Lasst Türkinnen nicht im Stich!

Am 8. März gehen die Frauen auf die Straße - ob Erdogan will oder nicht. Foto: imago images/Tolga Ulutur
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Wie es aussieht, wird es bei den Wahlen in der Türkei am 14. Mai ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem amtierenden Präsidenten Erdoğan und seinem Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu geben. 1,5 Millionen Menschen, die in der Türkei wahlberechtigt sind, leben in Deutschland. Es ist die größte Gruppe außerhalb der Türkei – und das Zünglein an der Waage (in der Schweiz und in Österreich sind es jeweils rund 100.000). Bei der Wahl 2018 hatte Erdogan in der Türkei 53 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten – in Deutschland mit 65 Prozent aber deutlich mehr. Dass die Deutsch-TürkInnen – vor allem die Frauen unter ihnen – es diesmal nicht tun – darum bittet inständig Lale Akgün, selbst Deutsch-Türkin, frühere SPD-Bundestagsabgeordnete und scharfe Kritikerin des politischen Islam. Hier ihr Aufruf:

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Liebe Türkinnen in Deutschland,

auch in Deutschland wurden die Wahlurnen für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei geöffnet. Bis zum 9. Mai haben Sie die Möglichkeit, Ihre Stimmen abzugeben. Wenn Sie Ihre Stimme abgeben, denken Sie bitte an die Mädchen, die im Alter von sechs Jahren verheiratet werden, um dann als Kind schwanger zu werden und bei der Entbindung zu sterben. Die täglichen Nachrichten über sexuelle Belästigung, Unterdrückung und Schläge in den Wohnheimen religiöser Stiftungen und Sekten sind Ihnen sicher bekannt. Vergessen Sie nicht die Mädchen, die im Schülerwohnheim einer religiösen Sekte verbrannt wurden. Erinnern Sie sich an die sexuelle Belästigung von 40 Kindern in einem Wohnheim der Ensar-Stiftung und daran, dass die damalige AKP-Familienministerin sagte: "Einmal ist keinmal!“? Denken Sie auch an Enes Kara, den Medizinstudenten, der die Unterdrückung in dem Wohnheim einer islamischen Sekte, wo er wohnte, nicht mehr ertrug und Selbstmord beging. Denken Sie bei Ihrer Stimmabgabe daran, dass der AKP-Vorsitzende und Präsident R. T. Erdoğan die Istanbul-Konvention zum Schutz der Frauen vor Missbrauch und Gewalt per Dekret für ungültig erklärte. Vergessen sollten Sie auch nicht, dass Erdoğan Frauen überhaupt als Menschen zweiter Klasse ansieht. Die Hilferufe der Kinder und Frauen dürfen nicht ungehört verhallen. Wir tragen Verantwortung für sie! Vergessen wir sie nicht, wenn wir wählen gehen! Wir leben in Deutschland und wissen sehr gut, was es bedeutet, in Freiheit zu leben. Lassen Sie uns auch für unsere Landsleute in der Türkei Freiheit und Gerechtigkeit wählen!

Türkiye için Özgürlüğü ve Adaleti seçelim! Ihre Lale Akgün

Für die Frauen in der Türkei steht in der Tat alles auf dem Spiel. Erdogan hat sich mit zwei islamistischen Splitterparteien zusammengetan, was selbst die Frauen in seiner eigenen Partei beunruhigt. Frauenrechte werden immer weiter beschnitten: Zuerst stieg die Türkei 2021 aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt aus, jetzt wollen die islamistischen Parteien wie die Hüda-Partei, die Erdoğan stützt, auch das Gesetz 6284, das sogenannte „Frauenschutzgesetz“ streichen.

Es greift bei häuslicher Gewalt und ermöglicht Frauen, ein Kontaktverbot für den schlagenden Ehemann zu erwirken. Es gilt als das wichtigste verbliebene Gesetz zum Schutz von Frauen. Außerdem will Hüda den „traditionellen Familienschutz“ durchsetzen, junge Mädchen und Jungen getrennt unterrichten und Frauen Arbeitsbedingungen anbieten, die ihrer „Natur“ entsprechen. Soll heißen: putzen und pflegen.

Neuerdings dürfen Frauen nicht einmal mehr am 8. März, am Frauentag, demonstrieren gehen. Sie tun es trotzdem, oft zu Hunderttausenden. Und selbst, wenn Erdoğan sie niederknüppeln lässt, kommen noch Tausende. „Wird die Türkei ein zweites Afghanistan?“ fragen türkische Frauenrechtlerinnen. Erdoğans Herausforderer Kılıçdaroğlu hat die Brisanz der Frauenfrage begriffen und zum Parteiprogramm gemacht. „Wir werden die Rechte aller Frauen verteidigen sowie den Glauben, den Lebensstil und die Identität aller respektieren“, kündigte er an. Auch will er dafür sorgen, dass die Türkei wieder der Istanbul-Konvention beitritt.

Noch bis Dienstagabend können TürkInnen in Deutschland abstimmen. Dann werden die Urnen in die Türkei zur Auszählung geflogen.

Lale Akgüns Aufruf auf Türkisch:

Sevgili Kadınlar!

Türkiye’deki cumhurbaşkanlığı ve milletvekili seçimi için Almanya’da sandıklar artık açıldı. 9 Mayıs’a kadar oy verme imkânınız var ve sizleri seçim hakkınızı kullanmaya davet ediyorum. Oyunuzu kullanırken lütfen 6 yaşında evlendirilen, çocuk yaşta evlendirilip hamile kalan, doğum yaparken ölen kızları unutmayın. Dini vakıfların ve tarikatların yurtlarında cinsel taciz, baskı ve dayak haberlerinin her gün gazete ve televizyonlardan eksik olmadığını biliyorsunuz. Bir tarikatın öğrenci yurdunda cayır cayır yanan kız çocuklarını da unutmayın. Oyunuzu kullanırken Ensar Vakfı'na ait yurtta 40 çocuğa cinsel tacizde bulunulmasından sonra dönemin AKP’li kadın bakanının “Bir kereden bir şey olmaz” dediğini de unutmayın. Enes Kara isimli tıp öğrencisinin kaldığı tarikat yurdundaki baskılara dayanamayıp, bu çıkmazını anlatıp ardından intihar edişini hatırlatmak isterim. Kadın ve çocuk istismarı ve cinayetlerini önlemeyi hedefleyen İstanbul Sözleşmesi'ni bir kararnameyle geçersiz sayan AKP Genel Başkanı ve Cumhurbaşkanı R. T. Erdoğan’ın kadını ikinci sınıf insan gören tavırlarını da unutmayın. Çocuk ve kadınların çığlıklarının vebali boynumuzadır. Oyumuzu verirken unutmayalım!!! Almanya'da özgürüz. Özgür yaşamanın avantajlarını çok iyi biliyoruz. Lütfen hep birlikte Türkiye‘de yaşayan vatandaşlarımız için de özgürlüğü ve adaleti seçelim. Lale Akgün

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