Kraft! Kraft! Kraft!: Starkes Frauen-Duo

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Mutter Anni trocknete sich verstohlen die Tränen, Ehemann Udo küsste etwas schüchtern, Sohn Jan (der schon als Sechsjähriger den Kleistereimer für Mutters Wahlplakate halten durfte) umarmte kräftig. Aus gutem Grund: Hannelore Kraft, 49, ist zur Ministerpräsidentin gewählt worden.

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Mit allen 67 Stimmen hat die SPD-Fraktion geschlossen ihre Chefin gewählt, plus die 23 Stimmen der Grünen ergab das die relative Mehrheit, die die künftige Chefin des bevölkerungsreichsten Bundeslandes im zweiten Wahlgang benötigte. Damit ist die SPD-Frau (neben CDU-Kollegin Christine Lieberknecht in Thüringen) eine von zwei Chefinnen einer deutschen Landesregierung - und könnte die vierte sein, wären Heide Simonis und Andrea Ypsilanti nicht von den eigenen Genossen zu Fall gebracht worden. Das ist bedeutend. Wahrhaft historisch ist jedoch die Tatsache, dass das größte Bundesland künftig von einem Frauen-Duo regiert wird.
Seit Wochen trotz vieler Regierungsbildungs-Querelen beständig an Hannelores Seite: Die grüne Fraktionschefin Sylvia Löhrmann, 53. Die Lehrerin aus dem Ruhrgebiet und Absolventin eines katholischen Mädchengymnasiums wird nun stellvertretende Ministerpräsidentin und Schulministerin.
Schon jetzt genießt das Damen-Duo Kraft/Löhrmann großen Respekt. Die Presse ist voll des Lobes für den Pragmatismus, mit dem die Rote und die Grüne in den letzten Wochen diverse Sondierungsgespräche durchgezogen sowie Hüs und Hotts der anderen Parteien recht unaufgeregt weggesteckt hatten. Am Ende steht nun eine Minderheitsregierung, die die Kanzlerin zwar als „Wahlbetrug“ geißelt, der aber gar nicht so schlechte Chancen für ein zumindest mittelfristiges Durchhalten eingeräumt wird.Denn: Die rote Hannelore und die grüne Sylvia scheinen an einem Strang zu ziehen. So ist es nur auf den ersten Blick despektierlich gemeint, wenn die Süddeutsche Zeitung das „Regierungs-Feminat“ als „Hanni und Nanni in NRW“ bezeichnet.
Was Kommentator Heribert Prantl nämlich sagen möchte ist, dass „diese Minderheitsregierung von zwei Frauen getragen wird, die sich offenbar außerordentlich gut verstehen“. Hier sei kein Ich-Koch-du-Kellner-Gehabe eines Gerhard Schröder zu befürchten. In der Tat: „Es wird gemeinsam gekocht und dann gemeinsam serviert“, hatten die beiden Politikerinnen schon vorab erklärt. Womöglich wird auch mal gemeinsam Skat gekloppt, denn beide Damen sind bekennende Anhängerinnen des Kartenspiels, in dem bekanntlich die Buben die höchsten Trümpfe sind.
Übrigens könnte man die weibliche Doppelspitze durchaus als eine Art Wählerinnenauftrag betrachten, denn unter den weiblichen Wählern hatten SPD (36%) und Grüne (14%) zusammen die absolute Mehrheit. Die jungen Frauen zwischen 18 und 29 Jahren wählten Rot-Grün gar zu 53 Prozent.

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Was Kraft und Löhrmann ihren Wählerinnen servieren möchten, klingt laut Koalitionsvertrag tatsächlich vielversprechend. „Zukunft geht nur mit Frauen und Mädchen“ heißt es da. So will Rot-grün der Landesregierung eine „Gender-Stabsstelle“ zur Seite stellen und 16 „Regionalagenturen Frau und Wirtschaft“ einrichten. Ziel: Gründerinnen fördern, Frauen den Wiedereinstieg erleichtern und die Berufswahlorientierung von Mädchen in karrieretaugliche Bahnen lenken. Auch zum Problem „Gewalt gegen Frauen“ plant Rot-Grün einiges. Zum Beispiel die Wiedereinführung der von Schwarz-Gelb gekürzten vierten Stelle in den Frauenhäusern, die diese schmerzlich vermissten, und ein Gesetz, das die Finanzierung der Frauenhäuser zur verbindlichen Aufgabe des Landes macht.Vize-Ministerpräsidentin Löhrmann ist in ihrem Wahlkreis Solingen, wo sie elf Jahre lang an der Städtischen Gesamtschule unterrichtete, übrigens selbst Mitglied im Frauenhaus-Verein.
Im Bundesrat, wo die schwarz-gelbe Koalition Dank Kraft/Löhrmann jetzt ihre Mehrheit verloren hat, will sich die NRW-Landesregierung für ein „Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft und eine Quotierung von Aufsichtsräten einsetzen“. Ob allerdings der Runde Tisch, den Rot-Grün einrichten will, um die „Umsetzung des Prostitutionsgesetzes voranzubringen“, eine gute Idee ist, darf bezweifelt werden. Denn längst ist klar, dass diese von Rot-Grün auf Bundesebene initiierte Reform den Frauenhändlern und Zuhältern genutzt, den Prostituierten selbst aber eher geschadet hat – vor allem den Minderjährigen und Zwangsprostituierten, die Hilfe brauchen, die ausgerechnet diese Reform seit 2002 verhindert.
Wie Ministerpräsidentin Kraft ihr Kabinett besetzen wird, wird sie erst morgen verkünden. Fest steht jedenfalls: Rot-Grün wird die Ressorts Familie und Frauen trennen. Was womöglich eine gute Idee ist, denn allzu oft wurde und wird Frauenpolitik ausschließlich als Familienpolitik verstanden. Deutschlands bisher einziger Frauenminister Armin Laschet von der CDU wird beerbt von der Grünen Barbara Steffens. Das Ressort der ehemaligen frauen- und gesundheitspolitischen Sprecherin wird „Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter“ heißen. (Kleiner Tipp: Könnte die Emanzipation nicht am Anfang stehen? Wäre auch logischer.)
Das Ressort Integration soll der Wirtschafts- und Arbeitsminister übernehmen. Das wird Landes-DGB-Chef Guntram Schneider. Alles weitere demnächst. Jetzt wird die Doppelspitze aus dem Ruhrpott vermutlich erstmal ein Pils auf den Sieg trinken.

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Porträt Hannelore Kraft (2/10)

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