
NASRIN SOTOUDEH
Der Text ist ein leicht gekürzter Auszug aus: "Wir haben keine Angst! Die mutigen Frauen Irans", von Natalie Amiri und Düzen Tekkal (Elisabeth Sandmann Verlag).